Skitour auf den Eggberg im Prättigau Unterwegs im Bergsteigerdorf St. Antönien
St. Antönien befindet sich – so heißt es in der Selbstbeschreibung heißt: „hinter dem Mond links“, also weit weg von allen Dingen. Ein idealer Standpunkt somit für alle, die Alpinerlebnisse in ungestörter Bergnatur suchen.

Es ist schon ein wenig seltsam, das Gefühl, in einem 300 Einwohner-Dorf zu leben, in dem es passieren kann, dass die einzige Straße wegen Lawinengefahr gesperrt wird, sagt Ernst Flütsch, ehemaliger Gemeindepräsident von St.Antönien.
Im „Laubänähus“, dem Haus der Lawinen, erzählt eine Ausstellung die Geschichte der Zerstörungen und Opfer, die es hier gegeben hat. Im Jahr 1635 waren einmal 30 Lawinentote zu beklagen. Diese Naturgefahr hat sich tief ins Bewusstsein der Bewohner eingeprägt. Seit 60 Jahren hat es keinen Lawinentoten mehr im Dorf gegeben, dank der Schutzverbauungen, die hier insgesamt 14 Kilometer lang sind, aber auch infolge des Klimawandels, der weniger Schnee bringt.
Die Menschen, die sich im Zuge der großen Walserwanderung am Ende des Mittelalters hier angesiedelt haben, behaupten sich durch die Jahrhunderte hindurch und pflegen einen sanften Tourismus in dem alten Walserdorf. So verkörpern der Ort mit seinen Blockhäusern, die Bergbauernlandschaft und Menschen wie Ernst Flütsch diese besondere, gewachsene Bergler-Kultur der Bergsteigerdörfer. Deswegen hat sich St. Antönien ganz dem naturnahen Tourismus verschrieben und wurde 2021 als erster Ort in der Schweiz Mitglied der Alpenvereinsinitiative der „Bergsteigerdörfer“, die für gewachsene alpine Orte ohne große technische Infrastrukturen und intakte Bergnatur stehen. Das Bergsteigerdorf ist mit der Rhätischen Bahn und dem Postauto gut erreichbar.
Tatsächlich führt das alte Walserdorf zwischen den Davoser Bergen und dem Rätikon ein ganz eigenes, stilles Leben. Im alteingesessenen, feinen Gasthof neben der Kirche treffe ich gleich beim Frühstück andere Tourengeher, die schon am Vortag unterwegs waren und sich hier auskennen. Franziska und Christoph kommen oft mit dem öffentlichen Bus hierher, schätzen die Natürlichkeit des Bergdorfs und das spannende Tourengebiet von leicht bis schwierig. In St.Antönien gibt es wegen seiner abgeschlossenen hohen Lage immer ein bisserl mehr Schnee.
Der Hausberg von St.Antönien, der Eggberg, ist das Skitourenziel der Wahl für diesen Tag. Am Dorfausgang auf 1400 Metern geht es los und erst einmal hinein ins Gafiatal, das zur Madrisa hinaufzieht. Blockhäuser, steile Bergflanken und Felstrümmer in Wohnhausgröße von früheren Felsstürzen prägen das Bild der hochalpinen, wilden Landschaft. Dann öffnet sich weites, kupiertes Almgelände mit mäßig steilen Hängen bis hinauf zum Gipfelgrat des Eggbergs. Sie sind wenig lawinengefährlich, aber nordseitig ausgerichtet und damit schneesicher.
Erst 800 Meter höher, am Gipfelgrat, treffe ich zwei weitere Tourengeher. Obwohl der Eggberg nur 2200 Meter hoch ist, laufen wir wie auf einem Aussichtssteg durchs Gebirge und blicken auf die bizarren Felsformationen des Rätikon im Norden und auf das weiße Gipfelmeer rundherum. Kein Wunder, dass die beiden Tourengeher wollen, dass ich ein Foto von ihnen mache, wobei es ihnen gar nicht um das Panorama geht – sie brauchen vielmehr den Beweis für Zuhause, dass sie nicht den ganzen Tag in der Wirtschaft gesessen sind! Roman und Cornel sind im bedächtigen, aber stetigen Schritt auf den ihnen wohlbekannten Skiberg gestiegen. Die leichte, je nach Kondition zwei- bis dreistündige Skitour ist ein dankbares Ziel für die beiden Achtzigjährigen.
Chapeau, meine Herren, denke ich - und nachdem ich das Mikrofon ausgepackt habe und sie erfahren, dass ich vom Radio bin, erweisen sie sich als waschechte Vertreter der Schweizer Volksmusik und stimmen ohne Federlesens einen zweistimmigen Jodler an. Auch wenn Cornel mit der Oberstimme etwas aus der Spur gerät, schmunzeln sie zufrieden: „Etwas Frostschaden, aber sonst…“ Zweistimmig, auf 2200 Meter Höhe, im Windchill bei Minusgraden – das gibt es nicht alle Tage, sondern, wie es im Lied heißt, „nur auf den Alpen oben!“ Das Beweisfoto, dass sie nicht den ganzen Tag im Wirtshaus waren, schicke ich ihnen später per Mail, damit sie auch morgen wieder losdürfen zum Jodeln in ihrer herrlichen Bergnatur.