BR Fernsehen

nacht:sicht Charlotte Knobloch: Zum 85. Geburtstag

Charlotte Knobloch (li.); Andreas Bönte (re.) | Bild: BR

Dienstag, 24.10.2017
23:15 bis 23:45 Uhr

BR Fernsehen
2018

Moderation: Andreas Bönte

Am 29. Oktober 2017 wird Charlotte Knobloch 85 Jahre alt. Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern überlebte als jüdisches Kind die Shoah auf dem Land bei Bauern in Mittelfranken, verbrachte ihre Jugend in München und ist seit über 35 Jahren im unermüdlichen Einsatz für die jüdisch-christliche Verständigung.

Über 20 Jahre hat Knobloch für die Ohel-Jakob-Synagoge am Jakobsplatz gekämpft, ihr Lebenswerk, das am 9. November 2006 eingeweiht wurde.

68 Jahre zuvor, am 9. November 1938, erhält ihr Vater, der Münchner Rechtsanwalt Fritz Neuland, einen Warnanruf und hastet mit seiner damals 6-jährigen Tochter durch München, um das Mädchen in Sicherheit zu bringen. Charlotte sieht mit eigenen Augen den Brand in der Synagoge in der Herzog-Rudolf-Straße. Die Bilder der Reichspogromnacht haben sich in ihre Erinnerung tief eingebrannt.

Heute blickt die Holocaustüberlebende auf über 30-jährige politische und gesellschaftliche Arbeit gegen Antisemitismus und Rassismus zurück. Eine friedliche Zukunft der nachfolgenden Generationen und ein selbstverständliches Miteinander zwischen den unterschiedlichen Religionen liegen ihr sehr am Herzen.

Was es braucht, um diese Vorstellung der Zukunft zu gestalten, darüber spricht Charlotte Knobloch mit Andreas Bönte in der "nacht:sicht".

Fragen und Antworten aus dem Interview:

Was bedrückt Sie?
Knobloch: Rückschauend bedrückt mich eigentlich die Gegenwart, weil ich mir nie vorstellen konnte – und ich glaube, da stehe ich überhaupt nicht allein –, dass dieses Land uns wieder die Probleme bringt, mit denen wir momentan zu kämpfen haben: Antisemitismus, Menschenfeindlichkeit, Hass.


Wenn man sich momentan die Situation in Deutschland anschaut, auch im weltweiten Vergleich, was die wirtschaftliche Situation angeht, dann geht es ja diesem Land so gut, wie kaum zuvor. Wir haben eine geringe Arbeitslosigkeit, die Wirtschaft boomt.

Haben Sie eine Erklärung dafür, warum gerade in dieser Zeit rechte Parteien oder ultrarechte Parteien und auch Antisemitismus wieder an Boden gewinnen?

Knobloch: Ich habe den Eindruck, dass die Menschen nichts mehr verstehen, dass die Menschen ein gewisses Vertrauen, das sie hatten, heutzutage nicht mehr haben oder sogar Zweifel haben. […] Das sind alles Themen, die in der heutigen Zeit auf der Tagesordnung stehen.

Der Antisemitismus, der immer vorhanden war und vorhanden sein wird, aber nicht in der Form, in der wir ihn heute zu spüren bekommen. Da mache ich der Politik allgemein schon gewisse Vorwürfe, dass es zu spät erkannt wurde.


Was mich am Wahlabend […] sehr getroffen hat, waren die Vorwürfe: Die Journalisten sind eigentlich daran schuld, dass die AFD so stark geworden ist.

Knobloch: Es ist ja hochinteressant. Es muss immer ein Schuldiger gefunden werden. Aber das sind nicht die Medien. […] Das sind diejenigen, die den Dingen freien Lauf ließen. Ich meine, wir haben ja eine gewisse Partei in verschiedenen Landtagen, wo man ja schon sehen und auch hören konnte, in welche Richtung die Programme gehen. […]

Man muss das mal von der anderen Seite sehen: Die Medien haben eine Verpflichtung, die Menschen zu informieren, damit sich die Menschen auch eine Meinung bilden können. Das ist die Aufgabe der Medien. Dafür zahlen wir ja auch.

Und jetzt den Medien die Schuld zuzuschieben, dass diese Partei so große Erfolge hatte: Nein.

Redaktion: Andreas Bönte

Mitten in der Stadt. Draußen und drinnen. Ganz nah am Menschen. In der BR-"nacht:sicht" tauscht sich Andreas Bönte mit seinen Gästen in abendlicher Atmosphäre über Gesellschaft, Wissenschaft und Philosophie aus.