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Fernweh – Nepal Am Dach der Welt

Nepal – das ist das Sehnsuchtsland für Höhenbergsteiger, aber auch für Wanderer und Trekker. Das einstige Königreich zwischen Indien und Tibet erstreckt sich über alle Höhenstufen der Erde und entsprechend vielfältig sind seine Bewohner. Wer in Nepal unterwegs ist, das Panorama und die Gastfreundschaft der Bewohner genießt, der spürt meistens auch den Kontrast zwischen den Postkartenmotiven und der Lebensrealität vieler Menschen.

Von: Georg Bayerle, Manfred Wöll, Ernst Vogt

Stand: 01.11.2019 | Archiv

Auf einer Liste der Länder, die nach Wirtschaftskraft geordnet ist, belegt Nepal ungefähr Platz 160 von 190 weltweit. Nepal liegt damit im Bereich von Äthiopien oder Uganda. Was für ein Widerspruch: Das Land mit den gewaltigsten Bergen und den teuersten Expeditionen findet sich im Armenhaus dieser Erde wieder. In Fernweh auf Bayern 2 „Nepal – Am Dach der Welt“ beleuchten wir beide Seiten: das große Naturschauspiel der höchsten Berge der Erde und die soziale Situation, zum Beispiel in einem Kinderhaus in der Nähe von Kathmandu.

Trekking rund um den Mount Everest

Blick über die Ausläufer des Ortes Namche Bazar.

Der erste Eindruck von Nepal aber hat noch nichts mit seinen bergsteigerischen Schönheiten zu tun. Die Hauptstadt Kathmandu ist nicht nur ein Schmelztiegel verschiedener Kulturen und Religionen, sondern beschert den Reisenden zunächst einmal Lärm, Autos und Mopeds ohne Ende – und alle mit Hupe! Doch wer diese aufregende Stadt verlassen und am Anfang einer langen Wanderung in einem der zahlreichen Tempel einem buddhistischen Gottesdienst gelauscht hat, der bekommt so langsam ein Gefühl vom Rhythmus in diesem Land und taucht ein in das Trekking-Erlebnis Nepal.

"Hum Mani Padme Hum" - diese buddhistische Gebetsformel, auf die man überall in Nepal trifft, gibt eigentlich schon das Tempo vor, das man auf Trekkingpfaden anschlagen sollte: langsam, aber beständig mit Ausdauer. Schritt für Schritt und immer bemüht keine große Sauerstoffschuld einzugehen, arbeitet man sich hoch auf 4000 Meter oder auf über 5000 Meter und sollte dabei nicht vergessen, die am Wegesrand stehenden Gebetsmühlen zu drehen. Sind sie in Bewegung, dann bringt das dem tibetischen Glauben nach Glück und Zufriedenheit.

Begegnung mit einem Yak.

Auf den Höhenwegen begegnen einem immer wieder Yaks. Die zotteligen Rinder werden hier im zentralasiatischen Hochgebirgsland als Lasttiere genutzt und ziehen mit schier unendlichem Gleichmut über die Pfade. An ihrer Gelassenheit könnte sich auch der Trekker ein Beispiel nehmen, doch spätestens dann, wenn das erste Mal der Mount Everest in Sicht kommt, ist es aus mit der stoischen Ruhe. Kein Bildband kann da mit der Realität konkurrieren!

Trekking aber hat nicht nur diese eine, angenehme Seite. Es kommt häufig vor, dass Kondition und Wohlbefinden durch die ungewohnte Höhe, durch eine Erkältung oder eine Durchfallerkrankung beeinträchtigt werden. Für viele Trekker heißt das dann absteigen oder zumindest auf einen Gipfel verzichten. Wer aber durchhält, steht dann irgendwann zum Beispiel am Everest Base-Camp.

Die letzten Meter auf dem Grat vor Erreichen des Island.

Wanderer, die ihre Trekking-Tour genießen und womöglich auch einen hohen Gipfel besteigen wollen, vielleicht einen 6.000er wie den Island Peak, müssen gesund bleiben - und das ist in diesen Höhen in einem fremden Land nicht selbstverständlich. Im Wesentlichen sind es drei Dinge, die man vermeiden sollte: erstens eine Erkältung, denn der Körper hat genug mit der Anpassung an die Höhe zu kämpfen, mit dem veränderten Klima, den anderen Essgewohnheiten und daher nicht die Kraft, rasch eine Erkältung zu beseitigen. Die Erkältung bleibt und schwächt den Körper immens.

Das zweite Problem ist Durchfall, weshalb es sich empfiehlt nur abgekochtes Wasser zu trinken und beim Zähneputzen das Wasser aus den gekauften PlastikfIaschen zu nehmen – und generell gilt: viel Hände waschen.

