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Literarische Texte Literarische Gattungen

Von: Prof. Dr. Volker Frederking

Stand: 07.11.2016

Hier beantworten wir folgende Fragen:

  • Was ist eine literarische Gattung?
  • Welche literarischen Gattungen gibt es?
  • Welche Merkmale weisen die einzelnen Gattungen auf?
  • Welche Mischformen treten auf?

Literarische Gattungen sind formale "Ordnungsmuster", denen sich die meisten literarischen Texte zuweisen lassen (Zymner, 2007, S. 261).

Schon Johann Wolfgang von Goethe hat "drey ächte Naturformen der Poesie" unterschieden: "Epos, Lyrik und Drama" (Goethe, 1819, S. 381). Auch heute noch gelten epische, lyrische und dramatische Texte als die drei Grundformen der Literatur, d. h. als die drei literarischen Großgattungen – im Wissen, dass es vielfältige Unterformen, Ausdifferenzierungen und Mischformen gibt. Ein gängiges Unterscheidungskritierium bildet dabei nach Rüdiger Zymner (2007, S. 262) das "Redekriterium": "Einzelrede in lyrischen, Wechselrede in dramatischen, Erzähler- und Figurenrede in epischen Texten". Aber auch hier gilt: Ausnahmen bestätigen die Regel.

Epik leitet sich von griechisch epos (Heldengedicht bzw. Heldenerzählung in Versform) ab. Berühmt sind das babylonische "Gilgamesch"-Epos und die dem griechischen Dichter Homer zugeschriebenen Heldensagen "Ilias" und "Odyssee". Wurden diese noch mündlich in Versform überliefert, finden epische Texte seit der Erfindung der Schrift vor allem in handgeschriebener oder gedruckter Form Verbreitung. Dabei lassen sich Langformen (z. B. Romane), Kurzformen (z. B. Fabeln, Kurzgeschichten) und solche Formen unterscheiden, die in ganz unterschiedlicher Länge verfasst sein können (z. B. Parabeln, Erzählungen, Novellen etc.).

Gemeinsam ist epischen Texten, dass in ihnen in der Regel die Darstellung eines Geschehens im Mittelpunkt steht, von dem erzählt wird. Aus diesem Grund ist auch die Bezeichnung narrative (= erzählende) Texte verbreitet. Für diese ist kennzeichnend, dass sie einen Erzähler (Erzählinstanz) und einen Erzählgegenstand aufweisen.

Das Wort "Drama" stammt aus dem Griechischen und bedeutet übersetzt Handlung, Geschehen. In einem dramatischen Text treten Akteure handelnd und sprechend (meist) auf einer Theaterbühne auf. Im Drama wird mit anderen Worten die Handlung in der Regel nicht erzählt, sondern sie entwickelt sich durch Rede und Gegenrede, das heißt im Dialog oder Monolog der auf der Bühne handelnden Personen. Diese sogenannten Figuren- bzw. Wechselreden stellen den Haupttext eines Dramas dar, Regieanweisungen (Faust tritt ein) und Sprechernennungen (Faust: ...) werden als Nebentext bezeichnet. Tragödie, Komödie und Tragikomödie sind die drei großen Untergattungen, in die sich die allermeisten dramatischen Texte einordnen lassen.

Der Begriff "Lyrik" kommt aus dem Griechischen und leitet sich von lýra (dt. Leier), einem antiken Zupfinstrument, ab. Ursprünglich wurde mit Lyrik ein Gesang bezeichnet, der von Leier oder Lyra begleitet wurde. Ein lyrischer Text beginnt zumeist unmittelbar, ohne Vorgeschichte. Lyrische Texte sind häufig in Verse und Strophen gegliedert und folgen oft einem bestimmten Betonungsschema. Ihre Sprache ist kunstvoll und verdichtet. Man könnte sie auch "musikalisch" nennen. In vielen Fällen werden zudem Reime als gestaltendes Mittel eingesetzt. Lyrische Texte sind meist subjektiv und emotional gestaltet. Der Linguist und Literaturtheoretiker Roman Jakobson spricht von der "emotiven" und "expressiven" Funktion lyrischer Texte (Jakobson, 1978, S. 94).

