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Am Abgrund das Meer: Wandern auf Korsika Eine Tour zum Capu Rossu

Inseln sind oft dem Meer entstiegene Berge. Ein Eiland, das Berge und Meer besonders eindrücklich vereint, ist die Mittelmeerinsel Korsika. Auf wenigen Kilometern ändern sich Landschaft und Klima, vom Strand geht es direkt in Höhen bis 2500 Meter. Besonders an der Westküste bricht das Gebirge oft schroff ins Meer ab. Die Gegend um den Golf von Porto ist sogar UNESCO-Weltnaturerbe mit zahlreichen Wandermöglichkeiten.

Von: Georg Bayerle

Stand: 07.06.2023

Am Abgrund das Meer: Wandern auf Korsika | Bild: BR; Georg Bayerle

So nah das Ziel der Wanderung vom Parkplatz aus wirkt, so lächerlich ist der Höhenunterschied: gerade einmal 300 Höhenmeter zu einem Wachturm am Kap. Aber die vorherrschende Gesichtsfarbe von denen, die hier unterwegs sind, ist bordeauxrot wie der Wein, denn auch durchaus trainierten Wanderern sieht man die Anstrengung an.

Capu Rossu

Am Abgrund das Meer, dazu der wilde Charakter der Landschaft und das Rot der Calanques – all das ergibt ein einzigartiges Bild. Das zu bizarren Formen verwitterte rote Granitgebirge stürzt hier hunderte Meter tief ins Türkisblau des Meeres ab. Vom Parkplatz am Bergsattel eines kleinen Küstensträßchens schaut das Capu Rossu, das Rote Kap, mit seinem Wachturm aus Stein greifbar nahe aus, doch es sind dann zwei Stunden Gehzeit auf einem Weg durch die Macchia. Einmal führt der Pfad fast bis hinunter zum Meer und wieder hinauf zum Wachturm auf dem höchsten Punkt der Klippe. Schon am Vormittag saugt sich die Macchia - mehr als jedes Latschenfeld in den Alpen - derart mit der Hitze voll, dass die Pflanzenöle in Lavendel und Zistrosen zu brodeln scheinen und einen schweren ätherischen Duft ausdünsten. Das Buschwerk aus Wacholder und Erdbeerbäumen bietet keinen Schatten. Von diesem Weg hat mir zuvor schon Jose Moreira unten im Küstendorf Porto erzählt. Sein Vater hatte als Handwerker für den Naturpark gearbeitet und ihn eines Winters als Helfer engagiert: Knapp zwei Stunden Fußmarsch hin und wieder retour, und das jeden Tag, sechs Monate lang. So haben sie den ganzen Wachturm restauriert - das Gemäuer, die Treppen, von denen nichts mehr da war, nur die Löcher in der Außenwand. Denn wenn es Alarm gab, wurden die Treppenstufen herausgezogen. Die Eingangstüre in drei Metern Höhe war dann nicht mehr erreichbar.

In den Calanches von Piana

Jose, oder besser spanisch José, denn er kam als Vierjähriger mit seinen Eltern als Einwanderer aus Galizien hierher, betreibt heute ein kleines Hotel am Hafen von Porto. Als Jäger ist er auch viel in den Bergen unterwegs und kennt noch den alten Lebensrhythmus zwischen Bergen und Meer, die Transhumanz: Meist Anfang Juli brachte man das Vieh in die Kühle der Berge, unten an der Küste drohten einst Malaria und Invasoren. Aus jener Zeit, in der Korsika zu den italienischen Stadtstaaten Genua und Pisa gehörte, stammen auch die Wachtürme wie der am Capu Rossu. Von einem Turm sieht man den nächsten. Kamen Piraten oder andere Eindringlinge, dann wurde ein Feuer entfacht und binnen einer Stunde lief das Signal um die ganze Insel. Es gibt rund 150 Türme, wobei die runden Türme genuesisch sind und die viereckigen von Pisa stammen.

Der Wachturm in großartig exponierten Lage

Schweißgebadet und mit bordeauxrotem Kopf erreichen wir nun den vielleicht spektakulärsten dieser alten Wachtürme. Kein Windhauch erbarmt sich der einsamen Wanderer. Aber die Landschaft ist dramatisch: Bis zu 300 Meter stürzen die roten Granitklippen senkrecht ins Meer, windgekämmte Wacholder- und Ginsterbüsche krallen sich ins nackte Gestein. Diese mediterrane Trias aus Macchia mit ihren gekrümmten Gewächsen, den nackten bizarren roten Felsformationen und dem Meer ist tatsächlich Naturschönheit in höchster Vollendung. Dazu kommen die Farbnuancen des Wassers Blau, Türkis und alle Fassetten von Grün rund 300 Meter senkrecht unter unseren Füßen. Das einzigartige Nebeneinander von Meer und Bergen zieht viele Wanderer immer wieder auf diese Mittelmeerinsel.

Blick auf die Bergketten im Landesinneren

Vom Capu Rossu sieht man bis zur Grenze des Naturschutzgebiets von Scandola. Die Küste drüben kann man nur vom Meer aus besuchen und ab einer bestimmten Linie ist alles verboten: Bootfahren, Fischen, Angeln – und es gibt moderne Wächter, die auf diese Küste aufpassen! So wird das UNESCO-Weltnaturerbe in der Gesamtheit des Golfs von Porto sehr ernsthaft und gut bewahrt. Es ist eine Küste, die von Ferienhäusern oder Hotels verschont und in ihrem einzigartigen Charakter erhalten geblieben ist. Stundenlang kann man einfach nur dasitzen und schauen, bis dann der Rückweg ansteht mit demselben Höhenprofil. 300 lächerliche Höhenmeter, Schritt für Schritt, denn jetzt, später am Tag, kocht die Macchia erst richtig, schattenlos und duftgeschwängert. Da wird die Gesichtsfarbe bald so dunkelrot wie der Granit dieser herben Landschaft.


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