Das dritte Problem für Trekker ist die Höhe – vor allem wenn es über 5000 Meter hinausgeht. Wer meint, die Älteren seien womöglich besonders anfällig für die Höhenkrankheit, der irrt. Gerade die jungen Leute trifft es öfter, da sie die Trekkingtour in den ersten Tagen gerne zu schnell angehen. Wichtig ist zudem, unterwegs viel zu trinken.

Erdbebensichere Schulen für Nepal

Nepal ist nicht nur das Land der Achttausender, der Hochwüsten und der Rhododendron-Wälder. Dies haben vor rund dreißig Jahren auch vier Polizisten aus Beilngries festgestellt.

Vorschulklasse

Während sich viele Menschen Gedanken machen über dieses soziale Gefälle und oft auch etwas Geld spenden, haben die vier Bayern ihre Gedanken gleich in die Tat umgesetzt und die „Nepalhilfe Beilngries“ gegründet, die bis heute 27 Schulen in Nepal gebaut hat. An einigen Orten werden in diesen Tagen in Nepal auch erdbebensichere Neubauten eingeweiht, denn beim großen Erdbeben im April 2015 waren viele Schulen komplett zerstört worden.

Den Bolzplatz mögen die Schüler am liebsten

Kinder toben vor dem tiefblauen Himmel auf gut 1500 Meter Höhe dem Ball hinterher, schießen auf einfache aus Stecken zusammengeschnürte Tore - es ist Pause in der Shri Setidevi Secondary School in Thulosirubari. Nichts erinnert mehr an die Stunde null im April 2015, die der heutige Rektor der Schule bei sich zuhause erlebt hat. Weil sich das Erdbeben an einem Samstag ereignet hat, waren zum Glück keine Kinder, sonst hätte es wohl Tote gegeben. Wie ein Sandwich sind die drei Stockwerke der alten Schule aufeinander gekracht. Hier im grünen Bergland knapp 100 Kilometer nordöstlich von Kathmandu lag das Epizentrum des Bebens. Die alte Schule, weiß gestrichen und oben auf dem Berg gelegen, war berühmt als „Weißes Haus“, weil man es sogar im Touristenort Nagarkot sehen konnte. Daher kamen öfters Reisende vorbei, die glaubten, dass es sich um einen besonderen Tempel oder ein Hotel handeln würde.

Das neue Schulgebäude steht

Nun ist der Neubau fertig: In sonnenhellem Gelb leuchtet das Schulhaus auf dem Bergkamm, und auch die Menschen haben sich vom damaligen Schock erholt. Im ersten Jahr nach dem Erdbeben wurde quasi unter freiem Himmel unterrichtet und viele hatten noch Angst. Die Kinder erhielten dann auch eine psychologische Betreuung, die neuen Gebäude sind erbebensicher. Die Statik der Gebäude mit doppelt verstärkten Eckenpfeilern, Säulen und Decken wurde nach neuesten Berechnungen errichtet, und das unter widrigen Bedingungen, berichtet Sunil Shresta, der einheimische Koordinator der Nepalhilfe Beilngries. Schon beim ersten Bau blieb der Jeep regelmäßig im Schlamm stecken und man musste dann ein bis eineinhalb Stunden laufen, um hierher zu kommen. Doch all diese Schwierigkeiten waren nichts im Vergleich zum Leben der Kinder, die zumeist aus armen Familien aus den umliegenden sieben Dörfern stammen. Jetzt haben sie sehr gut eingerichtete Klassenzimmer für ihre Ausbildung – und das war und ist jede Mühe wert, resümiert Sunil Shresta.

In der 10.Klasse geht's um die Zukunft

Über 400 Kinder von der Vorschule bis zur 10. Klasse lernen allein in dieser Schule. 27 Schulen hat die Nepalhilfe insgesamt gebaut, 14 davon wurden seit dem Erdbeben 2015 ganz oder teilweise wiederaufgebaut. Fast schon ein Lebenswerk, das denkbar einfach begonnen hat. 1990 waren Manfred Lindner und Christian Thumann, zwei der vier Polizisten aus Beilngries, auf der Annapurna-Umrundung unterwegs und hatten sich damit einen Trekkingtraum erfüllt haben. Doch wie viele Nepalreisende waren auch sie mit offenen Augen unterwegs und nahmen neben all den schönen Erfahrungen und Erlebnissen auch die große Armut wahr. Tausende von Dias brachten sie mit von der Reise, veranstalteten Vorträge, sammelten Geld und machten sich 1992 erneut auf den Weg. Manfred Lindner traf dabei auf zwei Nepali, die von da an die Entstehung der Nepalhilfe Beilngries entscheidend geprägt haben: In Kadambas, einem Bergdorf ungefähr 100 Kilometer nordöstlich von Kathmandu, entstand die erste Schule.

