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Kletterer und Kaffeehaus-Literaten im Kleinen Höllental Unterwegs in den Wiener Alpen

Am äußersten Nordostende läuft der Alpenbogen aus in die Hausberge der österreichischen Hauptstadt Wien: Schneeberg, Rax und Semmering. Ähnlich wie im Fall von München liegen die ersten alpinen Erhebungen damit praktisch in Sichtweite der Millionenstadt.

Von: Georg Bayerle

Stand: 16.06.2023

Kletterer und Kaffeehaus-Literaten im Kleinen Höllental | Bild: BR; Georg Bayerle

Diese Nachbarschaft hat die Wiener Alpen schon im 19.Jahrhundert als Sommerfrische geprägt, später dann auch durch die „Wiener Schule“ im Klettern - und es gibt noch mehr Entdeckungen an diesem bei uns eher unbekannten Ende der Alpen.

Aufbruch ins kleine Höllental

Die beiden großen Plateauberge der Wiener Alpen, Rax und Schneeberg, trennt eine tiefeingeschnittene Schlucht namens Höllental – nicht gerade ein einladender Name, aber genau deshalb reizt er zu Entdeckungen. Mit Roland Maruna, einem der erfahrenen Bergsteiger und Tourenleiter der Sektion Austria in Wien, steigen wir in ein prominentes Seitental: das kleine Höllental mit senkrechten Felswänden links und rechts – ein geheimnisvoller Abenteuerspielplatz in seiner Kindheit.

Schon Generationen vor ihm wurde das Kleine Höllental für die Wiener Kletterer so etwas wie das Oberreintal oder der Wilde Kaiser für die Bayern. Paul Preuß, die Brüder Zsigmondy, Eugen Guido Lammer – die Fußabdrücke der Vorgänger lesen sich wie ein Who’s Who der Alpingeschichte. Die Wiener Schule ging der Idee nach, möglichst ohne Hilfsmittel zu klettern und Haken nur zur Sicherung, aber nicht zur Fortbewegung zu schlagen. Heute steht das Höllental erneut für den „Trad-Style“, das freie Klettern ohne Hilfsmittel, wie es sich nun allgemein wieder durchgesetzt hat.

Auf dem Plateau der Rax

Aber noch eine Entwicklung hat hier einen Ausgangspunkt, erklärt Roland Maruna. Schon um 1890 hab es die Idee, die alten Jagd- und Schmugglersteige zu versicherten Wegen auszubauen. Somit lässt sich das Rax- und Schneeberg-Gebiet durchaus als Geburtsheimat des Klettersteiggehens bezeichnen. Einer der abenteuerlichsten dieser Steige ist der Haidsteig durch die Felsklippe der Preinerwand auf die Rax. Der Erbauer, der Kunstschlosser August Cepl ging als „der verrückte Cepl“ in die Alpingeschichte ein: Außerordentlich kühn hat er sich damals mit einem eigens konstruierten Kletterapparat samt Stelzen über senkrechte Stellen hochgenagelt und an den extremsten Stellen Steigbäume montiert, wie sie im Bergbau üblich waren. Ewald Putz, lange Zeit Bergrettungschef in dieser Region, erzählt, dass der Routenverlauf an manchen Stellen korrigiert wurde, was den über 100 Jahre alten Haidsteig aber auch etwas luftiger macht. Ursprünglich hat der Steig eher unspektakulär durch die Schlucht nach oben geführt und nicht durch steinschlaggefährdete steile Schrofen.

Von allen Seiten führen auch „normale“ Wanderwege auf die 2000 Meter hohen Gipfel von Rax und Schneeberg. Einer der eindrucksvollsten und gleichzeitig historischsten Wege ist der Mariensteig von Reichenau auf den Schneeberg. Benannt wurde dieser Steig nach einem Mitglied der Familie Habsburg - nach Erzherzogin Maria Theresia, einer in Bayern geborenen Infantin aus Portugal, der dritten Gemahlin von Erzherzog Karl Ludwig, dem Bruder von Kaiser Franz-Josef I., wie Eva Gruber weiß. Die Tochter eines Bergführers ist Schriftstellerin und Künstlerin und hat ihre Wiener Hausberge schon in mehreren Büchern beschrieben. Der Mariensteig nutzt die Schlucht der so genannten Eng und führt durch einen urwaldartigen Schluchtwald auf die „Knofeleben“, also die Knoblauch-Ebene, eine weitläufige Bergwiese mit dem besonderen Aroma von wildem Bärlauch, der hier im Frühling wächst und duftet.

Das ehemalige Dichter Stelldichein Thalhof

Neben den Habsburgern kamen vor allem auch die Dichter, Musiker und Künstler der Wiener Belle Epoque zur Sommerfrische in die Wiener Alpen. Deshalb finden sich viele Orte auch in der Literatur wieder, so wie zum Beispiel die Knofeleben in einem Text des Kaffeehausliteraten Peter Altenberg: „Ich liebte jeden Halm auf dieser Bergwiese fanatisch. Man war so außerhalb und oberhalb. Knofeleben am Rücken des Feuchter. Von Schneebergstürmen, von Raxstürmen umspielt. Wir gedenken deiner wie ein Todeskranker einer Medizin, die ihm einst geholfen hat.“ Eine Bergwiese als Medizin – mit diesem Zitat dürften die Wiener das Copyright auf den schönen Gedanken haben! Rund drei Stunden dauert der Aufstieg, noch einmal so lang ist es bis zum Gipfel des Schneebergs, dessen weiße Kuppe von Wien aus zu sehen ist.

Kleines Wasserschloss an der Rax

Anfang des 19. Jahrhunderts hat der Reiseschriftsteller Josef August Schultes einen Reiseführer herausgegeben für die Region um Wien und Puchberg am Schneeberg mitsamt dem Schneeberg. Das hat die Aufmerksamkeit der gebildeten, wohlhabenden Kreise auf den Schneeberg gelenkt. Wie Sedimente haben sich so Geschichte und Geschichten in den Wiener Alpen abgelagert. Weil sie zugleich das große Wasserschutzgebiet für die Millionenstadt sind, haben sie, trotz 200 Jahren Tourismus- und Alpingeschichte, ihren Naturcharakter bewahrt, egal, ob man sich ihnen wandernd, kraxelnd oder kletternd nähert.

zum Download Semmering, Rax, Schneeberg Die schönsten Wanderungen in den WIENER ALPEN

Genussvoll, intensiv und sinnlich – so präsentiert Eva Gruber die sorgfältig ausgesuchten und zu allen Jahreszeiten selbst erprobten Wanderungen, mit denen sie uns in die Zauberwelt von Rax und Schneeberg und das UNESCO-Weltkulturerbe des Semmeringgebiets führt. [mehr]


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