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Wiederansiedelung in den Alpen Bartgeier Auswilderung in Berchtesgaden

Der Bartgeier war als "Lämmergeier" verschrien, wurde zum Ziel der Jäger und war zu Beginn des 20. Jahrhunderts alpenweit ausgerottet. Ein langfristiges Artenschutzprojekt in den Alpen brachte den größten Alpenvogel zurück in die Natur. Rund ein Viertel des heutigen Bestands von gut 300 Tieren im Alpenraum stammt aus natürlicher Nachzucht. Zum dritten Mal soll jetzt die Auswilderung zweier Jungtiere in den Berchtesgadener Alpen gelingen.

Von: Georg Bayerle

Stand: 12.05.2023

Bartgeier in den Alpen. | Bild: BR/Michael Knollseisen

Mitte Januar haben Bartgeierweibchen im Innsbrucker Alpenzoo und einer Greifvogelstation in Österreich ihre Eier gelegt. Der auf den ersten Blick verblüffende Zeitpunkt im Hochwinter ist auf den Höhepunkt des Nahrungsangebots in der Natur abgestimmt: Dann, wenn die Frühjahrslawinen in den Bergen Opfer unter Gämsen und Rehwild fordern, ist der Tisch für die Aufzucht von Jungtieren besonders reich gedeckt. In der natürlichen Nahrungskette sind die Bartgeier die Letzten: Ihre Hauptmahlzeit sind die Knochen, die sie je nach Größe aus der Luft auf Felsen fallen lassen, damit sie in kleinere Teile brechen, die sie dann am Stück hinunterschlingen. Wegen dieser besonderen Nahrungsweise an den so genannten Knochenschmieden, tragen die Bartgeier in Spanien den Namen „Quebrantahuesos“, zu deutsch „Knochenbrecher“. In der natürlichen Umwelt nimmt dieser majestätische Gleiter so einen besonderen Platz als Sauberkeitspolizist der Wildnis ein.

Nachwuchs bei den Bartgeiern. Drei Jungtiere sollen in den Berchtesgadener Alpen ausgewildert werden.

Weil diese spezialisierten Aasfresser einst als „Lämmergeier“ verschrien waren, die angeblich Jagd auf Schafe machen, wurde der Bartgeier zum Ziel der Jäger, bis er Anfang des 20. Jahrhunderts alpenweit ausgerottet war. 1986 startete dann eines der großen Wiederansiedlungsprojekte ausgestorbener Tierarten in den Alpen mit ersten Auswilderungen von in Gefangenschaft aufgezogenen Jungvögeln. An besonderen Plätzen von den französischen Alpen bis in die Hohen Tauern wurden seither über 200 Jungvögel ausgewildert. 1997 wurde die erste erfolgreiche Aufzucht in freier Wildbahn beobachtet. Rund ein Viertel des heutigen Bestands von gut 300 Tieren in den Alpen stammt aus natürlicher Nachzucht. Zum ersten Mal soll jetzt die Auswilderung dreier Jungtiere in den Berchtesgadener Alpen gelingen.

Dafür wurde ein Platz in einem abgelegenen Bergtal vorbereitet, an dem die zunächst flugunfähigen Jungtiere ausgesetzt werden. Hier sollen sie sich an die natürliche Umgebung gewöhnen und werden solange mit Aas gefüttert, bis sie ausfliegen.

In den Allgäuer Alpen lassen sich Bartgeier beobachten.

Die Chance, Bartgeier zu beobachten, war bereits in den vergangenen Jahren auch in den Bayerischen Alpen groß: Besonders in den Berchtesgadener Alpen und im Allgäu wurden regelmäßig Beobachtungen von Bartgeiern gemeldet. In den Lechtaler Alpen in Tirol gab es zuletzt auch Brutversuche eines Bartgeierpaares. Weil mehrere der ausgesetzten Vögel besendert wurden, konnten im Zuge des Projekts auch die Flugbewegungen dokumentiert werden. Tagesreisen von mehr als 500 Kilometern sind keine Seltenheit. Mit bis zu 2,9 Metern Spannweite zählt der Bartgeier zu den besten Gleitern, ohne Flügelschlag legt er mühelos große Strecken zurück. In oft spielerischen Revierkämpfen mit anderen Vögeln wie zum Beispiel Raben, zeigen Bartgeier aber auch eine überraschende Wendigkeit.

Die Grafik zeigt den Bartgeier im Vergleich mit anderen Vögeln

Seinen deutschen und lateinischen Namen hat der „Gypaetus Barbatus“ von den borstenartigen schwarzen Federn, die ihm über den Schnabel hängen. Die Augen sind von einem roten Skleralring umgeben, der umso intensiver erscheint, je mehr sich das Tier erregt. Das weiße Brustgefieder färbt der Vogel rötlich ein, indem er Hals und Brust in Wasserstellen badet, in denen eisenoxidhaltiger Schlamm vorkommt. Die Hintergründe dieses Verhaltens sind bisher unbekannt. Typischer Lebensraum des Bartgeiers ist die Region über der Baumgrenze in Höhenlagen zwischen 1.500 und 3.000 Meter in den Alpen. Er bevorzugt Standorte in schroffen Tälern mit großen Höhenunterschieden, wo sich gute thermische Bedingungen ausbilden und Aufwinde auftreten, die er für seine Streifzüge nutzt. Paare beanspruchen ein Revier von bis zu 400 Quadratkilometern, was ebenfalls zeigt, wie groß der normale Bewegungsradius des größten Alpenvogels ist. Das extreme Profil des Nationalparks Berchtesgaden entspricht dem bevorzugten Lebensraum der Bartgeier genau. Wenn die in die freie Natur ausgesetzten Jungvögel flügge sind, werden sie allerdings ihre Heimat zunächst zu weiten Erkundungsflügen verlassen. Die Hoffnung ist aber, dass sie zurückkehren und so wie bisher zum Beispiel in den Hohen Tauern auch in den bayerischen Alpen wieder dauerhaft ansässig werden.


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