Schulschluss

Aus der einmaligen Spendenaktion wurde ein langfristiges Hilfsprojekt, das inzwischen seit knapp 30 Jahren immer umfangreicher geworden ist und mittlerweile 27 Schulen ermöglicht hat. Die vier Polizisten aus Beilngries schauten jedes Jahr nach dem Rechten und engagierten sich ehrenamtlich. Mit ihrem guten Ruf als Polizisten holten sie Ausrüstungsfirmen und berühmte Bergsteiger wie Hans Kammerlander, Gerlinde Kaltenbrunner oder Ralf Dujmovits ins Boot. Sie garantieren, dass jeder Spendeneuro direkt in die Projekte fließt. Die Unkosten für Projektreisen oder die beiden Koordinatoren vor Ort bestreiten sie aus dem Verkauf der Nepalhilfe-Kalender. Zudem gibt es kein Projekt, das sie nicht von Anfang an begleitet haben, erklärt Ralf Petschl, der heutige Vorstand der Nepalhilfe Beilngries.

Stolze Schulleiterin

Anfang November werden nun die letzten der wiederaufgebauten Schulen vor Ort eingeweiht. Sie sind gebaut nach neuesten statischen Berechnungen, so dass die Gebäude als erdbebensicher gelten. Ein anderes Projekt der Anfänge, das Kinderhaus Shaligram für Waisen und Halbwaisen, hat das Erdbeben schadlos überstanden. Hier stehen die ersten, die als Kleinkinder in dieses Nepalhilfe-Heim kamen, inzwischen als junge Erwachsene im Beruf. Eine davon ist die 28-jährige Shamila, eine elegante junge Frau, die sogar ein wenig deutsch spricht und ein Praktikum bei Audi absolviert hat. Nach dem frühen Tod der Mutter wurde sie vom Vater in ein Heim gebracht und von dort weiter vermittelt ins Kinderhaus der Nepalhilfe. Nach dem Schulabschluss hat eine Ärztin aus Ingolstadt über die Nepalhilfe Shamilas Ausbildung finanziert. Eigentlich wollte sie Ärztin werden, erzählt Shamila, aber es hat dann doch nicht mit einem wissenschaftlichen Studium geklappt. Sie hat dann Management studiert, dabei das Rechnungswesen entdeckt und festgestellt, dass das ihre wahre Leidenschaft ist. Seit fünf Jahren arbeitet sie nun im Controlling eines Krankenhauses, hat geheiratet und ist mit dem ersten Kind schwanger. Wenn ich damals nicht ins Kinderhaus gekommen wäre, sagt Shamila, wäre ich heute nicht ein unabhängiger Mensch mit einer guten Ausbildung. So aber ist Shamila ein Beispiel von vielen in einer Geschichte, die mit einer Trekkingtour vor knapp 30 Jahren begann.

Sozialprojekt im Himalaya

Gaby Hupfauer lernt Helferin an

Sie ist seit ihrem 10. Lebensjahr im Gebirge unterwegs und seit mehr als 40 Jahren Höhenbergsteigerin: Gaby Hupfauer aus Pfaffenhofen im Landkreis Neu-Ulm. Jahrelang trug sie einen Herzenswunsch mit sich herum: einmal in einem sozialen Projekt im Himalaya-Gebiet zu arbeiten. Nach ihrer Pensionierung hat sie diesen Wunsch im Kinderhaus in Dhapakel verwirklicht.

In der Nachbarschaft des Kinderhauses

Gaby Hupfauer war lange Zeit die erfolgreichste deutsche Höhenbergsteigerin – mit drei Achttausendern, die sie zwischen 1986 und 1990 bestiegen hat. Sie war jeweils die erste deutsche Bergsteigerin auf dem Broad Peak, dem Gasherbrum II und dem Cho Oyu. Nach ihren Expeditionen, die sie mit ihrem Mann, dem Bergführer Sigi Hupfauer, unternommen hat, war sie häufig auf Trekkingtour in Nepal unterwegs. Eineinhalb Dutzend Male wanderte sie von Dorf zu Dorf, meist als Leiterin einer Trekkinggruppe. Gut vier Jahrzehnte nach ihrem ersten Besuch in Nepal wollte sie dem Land etwas zurückgeben. Eine „glückliche Fügung“ – so die schwäbische Höhenbergsteigerin – wollte es, dass sie in den Nachrichten der Nepalhilfe Beilngries auf die Anzeige stieß: „Volontärin gesucht“. Kurzentschlossen fragte sie an, ob man da auch ein „älteres Semester“ wie sie brauchen könne.

