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Stalins Alpinisten und der Fall Abalakow Zwei Schlüsselfiguren des sowjetrussischen Bergsteigens

Pik Lenin und Pik Kommunismus hießen lange Zeit zwei der höchsten Berge des Pamir-Gebirges, das im Grenzbereich von Tadschikistan, Kirgistan, Afghanistan und China liegt – Bergnamen mit politischer Bedeutung und einer der Schauplätze der Hochphase des russischen Bergsteigens, von der hier wenig bekannt ist.

Von: Georg Bayerle

Stand: 04.12.2021 | Archiv

Zwei Schlüsselfiguren des sowjetrussischen Bergsteigens | Bild: Lorenz Saladin; copyright Tyrolia

In den 1930er Jahren rühmte sich die Sowjetunion, über das größte Kontingent an Bergsteigern zu verfügen, die über 7000 Meter hinaufgestiegen sind. Zwei Schlüsselfiguren dieser Epoche waren die Brüder Abalakow, über die jetzt ein neues Buch erschienen ist mit dem Titel „Stalins Alpinisten“.

Anmarsch zum Khan Tengri über den Engiltschek-Gletscher

Pamir, Tian Shan, Kaukasus – in Deutschland ist nur das letztgenannte Gebirge einigermaßen geläufig als neues exotisches Skitourenziel und weil die Wehrmacht 1942 den Elbrus erreichte. Deutsche Soldaten sind dort auch mit Jewgeni Abalakow zusammengestoßen, einem der beiden legendären Bergsteiger-Brüder in der Sowjetunion. Der Russlandgrieche Alexios Pasalidis, der noch zu Sowjetzeiten als Bergführer im Kaukasus gearbeitet hat und heute eine Bergreiseagentur in Potsdam führt, wird beim Namen Abalakow geradezu ehrfürchtig, denn die beiden Brüder Abalakow haben überall in den einst sowjetrussischen Gebirgen ihre Spuren hinterlassen, auch durch Erstbesteigungen wie auf den früheren Pik Kommunismus und die Entwicklung von zahlreichen alpinistischen Techniken. Die bekannte Eissanduhr des Witali Abalakow ist zum Beispiel eine Technik, um einen Sicherungspunkt im Eis anzulegen. Die Abalakows entwickelten sich zu Meistern des Eiskletterns und der Berge, obwohl sie fern von ihnen aufgewachsen sind.

Die Brüder Abalakow

Witali und Jewgeni Abalakow wurden so etwas wie ein russischer Anderl Heckmair, und genauso wie der Eiger-Nordwand-Bezwinger hatten die Abalakows eine alpinistische Hochphase in den 1930er Jahren. Bergsteigen wurde damals zum Massensport und zu einer Paradedisziplin des Sozialismus. Auf diesem Höhepunkt des sowjetrussischen Alpinismus fanden sogar Arbeiter-Expeditionen mit internationalen kommunistischen Gesinnungsgenossen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz statt, unter ihnen der Münchner Otto Herzog. 1937 allerdings kippt dann die Lage, Stalins Terror trifft auch Berghelden wie Witali Abalakow trifft.

Witali (links) und Ewgeni beim Klettern in Kara Su

Das Buch im Tyrolia Verlag richtet den Scheinwerfer auf eine packende Geschichte, die alpinistischen Aufbruch, die Faszination der Gebirge und die kommunistischen Ideale des Arbeiter- und Bauernstaats vereint. Bergführer Alexios Pasalidis erinnert sich heute noch an die nach dem Zweiten Weltkrieg wiederbelebten „Bergsteigerlager“. Im Lager der Alpiniade 1974, das er organisiert hat, erlebt Witali Abalakow eine seiner düstersten Stunden, als er am 8.August den letzten Funkspruch einer Frauenseilschaft entgegennimmt: Acht Teilnehmerinnen kommen im Schneesturm am Pik Lenin ums Leben. Der bekannte französische Autor und Reiseschriftsteller Cédric Gras hat nach dem Zerfall der Sowjetunion in den Archiven recherchiert und ist den Lebens-Stationen der Abalakows auch bergsteigend nachgereist. Er schreibt die Lebensgeschichte dieser Alpinisten wie ein Reporter, der dabei war, oft klingt es so, als würde er danebenstehen.

So wird dieses Buch zu einer spannenden Entdeckungstour in mehrfacher Hinsicht: „Stalins Alpinisten. Der Fall Abalakow“, von Cédric Gras, Tyrolia, 2021. ISBN 978-3-7022-3972-5


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