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Durch das kleinste Hochgebirge der Welt Zwischen Einsamkeit und Overtourismus in der Hohen Tatra

Die Hohe Tatra gilt als das kleinste Hochgebirge der Welt – und gleichzeitig als eines der anspruchsvollsten. In dieser rauen Umgebung haben sich polnische Bergsteiger das Rüstzeug und die Leidensfähigkeit für spektakuläre Winterbesteigungen von Achttausendern geholt. Doch auch im Sommer lockt die Tatra mit rauer Schönheit und einer einzigartigen Mischung aus einsamen Pfaden und touristischen Hotspots.

Von: Thomas Reichart

Stand: 24.10.2024 | Archiv

Hohe Tatra: Panorama über dem Fünfseental | Bild: BR/Thomas Reichart; Lisa Maria Strasser

Bevor man die Wanderwege der Hohen Tatra erkundet, sollte man sich mit den Wegmarkierungen vertraut machen, denn sie unterscheiden sich deutlich vom System der Alpen. Die Farben der Wege auf den offiziellen Karten sind kein Indikator der Schwierigkeit, sondern werden zur Identifizierung der Wege benutzt. Nur bei genauem Lesen der Legende erkennt man, dass die Strichelung die Schwierigkeit anzeigt. Man sollte sich also nicht von blauen Wegen täuschen lassen, die können in der Tatra ziemlich anspruchsvoll sein.

Polnische Fjordlandschaften

Bei Kuznice befindet sich ein Eingang in den Tatra Nationalpark. Um ihn betreten zu dürfen, kann man vorab online für ein paar Zloty Tickets buchen und entspannt an der Kassenschlange vorbeigehen. Zunächst geht es moderat bergauf zur Murowaniec-Hütte und auf breiten, teils gepflasterten und gut frequentierten Wegen weiter zum Czarny Staw Gąsienicowy, dem schwarzen Raupensee. Selbst werktags strömen zahlreiche Wanderer hierher. Seine fast fjordartige Landschaft erinnert eher an Norwegen als an Polen.

Das polnische Garmisch?

Fast an der Fünf-polnische-Seen-Hütte angekommen

Warum in der polnischen Tatra derart so viel los ist, weiß Marian, ein ortskundiger Führer aus Zakopane: „Es gibt 40 Millionen Polen und alle kommen hierher, denn der Bergsport boomt. Das ist, wie wenn es für ganz Deutschland nur Garmisch gäbe und nichts mehr sonst.“ Doch er kennt auch ruhige Ecken und empfiehlt eine zweitägige Wanderung, die einen fernab der Touristenmassen durch die Berge bringt. Nur noch wenige Wanderer umrunden den Raupensee und wagen den steilen, seilversicherten Aufstieg zur Zawrat-Scharte.

Oben angekommen, öffnet sich der Blick auf das Fünfseental, das seinen Namen nicht umsonst trägt – einer der Höhepunkte dieser Tour. Ein See schöner als der andere. An der Scharte beginnt auch der berühmte „Orla Perć“ (Adlerweg), eine 4,5 Kilometer lange, anspruchsvolle Gratwanderung für trittsichere Bergsteigerinnen und Bergsteiger.

Marie Curie und Lenin als Bergsteiger

Wem der Adlerweg zu lange ist, der kann vom Zawrat aus auch den Swinica besteigen, einen der berühmtesten Gipfel der Hohen Tatra. Schon Wladimir Iljitsch Lenin und Marie Curie, übrigens gebürtige Polin, bestiegen den Berg, dessen Form an einen Schweinekopf erinnern soll. Einfacher als diese alpinen Unternehmungen ist der Abstieg zur Fünfseenhütte, die idyllisch direkt am See gelegen ist und an ein Bootshaus erinnert. Der traditionelle Zakopane-Holzbaustil mit seinen spitzen Dächern und vielen Gauben lässt das Herz jedes Holzliebhabers höherschlagen. Und für den Magen bietet die polnische Küche ebenfalls Highlights wie die traditionelle, saure „Zurek“-Suppe.

Grenzgänger mit Fernsicht

Panorama über das Fünfseental

Gesättigt und ausgeschlafen gestaltet sich der Aufstieg zum Szpiglas-Sattel weniger herausfordernd als der Weg zum Zawrat am Vortag. Doch die Aussicht vom 2.172 Meter hohen Gipfel des Szpiglas, über den die Grenze zur Slowakei verläuft, ist mindestens genauso spektakulär wie vom Zawrat: in der Ferne der Rysy, der höchste Gipfel Polens, und direkt davor ein See mit dem etwas sperrigen deutschen Namen „Schwarzer See unterhalb der Meeraugspitze“. Er fließt über einen spektakulären Wasserfall in das berühmte Meerauge oder Morskie Oko.

Wandern als Religion

Meeraughütte aus der Ferne

Morskie Oko ist ein Touristenmagnet, nicht erst, seit ihn das Wall Street Journal vor einiger Zeit zu einem der fünf schönsten Seen der Welt gekürt hat. Neben Karol Wojtyla, dem polnischen Papst Johannes Paul II., der 1997 hierher pilgerte, kommen jährlich unglaubliche 2,5 Millionen Besucher. „Jeder Pole muss diesen Ort einmal im Leben gesehen haben“, erzählt ein Wanderer. Und auch Touristenführer Marian bestätigt mit einem ironischen Blick, dass Wandern in Polen neben dem Katholizismus die zweite Nationalreligion ist. „Die Polen wandern hier sogar im Winter im Schnee, ohne Schneeschuhe.“ Ganz ohne Schnee bringen Pferdekutschen die Touristen über eine acht Kilometer lange, geteerte Straße nach oben. Fahrräder und andere Auf- bzw. Abstiegshilfen sind verboten, daher reihen wir uns ein in die Menge, die den langen Abstieg zu Fuß antritt.


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