100 Jahre Radio, 75 Jahre BR Die erste Hörfunksendung in Bayern
Es ist der 30. März 1924. Wir befinden uns in München. Oder an einem der ersten wenigen Radiogeräte damals. Willkommen zur ersten Radiosendung in Bayern. Diese wird live aus einem Studio der "Deutschen Stunde in Bayern" im Münchner Verkehrsministerium gesendet. Eine Zeitreise hundert Jahre zurück in die Anfangszeit des Radios. Kommen Sie mit!
Historie: Sendung: ja, Aufzeichnung: nein
Vor ziemlich genau 100 Jahren, am 30. März 1924, wird die erste Radiosendung in Bayern ausgestrahlt. Erst 25 Jahre später sollte der BR gegründet werden. Das Medium Radio ist gerade erst geboren. Wie das geklungen hat? Das wissen wir leider nicht wirklich, denn auch wenn man damals seit kurzem senden kann, sind Tonträger für die Aufzeichnung noch nicht erfunden. Allerdings gibt es historische Text- und Foto-Dokumente, mit denen sich die erste Radiosendung rekonstruieren lässt. Es folgt also eine Radiosendung zum Lesen und wie sie - nachträglich vertont - geklungen haben könnte.
Nehmen Sie Platz und lassen Sie die erste Radiosendung in Ihrem Kopf entstehen. Aus dem Studio der Deutschen Stunde in Bayern im Verkehrsministerium an der Arnulfstraße kommentiert Reporter Ernst Firnholzer.
Von der offiziellen Eröffnungsfeier und ersten Sendestunde im Auditorium Maximum der Ludwig-Maximilians-Universität berichtet Reporter Otto Freundorfer. Er ist am 30. März 1924 ab 16.30 Uhr live vor Ort, eine halbe Stunde vor Sendungsbeginn.
Begrüßung
Reporter Otto Freundorfer begrüßt die noch wenigen, etwa 300 Hörerinnen und Hörer, an den Empfangsgeräten kurz vor Beginn der Eröffnungsfeier:
"Sehr geehrte Damen und Herren, willkommen an diesem schönen Sonntagnachmittag in München. Heute werden wir erleben, wie die allererste Hörfunksendung in Bayern ausgestrahlt wird – Bayerns Anschluss an den Weltfunkverkehr! Das ganze geistige München sozusagen ist zur Eröffnungsfeier in die Münchner Universität gekommen. Hier ist das Programm für heute:"
Das Programm der ersten Sendestunde
Arnulfstraße München
Zeitgleich steht Reporter-Kollege Ernst Firnholzer in der Münchner Arnulfstraße:
"Ich stehe hier in der Arnulfstraße und blicke auf die gewaltige Kuppel des Verkehrsministeriums. Vor mir spannt sich die mächtige Sendeantenne über die gesamte Breite des Gebäudes."
Die Sendeanlage ist in der Tat imposant.
Die Sendeanlage
Die Gründerväter der "Deutschen Stunde"
Doch wie kam es überhaupt dazu, dass diese mächtige Anlage installiert wurde? Gut eineinhalb Jahre zuvor, am 18. September 1922, gründeten die Geschäftsmänner Josef Böhm, Hermann Klöpfer, Robert Riemerschmid und Ernst Ludwig Voss die "Deutsche Stunde in Bayern, Gesellschaft für drahtlose Belehrung und Unterhaltung mbH" in München.
Josef Böhm, Hermann Klöpfer, Robert Riemerschmid, Ernst Ludwig Voss
Die Gründungsurkunde bestimmt die Ziele der neuen Rundfunkgesellschaft:
"Gegenstand des Unternehmens ist die gemeinnützige Veranstaltung von öffentlichen Konzerten und Vorträgen, belehrenden, unterhaltenden sowie alle weiteren Kreise der Bevölkerung interessierenden Darbietungen auf drahtlosem Wege sowie der Verkauf und die Vermietung von Empfangsapparaten für drahtlose Telefonie an Privatpersonen." (Paragraph 2 der Gründungsurkunde der Rundfunkgesellschaft "Deutsche Stunde".)
Schalldichte Sendestudios
Zurück zur ersten Radiosendung. Reporter Ernst Firnholzer hat nun seine Position bezogen im Sendestudio im Münchner Verkehrsministerium:
"Im vierten Stock befinden sich zwei elegant ausgestattete mit Wollmassen schalldicht abgedichtete Aufnahmeräume, von denen der größere für Orchester, der kleinere für Solisten bestimmt ist."
Senderaum für Solisten im Verkehrsministerium
"In einem Nebenraum sind Verstärker untergebracht und Apparate für den Sender aufgestellt, durch den die Darbietungen in den Antennenkreis gelangen."
Apparatezimmer der Deutschen Stunde in Bayern
Ein Tag von historischer Bedeutung
Derweil baut sich bei der Eröffnungsfeier weiter Spannung auf. Otto Freundorfer berichtet:
"Langsam füllt sich der Saal des Auditorium Maximum in der Ludwig-Maximilians-Universität München. Insgesamt 600 Gäste haben sich hier eingefunden und werden erleben, wenn in wenigen Minuten Bayern in das Rundfunkzeitalter eintritt. Es verspricht ein Tag von historischer Bedeutung zu werden."
"Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit ist es durch eine neue Technik möglich geworden, Musik und Nachrichten ohne Zeitverzögerung an eine beliebig große Zahl von Empfängern auszusenden. Die Folgen für unsere Gesellschaft sind nicht genau absehbar."
In den Zeitungen und Illustrierten wird bereits für das neue Medium und die neuen Geräte geworben.