Nicht immer treten lyrische, epische und dramatische Texte in Reinform auf. In den Heldenepen des Homer zum Beispiel werden mit Vers und Erzählung lyrische und epische Elemente verbunden. Die Ballade vereint in sich sogar Merkmale von allen drei literarischen Gattungen: In ihr wird in lyrischer Form in Versen, meist mit Reim, erzählt und gleichzeitig unmittelbar gehandelt. Dabei sind die Texte tendenziell szenisch und mit Dialogen gestaltet. In Brechts Konzept des epischen Theaters mischen sich dramenspezifische und epische Elemente, denn die dramatische Handlung wird immer wieder durch erzählerische Elemente durchbrochen, um die Zuschauer aus ihrer Identifikation mit dem Handlungsgeschehen zu lösen und durch Erzählsequenzen Reflexionsprozesse anzustoßen.

Auch im Film werden dramatische Elemente – Dialoge und unmittelbare Handlungen – mit epischen Elementen verbunden, insofern entweder auf der Bild- oder/und Ton-Ebene erzählt wird oder durch einen Erzähler (ein Mittel, das in älteren Filmen mehr eingesetzt wurde als in aktuellen).

Bei den neuen interaktiven Medien wird es noch komplizierter, die Gattungen auseinanderzuhalten. So bewegen sich die Teilnehmer und Teilnehmerinnen an einem Computerspiel selbst interaktiv durch eine Geschichte, sie handeln und sprechen dabei wie in einem Drama. Gleichzeitig legen sie das Profil ihres virtuellen Pendants im Spiel - ihres sogenannten Avatars - selbst fest, indem sie Aussehen, Kleidung, Mimik, Gestik, Charakterzüge, Biografie etc. wie in einer Erzählung beschreiben. Gemäß dieser Selbstbeschreibungen verändert sich das Aussehen des Avatars, teilweise auch dessen Handlungsoptionen.

1.

Anzunehmen, die drei Gattungen Epik, Dramatik und Lyrik träten immer und ausschließlich in Reinform in Erscheinung.

2.

Anzunehmen, die drei Gattungen gäbe es nur printmedial, d. h. in Buchform.

1.

Gattungen sind literarische Grundformen.

2.

Es werden drei literarische Gattungen unterschieden:

  • Epik (Erzählen von Geschehenem)
  • Dramatik (Dialog und unmittelbares Handeln von Menschen)
  • Lyrik (subjektive Perspektive)

3.

Alle Gattungen kommen auch als Hörtext, im Film oder als E-Book vor.

4.

Mischformen der Gattungen: Heldenepen, Ballade, Brechts episches Theater, Film, Computerspiel

Klaus Müller-Dyes: Gattungsfragen, in: Heinz Ludwig Arnold/Heinrich Detering (Hrsg.): Grundzüge der Literaturwissenschaft, München 2003, S. 323-348.
Die Zeit (Hrsg.): Literatur-Lexikon. Autoren und Begriffe in sechs Bänden, Stuttgart 2008.
Johann Wolfgang von Goethe: West-oestlicher Divan, Stuttgart 1819, Reprint München 2006 (= dtv Bibliothek der Erstausgaben, 2671), S. 379-385.
Roman Jakobson: Poetik. Ausgewählte Aufsätze 1921-1971. Herausgegeben von Elmar Holenstein und Tarcisius Schelbert, Frankfurt/M. 1978.
Burkhard Moennighoff: Epik, in: Dieter Burdorf/Christoph Fasbender/Burkhard Moennighoff (Hrsg.): Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen, Stuttgart 2007, S. 195.
Michael Ott: Drama, in: Dieter Burdorf/Christoph Fasbender/Burkhard Moennighoff (Hrsg.): Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen, Stuttgart 2007, S. 167-169.
Emil Staiger: Grundbegriffe der Poetik, München 1983.
Jochen Vogt: Einladung zur Literaturwissenschaft. Mit einem Vertiefungsprogramm im Internet. Stuttgart 2008.
Wilhelm Voßkamp: Gattungen, in: Helmut Brackert & Jörn Stückrath (Hrsg.):  Literaturwissenschaft. Ein Grundkurs, Reinbek 1994, S. 253-269.
Rüdiger Zymner: Gattungstheorie. Probleme und Positionen der Literaturwissenschaft, Paderborn 2003.
Rüdiger Zymner: Gattung, in: Dieter Burdorf/Christoph Fasbender/Burkhard Moennighoff (Hrsg.): Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen, Stuttgart 2007, S. 261-262.