Erst sollte er gehen, dann hat der FC Bayern öffentlich mehrere Absagen von potenziellen Nachfolgern kassiert – und jetzt soll Thomas Tuchel eventuell doch weitermachen: Laut Medienberichten ist er mit dem FCB wieder im Gespräch um den Trainerposten.
Keine leichte Entscheidung – und wenn es weitergeht, dann ist das Arbeitsverhältnis möglicherweise vorbelastet. Wie damit umgehen? Daniela Fink ist Jobcoach und hat im BR-Podcast "Jobstories – Der Coaching-Podcast" schon vielen Menschen bei Fragen rund um schwierige Arbeitssituationen weitergeholfen. Außerdem ist sie diplomierte Sportwissenschaftlerin.
Gehen oder bleiben? Das sagt Jobcoach Daniela Fink
BR24: Thomas Tuchel steht jetzt vor einer wichtigen Entscheidung: Soll er bleiben? Wenn Sie ihn als Jobcoach beraten müssten, was wären Ihre Tipps?
Daniela Fink: Ich würde ihm keine Tipps geben, sondern ihn fragen: Möchtest du das wirklich? Und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen? Sicherlich ist der FC Bayern ein ganz besonderes Beispiel. Denn kein Verein oder nur wenige Vereine stehen so im Fokus wie der FC Bayern schon über Jahrzehnte. Sie hatten diese Saison natürlich ein bisschen Pech mit den Leverkusenern, die noch erfolgreicher waren. Und das wurde vielleicht auch Thomas Tuchel zum Verhängnis, denn grundsätzlich wurden ja wahnsinnig viele Tore geschossen in der Saison. Aber die Leverkusener hatten mehr. Er ist dann vielleicht ein bisschen zu früh verurteilt worden.
BR24: Und das kann er jetzt auch für sich nutzen?
Daniela Fink: Im Rückblick zeigt sich, er ist ja ein wahnsinnig erfolgreicher Trainer. Durch den öffentlichen Druck, dadurch, dass jetzt so viele Trainer öffentlich absagen, obwohl sie vermeintlich nicht attraktivere Arbeitgeber momentan haben, kann er sich im Grunde genommen aussuchen, ob er das macht und zu welchen Bedingungen.
"Die wichtigste Frage sollte sein: Will ich das?"
BR24: Das heißt weniger Tipps als vielmehr Reflektion: Will ich das?
Daniela Fink: Genau. Und wenn ja, was brauche ich dafür, um dann weiterhin erfolgreich als Trainer des FC Bayern München zu agieren?
BR24: Ich könnte mir vorstellen, dass viele Arbeitnehmer beleidigt wären und jetzt sagen würden: Nee, mit euch nicht mehr!
Daniela Fink: Im Fall Thomas Tuchel ist es natürlich besonders interessant, wie er mit seiner sehr speziellen Persönlichkeit auch damit umgeht. Er ist ein Profi durch und durch und lange in diesem Trainergeschäft. Er kennt das Fußball-Business und dass es da nicht immer nur mit warmen Worten zugeht, das ist allgemein bekannt. Ich glaube, er kann sehr gut einschätzen, in welcher Position er grad ist. Ich würde ihn auch so einschätzen, dass er nicht nachtragend ist, sondern das professionell sieht. Er kennt auch seine Stärken, seine Erfolge. Und insofern, glaube ich, ist es bei ihm gar nicht so eine Emotionalität, die mitspielt.
Die eigene Verhandlungsposition nutzen
BR24: Also nicht emotional sein und es stattdessen als Chance begreifen?
Daniela Fink: Wenn man jetzt in einem "normalen" Unternehmen ist und man wird da erstmal rauskatapultiert und dann gefragt, ob man wiederkommen kann: Das kann auch Wasser auf die Mühlen sein. Denn das heißt, anscheinend ist man doch unentbehrlich oder sehr gefragt. Und im Grunde genommen gibt einem das die Macht, in eine sehr gute Verhandlungsposition zu kommen.
Und dann kann man für sich entscheiden: Möchte ich das? Was darf nicht mehr passieren, was das letzte Mal passiert ist? Tuchel sind ja zum Beispiel auch Spieler ausgeschlagen worden, die er gerne gehabt hätte. Das bringt ihn jetzt zum Beispiel in die Situation zu sagen: Ich mache das gerne, aber nur zu diesen Konditionen. Ich möchte die und die Spieler zum Beispiel. Und das wird sicherlich auch vertraglich dann minutiös festgehalten.
Geht es um einen Vertrag über 2025 hinaus?
BR24: Laut Bild-Zeitung heißt es, Tuchel ist gerade im Gespräch mit dem FCB. Eine Beschäftigung über 2025 hinaus sei Thema. Offenbar eine Forderung von Tuchel, der nicht nur eine Übergangslösung sein will, wenn dann doch ein gefragterer Kandidat daherkommt.
Daniela Fink: Wenn diese These der Bild-Zeitung stimmt oder wenn wir das mal als Theorie annehmen, dann ist er genau in der Situation, diese Forderungen stellen zu können. Wir haben natürlich wirklich eine besondere Lage, denn die ganze Welt und zumindest Fußball-Deutschland schaut auf diese Situation. Manche auch mit Häme. Denn der FC Bayern gerät das erste Mal in eine Schieflage und wird wahrscheinlich vom attraktivsten Fußball-Arbeitgeber der Bundesliga zum unattraktivsten. Der FC Bayern muss dieses Schiff da jetzt wieder rausholen, das Image retten, denn jeder Schritt wird ja auch beobachtet. Jeder Spielzug, jede Entscheidung, jedes Spiel wird auf die Goldwaage gelegt. Das heißt, man muss jetzt einen Trainer finden, der das wirklich will.