Werbung für Radiogeräte
"Kaufe dir ein Radio! Es wird plaudern, dich belehren, dich erheitern, dich bekehren, frohe Stunden dir bereiten, dich in Freud und Leid begleiten, dich im Leben stets beglücken und dir Geist und Herz entzücken", heißt es in dieser zeitgenössischen Reklame für Radiogeräte.
70 Reichsmark für ein Radio
70 Reichsmark kostet so ein Radio damals etwa. Aber wer soll diese Preise für die Geräte zahlen? 70 Reichsmark – das ist fast die Hälfte dessen, was ein deutscher Arbeiter pro Monat bekommt. Außerdem haben die meisten ihre Ersparnisse bei der Inflation der letzten Jahre verloren …
Viele bauen sich einen Empfangsapparat einfach selbst. Wie das geht, hören Sie hier:
Radio-Verkaufsstelle
Technisch weniger Versierte müssen sich einen Apparat kaufen. Die bayerische Sendegesellschaft macht übrigens nicht nur Programm, sondern betreibt auch eine eigene Vertriebsstelle für Empfangsgeräte in der Münchner Karlstraße.
Radio-Verkaufsstelle in der Karlstraße
Viele Schwarzhörer dabei
Zurück zum Ort der ersten Sendung und Reporter Ernst Firnholzer:
"Ich bin jetzt unter der Dachkuppel im linken Flügel des Verkehrsministeriums an der Arnulfstraße. Hier im Raum 473 machen sich die Techniker bereit, um nach monatelangen Vorbereitungen die erste Sendung über den Äther zu schicken."
Zu diesem Ereignis haben sich exakt 327 Rundfunkteilnehmer offiziell angemeldet und ihre Gebühr von 5 Reichsmark entrichtet. Geschätzt wird aber, dass 10.000 Radiobastler und Funkamateure als 'Schwarzhörer' vor ihren Empfangsgeräten sitzen und der Übertragung gebannt lauschen werden.
Doch wie sieht so ein Schwarzhörer eigentlich aus? Ein Blick auf die Skizzen der Bayerischen Radio-Zeitung von 1924 gibt einen Eindruck.
Radio-Zeichnung
Skizzen aus der Bayerischen Radio-Zeitung von 1924
Die ersten Sendesekunden
Es ist 17 Uhr. Angespannte Stille im Studio. Es werden letzte Einstellungen an der Sendeanlage vorgenommen. Nun tritt Dr. Georg Schätzel, Staatssekretär im Reichspostministerium, vor das Mikrofon:
"Namens des Reichspostministeriums erkläre ich die Deutsche Stunde in Bayern für eröffnet. In diesem Augenblick tritt Bayern mit einer selbständigen Sendeanlage aktiv ein in den großen, den Äther durchmessenden Rundfunkverkehr der Welt."
Fanfaren und Vorträge
Es folgen einführende Worte des Geschäftsführers der Deutschen Stunde, Ernst Bissinger. Nach den beiden Ansprachen geht ein Raunen durch den Raum, das sogleich verebbt, nachdem die Trompeten-Fanfaren des Staatsorchesters erklingen.
Es folgen verschiedene Vorträge. Das Münchner Kindl erhält zuerst das Wort. Elly Frieß rezitiert Verse von Hermann Roth:
Die Meistersinger von Nürnberg
Das Publikum applaudiert lebhaft und zustimmend. Im Sendesaal steht Kapellmeister Franz Adam vor seinen Musikern und dirigiert Musik von Ludwig van Beethoven und Richard Wagner. Friedrich und Linde Brodersen singen zwischendurch Schubert-Lieder. Auch die Meistersinger von Nürnberg kommen zur Aufführung.
Gruppenbild mit den Künstlern und Künstlerinnen
Abschied mit dem Deutschlandlied
Reporter Ernst Firnholzer läutet für die Zuhörerinnen und Zuhörer daheim das Ende der Veranstaltung ein:
"Die Musiker im Studio nehmen wieder ihre Instrumente zur Hand und werden mit dem Deutschlandlied diese historische Stunde beschließen."
Der Reporter auf der Eröffnungsfeier, Otto Freundorfer, beobachtet:
"Die geladenen Gäste erheben sich und singen mit. Danach leeren sich hier im Auditorium Maximum die Stuhlreihen. Kein Gast, den diese erste Übertragung unberührt gelassen hat."
Dabei fallen die Reaktionen im Nachhinein durchaus gemischt aus. Volkssänger Weiß Ferdl ist gar nicht begeistert von der neuen Technik:
Auch der im Saal anwesenden Prinzessin Pilar ist die neue Technik noch fremd:
Otto Freundorfer spricht im Anschluss mit Hans Adolf Winter.
"Neben mir steht nun noch Hans Adolf Winter, er ist im Gespräch als Kapellmeister für das große Rundfunkorchester, das in den nächsten Monaten gegründet werden soll."
Sein Eindruck von der neuen Rundfunktechnik ist deutlich euphorischer:
Material und Zusammenstellung
Die Audioaufnahmen (mit den SprecherInnen Anja Buczkowski, Gert Anthoff, Rolf Castell) in diesem Artikel sind aus der "Land und Leute"-Sendung "Deutsche Stunde in Bayern. Die Gründung einer Gesellschaft für drahtlose Belehrung und Unterhaltung am 18.9.1922" vom 20.9.1999
Zusammenstellung der Sendung: Bettina Hasselbring, Albert Knoll; nachgesprochenes Archivblog von 2014: Ursula Zimmermann. Online-Umsetzung: Michael Peer.