Kinder aus sozial schwachen Familien

Kinder beim Waschen

Gaby Hupfauer vereinbarte ein sechswöchiges Volontariat im Kinderhaus Dhapakel, 18 Kilometer von Kathmandu entfernt. Zehn Kinder werden in diesem eigenständigen Haus von einer nepalischen Leiterin betreut, die meisten davon Waisenkinder. Darunter ist auch ein siebenjähriger Bub, der von seinem blinden Vater allein nicht mehr versorgt werden kann. Das Kinderhaus Dhapakel sei von der Regierung anerkannt, erhalte aber keinerlei staatliche Unterstützung, erzählt die engagierte Höhenbergsteigerin.

Hauptaufgabe: Hosen kürzen

Als Näherin aktiv

Sie kam nicht mit leeren Händen nach Nepal, hatte vor allem Kinderkleidung dabei, die von den Mitgliedern ihrer Gymnastikgruppe in Beuren gespendet wurde. Zum Erstaunen der Kinder brachte Gaby Hupfauer auch eine Nähmaschine mit. Die leistete wertvolle Dienste. Allein in den ersten drei Wochen nähte und flickte die Volontärin jede Menge T-Shirts, Hosen und Jacken. Außerdem leistete sie Hilfe zur Selbsthilfe. Sie brachte einer Helferin aus dem Kali-Gandaki-Tal das Nähen bei. Nach der Abreise von Gaby Hupfauer hat jetzt die Helferin alle Hände voll zu tun. Sie muss vor allem Hosen kürzen, die den nepalischen Kindern oft zu lang sind.

Dreimal am Tag Reis mit Linsen

Traditionelles Reisgericht

Im Kinderhaus Dhapakel hat Gaby Hupfauer ihre Rolle schnell gefunden. Die Kinder nannten sie bald nur noch „our German Oma“. Als g’standene Hausfrau mit bayerisch-schwäbischen Tugenden half sie der jungen Kinderhaus-Leiterin, den Tagesablauf besser zu organisieren und das Putzen effektiver zu machen. Außerdem legte sie mit den Kindern zusammen einen gepflasterten Weg von der Straße zum Haus an. An die nepalische Küche musste sich die Bergsteigerin erst gewöhnen: Dreimal am Tag gab es Reis mit Dal, einer Art Linsengemüse. Aufgrund der hohen Preise waren Obst und Gemüse Mangelware. Ab und an wurde ein Apfel – das Kilo für drei Euro – gekauft; dieser wurde dann unter zehn Kindern aufgeteilt.

Ausflug in den Zoo

Gaby Hupfauer bilanziert: „Da muss man den Lebensstandard gewaltig herunterschrauben.“ In den sechs Wochen ihres Aufenthalts im nepalischen Kinderhaus ist ihr bewusstgeworden, in welchem Überfluss wir in Bayern leben. Dennoch konnte sie den Kindern einige Extras spendieren. Die Gruppe, mit der sie vor Beginn ihres Volontariats den Heiligen Berg Kailash umrundet hatte, hatte ihr etwas Geld dagelassen. So organisierte die „German Oma“ jede Woche einen Ausflug in der Umgebung. Vor allem der Besuch des Zoos in Kathmandu kam hervorragend an; viele der betreuten Kinder hatten vorher noch nie einen Elefanten oder einen Tiger gesehen. Mit den gespendeten Mitteln wurden aber auch ein Tisch und ein Kleiderschrank beim örtlichen Schreiner in Auftrag gegeben sowie ein neuer Kochtopf und ein Trinkwasserfilter angeschafft.

Unglaublich viel Herzlichkeit

Verabschiedung der German-Oma

Sigi Hupfauer, mit acht Achttausendern einer der erfolgreichsten deutschen Höhenbergsteiger, machte seiner Frau nach deren Rückkehr ein Kompliment für ihren Einsatz. Ihm imponiert vor allem, dass sie zu den einfachen Menschen und zu den Kindern einen so guten Zugang gefunden habe. Das Resümee der schwäbischen Bergsteigerin: „Ich habe unglaublich viel Herzlichkeit erfahren.“ Sie wollte nicht nur Volontärin sein, sondern ist in ihrer Rolle als Oma vom Kinderhaus Dhapakel voll aufgegangen.

Für Gaby Hupfauer blieb es nicht bei einem „Volontariat“ im Kinderhaus. Zwei Jahre nach ihrem ersten Besuch kehrte sie für einige Wochen wieder zurück. Keine Frage: Die Wiedersehensfreude war beiderseits groß.


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