"Tuchel hat jetzt alle Möglichkeiten"
BR24: Also wirklich große Möglichkeiten jetzt für Tuchel?
Daniela Fink: Mit seiner Erfahrung und jetzt als möglicher Kandidat, nachdem die anderen alle absagen und nicht wollen, hat er da meiner Einschätzung nach alle Möglichkeiten. Also vielleicht ist es auch eine Zukunft mit einem Managementposten. Da wäre er auch nicht der Erste, der nach einer sportlichen Karriere wie Sebastian Kehl oder Oliver Kahn ins Management aufrückt.
BR24: Sie haben gerade gesagt, der FC Bayern muss jetzt jemanden finden, der diesen Job wirklich machen will. Das eigene Image retten. Dafür müsste er als Arbeitgeber vermutlich auch einiges ändern. Was?
Daniela Fink: Der FC Bayern sollte so wie jeder Arbeitgeber sich natürlich vor seine Mitarbeiter stellen, auch wenn es mal nicht so gut läuft und wenn mal nicht gewonnen wird. Und er sollte nicht sofort den Stecker ziehen, so wie es halt in der Kombination Kahn und Salihamidzic gelaufen ist, als Nagelsmann überstürzt entlassen wurde. Der sagt jetzt natürlich: Seid ihr verrückt? Ich komme nicht zu euch zurück! Ich mache mal schön beim DFB meinen Vertrag weiter und kann da unbeobachtet arbeiten.
Der FC Bayern ist als Arbeitgeber jetzt erstmal in der Pflicht zu beweisen, dass sie vertrauensvoll mit ihren Trainern umgehen können und keine Haifischmentalität an den Tag legen, sondern zu der Person halten.
BR24: Wieso ist das denn so wichtig?
Daniela Fink: Wenn man als Angestellter merkt, der Arbeitgeber strauchelt, der steht nicht ganz hinter mir. Oder wenn man merkt, der Arbeitgeber steht nicht hinter meinem Vorgesetzten, dann passiert natürlich etwas, das nicht positiv ist in der ganzen Dynamik. Das überträgt sich auf die Teams, auf die Arbeitsleistung, auf die Moral, auf den Spaß, auf die Leidenschaft und am Ende auf die Leistung. Gerade in solchen Vereinen, wo Leistung natürlich auch so extrem messbar und offensichtlich ist, braucht es einen starken Zusammenhalt des Managements, ein volles Commitment zum Trainer. Und ja, das ist nicht nur im Fußball so, sondern da können wir vieles auf Wirtschaftsunternehmen übertragen.
"Die Entschuldigung ist eigentlich schon gefallen"
BR24: Manche Medien verlangen sogar schon eine Entschuldigung vom FC Bayern.
Daniela Fink: Also eine Entschuldigung, glaube ich, ist gar nicht mehr nötig. Allein dadurch, dass diese Diskussion so öffentlich in allen Medien vertreten ist und besprochen wird. Wenn man, so wie es jetzt passiert, sagt: "Lieber Thomas Tuchel, hättest du vielleicht doch noch mal Lust? Und was können wir bloß tun, um dich zu halten? Denn eigentlich bist du ja schon ein ziemlich geiler Trainer." Also die Entschuldigung, die ist, glaube ich schon gefallen, ohne dass sie öffentlich gesagt werden musste.
BR24: Dafür wurden aber viele andere Sachen – und auch Unschönes - durchaus öffentlich gesagt.
Daniela Fink: Das stimmt: Wenn niemand mehr beim FC Bayern arbeiten möchte, dann ist schon ganz schön viel passiert. Wenn wir jetzt an die Zeiten mit Rummenigge und Hoeneß zum Beispiel zurückdenken, als sie mit Pep Guardiola verhandelt haben. Das passierte, ohne dass es jemand mitbekommen hat. Und dann war dieser Knaller-Trainer da. Da ist der Zug abgefahren. Jetzt wirkt das, ja, wie so ein Verramschen: Möchtest du nicht? Und möchtest du nicht? Und das ist der Grund, warum dieser Job momentan einer der unattraktivsten ist. Damit hätte wohl auch keiner vor ein, zwei Jahren gerechnet.
Wie sollte Tuchel mit Hoeneß' Kritik umgehen?
BR24: Uli Hoeneß hat Tuchel ja auch öffentlich kritisiert: Er würde die jungen Spieler nicht genug aufbauen zum Beispiel. Dabei hat Hoeneß jetzt nicht mehr wirklich den Hut auf. Wie kann und sollte ein FCB, aber auch ein Trainer, damit umgehen?
Daniela Fink: Uli Hoeneß ist natürlich ein Mann, der den FC Bayern wie kein anderer geprägt hat und natürlich auch zu wahnsinnig vielen Erfolgen geführt hat. Mich erinnert das immer ein bisschen an ein Familienunternehmen, wo der alte Chef nicht gehen möchte. Natürlich hat er ein unglaubliches Wissen und bestimmt auch oft recht.
Wenn aber immer einer noch mal "von außen" reinwurschtelt und dazu noch so eine Lichtgestalt, so ein Mensch mit so viel Einfluss und Standing und auch einer dominanten Art, dann ist es wahnsinnig schwer, frei zu fungieren und den Verein so zu führen, wie man selber meint. Inwieweit sich ein Thomas Tuchel davon beeindrucken lässt, keine Ahnung. Keiner kann ihm in den Kopf schauen.
Im Audio: Bleibt Thomas Tuchel doch Trainer beim FC Bayern?
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