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Klimawandel in der Silvretta Sommer-Tour auf den bröckelnden Piz Buin

Mit 3312 Metern ist der Große Piz Buin der höchste Berg Vorarlbergs und ein beliebtes Ziel. Doch sein benachbarter Zwilling, der Kleine Piz Buin – scheint dem Verfall preisgegeben. Steinschläge und Felsabbrüche donnern durch die Flanken, im Juni gab es nicht weit von dort einen gewaltigen Felssturz am Fluchthorn. Wie lange steht der Gipfel noch?

Von: Folkert Lenz

Stand: 29.06.2023

Sommer-Tour auf den bröckelnden Piz Buin | Bild: BR; Folkert Lenz

So fühlt es sich bei der Besteigung manchmal an, als ob einen der Berg abwerfen will: Es rumpelt, kracht und donnert in der Flanke vom Kleinen Piz Buin. Kühlschrankgroße Steinbrocken poltern durch die bröselnde Felswand. Sie splittern, brechen, bersten - und giftgelbe Sandfahnen ziehen über den sommerlich dreckigen Ochsentaler Gletscher.

Zügig ist man so im oberen Becken vom Ochsentalgletscher

Selbst Bergführer Josef Lorenz ist beeindruckt von dem Schauspiel in der Buin-Scharte: „Dass es so fest raucht und die Staubwolken aufgehen, das habe ich selber noch nicht so oft so massiv gesehen.“ Dabei kennt der Galtürer den Piz Buin schon sein Leben lang. Er wirkt durchaus geschockt, wie sich die heimische Bergwelt im oberen Paznauntal in den letzten Jahren verändert hat. Dabei war am Morgen, beim Tourenstart, noch alles in Ordnung. Von der Wiesbadener Hütte lässt sich der Aufstieg gut studieren, ebenso die Geografie des schweizerisch-österreichischen Berges: Hinter ihm im Süden teilt sich das Ober- und das Unterengadin, das Paznauntal und das Montafon werden im Norden von der nahen Bieler Höhe getrennt.

Auch wenn Hochtouren angesichts des Klimawandels gerade gefährlicher werden, so ist die Anziehungskraft des höchsten Vorarlberger Gipfels ist ungebrochen. Dutzende Alpinisten brechen täglich in der Früh an der Hütte auf, um dem Piz Buin aufs Dach zu steigen. Meist folgen sie dem Weg zur Mittelmoräne des Ochsentalgletschers und zum Gletschertor hinüber, das bislang eine Landmarke war. Jetzt schmilzt das Tor dahin und dürfte in Kürze wohl ganz verschwunden sein.

Immer schneller ist im Sommer der Schnee auf dem Gletscher verschwunden.

Die Wegfindung wird selbst für Bergführer wie Josef Lorenz immer schwieriger, besonders im Sommer. Denn fehlt die Schneeauflage, ist der Ochsentaler Gletscher auf dem Normalweg kaum noch passierbar. So muss die Route immer wieder verlegt werden, auch, weil das Eck zwischen Silvrettahorn und Piz Buin ziemlich steinschlaggefährdet ist. So sind am Normalweg neue Routen entstanden. Aber auch die Umgehungsrouten änderten sich mittlerweile von Jahr zu Jahr, sagt der Bergführer. Er schlägt an diesem Morgen deshalb einen anderen Weg als üblich ein. Über blankes Eis, das mit Steinen und Geröll gespickt ist, geht es bergauf. Lorenz und seine Bergführer-Kollegen haben sich einen neuen Anstieg gesucht, um dem Steinschlag, steilen Eispassagen und unsteten Spaltenzonen am Normalweg zu entgehen. In der Mitte des Ochsentalgletschers kann man über einen eisfreien Felsaufschwung aufsteigen.

Ein flaches Schuttfeld führt schließlich zum Gipfel.

Nach zweieinhalb Stunden ist die Scharte zwischen Kleinem und Großem Piz Buin erreicht ist. Dort poltert es wieder unüberhörbar. Das Dauer-Bombardement hört gar nicht mehr auf. Nur Lebensmüde nutzen die Stelle deshalb noch zum Rasten – und Alpinisten, die die Gefahr nicht erkennen und deshalb den traditionellen Frühstücksplatz ansteuern.  Dabei gehen sowohl auf der österreichischen Buin-Seite wie auch auf der Schweizer Seite Steinlawinen ab.

Immer noch anziehend: Gipfel vom Großen Piz Buin (3312 m).

Die Gipfelstürmer sind meist froh, wenn sie den Nordwestsporn erreicht haben. Nur noch ein paar Felsstufen und der legendäre „Kamin“ trennen sie dann vom Schuttfeld, das zum höchsten Punkt hin gemächlich ansteigt. Bleibt noch die Frage, warum das rätoromanische „Buin“ übersetzt schlicht „Ochsenspitze“ heißt. Josef Lorenz kennt den historischen Hintergrund: Die Bergbauern auf der Schweizer Seite waren vor Jahrhunderten auf der Suche nach Weidegründen für ihr Vieh. Weide war sehr rar und jeder Grashalm sehr wertvoll. Weil die hochalpinen Übergänge seinerzeit gletscherfrei waren, konnten sie mit dem Vieh hin- und herwandern. Hornviecher werden heutzutage trotz Klimawandels nicht am Piz Buin gesichtet, wohl aber Herden von Alpinisten, die angesichts des Gipfel-Panoramas ins Staunen verfallen: Die Sicht reicht von der Weißkugel über den Ortler und Piz Palü bis zum Monte-Rosa-Massiv.


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