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Notfall-Stützpunkt für Kletterer in der Laliderer Nordwand Das Konrad-Schuster-Biwak im Karwendel

Die Laliderer Nordwand im Karwendel zählt zu den bedeutendsten Wänden im Alpenraum: Rund 900 Meter ist sie hoch, die dort bestehenden Kletterrouten bilden die Alpingeschichte ab. Schon kurz vor dem Ersten Weltkrieg versuchten sich hier die jeweils Besten einer Klettergeneration.

Von: Kilian Neuwert

Stand: 21.07.2023 | Archiv

Notfall-Stützpunkt für Kletterer in der Laliderer Nordwand | Bild: BR; Kilian Neuwert

Wer eine der Routen durchstiegen hat, der ist oft spät dran. Aus diesem Grund – und um Kletterern bei schlechtem Wetter Schutz zu bieten – wurde 1971 das Konrad-Schuster-Biwak kurz unter dem Gipfel der Lalidererspitze errichtet. Heute ist die Biwakschachtel auch ein beliebtes Ziel von Wanderern, was die Verantwortlichen ebenso empört wie Bergretter und Kletterer.

Helmut Schmidt trägt sich in das Buch ein, das in der Biwakschachtel ausliegt. Hier dokumentiert: Klettergeschichte.

Als Helmut Schmidt die Tür zum Konrad Schuster-Biwak öffnet, tut sich für ihn geradezu sinnbildlich ein Tor auf in eine andere Zeit, und zwar in die 1970er- und 1980er-Jahre. Damals war er oft hier, genau wie sein Kletterpartner Reiner Pickl. Dokumentiert ist das in einem Buch, das noch immer hier liegt, nur einen Schritt von der Eingangstür entfernt. Helmut Schmidt und Reiner Pickl sind beide Bergführer, beide über sechzig und gerade aus der Laliderer Nordwand ausgestiegen. Helmut kommt aus der Gegend um Lenggries. Reiner stammt aus Franken, wo er in den 1970ern an der Seite von Kurt Albert zu den Ersten der Rotpunktbewegung gehörte.

Wer hier zu spät abklettert, kommt in die Dunkelheit. Dann ist es besser, im Konrad Schuster-Biwak zu übernachten.

Die Laliderer Nordwand und die Laliderer Spitze, wo die Biwakschachtel steht, waren zwar weit entfernt von Reiners Heimat, doch in seiner Generation war diese Wand ein Magnet für gute Kletterer und Alpinisten wie ihn. Reiner gelang sogar eine Erstbegehung, nach vier Versuchen. Die Route tauften sie „Alptraum“ – und so taucht sie auch im Biwakbuch auf. Die Route „Alptraum“ von Reiner Pickl führt durch den zentralen Teil der Laliderer Nordwand. Sie ist steil und brüchig – wie auch andere Linien in der Wand. Bei seinen vier Versuchen rückte Reiner Pickl mit wechselnden Kletterpartnern an. Er kannte die Laliderer Nordwand wie seine Westentasche. Doch in seiner Route warf ihn eine Seillänge mehrfach ab: eine Riss-Spur, überhängend, nicht frei kletterbar, also kritisch! Sein Bruder schaffte es schließlich, sich mit sehr dünnen Haken nach oben zu nageln. Der Weg zum Gipfel und zur Biwakschachtel war frei.

Die Biwakschachtel ist also nach wie vor von Bedeutung.

1971 – also wenige Jahre vor der Erstbegehung des Alptraums – war die erste Biwakschachtel an der Lalidererspitze aufgestellt worden. Damit Kletterer nach langen und harten Tagen in der Wand eine Zuflucht hatten, damit sie Schutz suchen konnten bei einem Wettersturz. 1997 wurde die alte Biwakschachtel durch eine neue ersetzt. Sie wirkt wie eine Mondlandefähre: Die Blechhülle schimmert, an Stelle eines Dachs wölbt sich eine Plexiglaskuppel. Auf Stelzen steht die Biwakschachtel zwischen Schutt und Blöcken mitten im Grau eines Kars. Längst scheint sie mehr zu sein als ein Zufluchtsort wie Eintragungen ins ausliegende Buch verraten. Helmut und Reiner sind sichtlich erzürnt, als sie die Eintragungen von Wanderern lesen. Denn die Biwakschachtel hier oben ist keine Unterkunft im Sinne einer Selbstversorgerhütte. Oder anders gesagt: Sie ist kein Ziel, das sich Wanderer setzen sollten. Sie ist etwas für Notfälle!

Die Laliderer Nordwand: Sie zählt zu den bedeutendsten Wänden im Alpenraum.

Helmut und Reiner machen nur kurz Rast in der Biwakschachtel. Dann steigen sie ab, nach einem langen Tag in der Laliderer Nordwand. In der wird heute längst nicht mehr so viel geklettert wie vor dreißig oder vierzig Jahren, doch an Ernsthaftigkeit hat die Wand nichts eingebüßt, sagt Karwendel-Kenner und Spitzenkletterer Heinz Zak. Wer eine der gut neunhundert Meter langen Routen durch die Wand geklettert ist, dem steht der lange und steinschlag-gefährdete Abstieg mit mehreren Abseilstellen bevor. Im Dunkeln ist der Weg schwer zu finden, was gegen einen späten Abstieg und für ein Biwak spricht. Auch für Rettungseinsätze ist die Biwakschachtel ein wichtiger Stützpunkt. Sie besitzt also nach wie vor Bedeutung. Das betont auch die Alpine Gesellschaft Gipfelstürmer aus Innsbruck – der Verein, der die Schachtel unterhält und nach dessen Gründer Konrad Schuster sie benannt ist. Die Gipfelstürmer appellieren ausdrücklich an die Allgemeinheit, das Konrad-Schuster-Biwak oberhalb der Laliderer Nordwand nur dann zu nutzen, wenn es wirklich nötig ist!


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