Preclaimer: Wir haben die Behauptungen - wie bei allen Themen, die wir überprüfen - nach drei Kriterien ausgewählt: Verbreitung, Relevanz und Überprüfbarkeit. Es spielt keine Rolle für die Veröffentlichung, ob die Behauptung richtig oder falsch ist oder wer die Behauptung geäußert hat.
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Maria Noichl, SPD-Abgeordnete im EU-Parlament
Die Behauptung:
"Wenn manche Leute sagen, wir sind ein Netto-Zahler-Land. (...) Ja, stimmt. Wir zahlen direkt mehr als wir kriegen. (...) Aber es ist genauso richtig, dass wir am Ende an Europa verdienen, das heißt nämlich dann, wenn der ganze Export und alles mit hineingerechnet wird."
Richtig oder falsch?
Der erste Teil der Aussage von Noichl ist richtig. Deutschland ist ein sogenannter Netto-Zahler innerhalb der Europäischen Union. Zudem ist richtig, dass weitere Faktoren wie Exporte und davon abhängige Arbeitsplätze eine Rolle spielen bei der Frage, welche Vorteile Deutschland von der EU-Mitgliedschaft hat.
Die Fakten:
Lohnt es sich für Deutschland, Mitglied der Europäischen Union zu sein? Das lässt sich nicht alleine mit dem Blick auf Einnahmen und Ausgaben des jeweiligen EU-Haushalts beantworten. Das betont die EU selbst, aber auch das Institut der deutschen Wirtschaft oder die Bundeszentrale für politische Bildung. Deshalb ist der Blick auf die Rolle als sogenannter Netto-Zahler zu kurz gegriffen - so wie es auch Noichl in der Sendung sagte.
Werfen wir aber dennoch zunächst einen Blick auf diesen Haushalt: Ja, Deutschland gehört zu den Netto-Zahlern der EU. Im Jahr 2022 zahlten die Bürger in Deutschland mit durchschnittlich 237 Euro pro Kopf am meisten. Diese Berechnung stammt von der Bundeszentrale für politische Bildung (BPB), und basiert auf Daten der Europäischen Kommission. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) kommt in seiner Auswertung auf dieselben Zahlen.
Bezogen auf die absoluten Zahlen lag Deutschland im Jahr 2022 als Netto-Zahler auf Platz eins aller EU-Mitgliedstaaten, wie die BPB schreibt: Der Saldo der Bundesrepublik lag demnach in dem Jahr bei minus 19,7 Milliarden Euro. Es folgten Frankreich (minus 10 Milliarden Euro) und Italien (minus 3,9 Milliarden Euro).
Aber das ist nur ein Teil der Antwort darauf, ob sich die EU-Mitgliedschaft für Deutschland lohnt. Denn diese simple Verrechnung von Ausgaben und Einnahmen blendet relevante Faktoren aus. Zum Beispiel den Export, den Noichl erwähnt: Der gemeinsame Binnenmarkt der EU fördert die Wirtschaft der Länder. Die Netto-Zahlungen bilden das aber nicht ab. Auch andere Faktoren wie die politische Stabilität und Sicherheit, den freien Personenverkehr oder den Euro als Leitwährung lässt man unberücksichtigt, wenn man nur auf das Saldo blickt, fasst die Bundeszentrale für politische Bildung zusammen.
In einem Briefing der Fachabteilung Haushaltsfragen des Europäischen Parlaments heißt es, das Nettohaushaltssaldo sei ein "äußerst irreführender Indikator für den Nutzen von EU-Ausgaben und EU-Mitgliedschaft". Die "Zeit" wie auch andere Medien wiesen zu dem Narrativ "Deutschland als Zahlmeister" bereits darauf hin, dass Deutschland von der EU profitiert.
Die Länder der EU sind nach Angaben der Bundesregierung Deutschlands wichtigster Handelspartner. Mehr als die Hälfte der deutschen Exporte - nämlich 53,4 Prozent - gehen dorthin. Rund 27 Prozent der deutschen Arbeitsplätze hängten direkt oder indirekt vom Export ab, im verarbeitenden Gewerbe sogar rund 54 Prozent, schrieb das Bundeswirtschaftsministerium im vergangenen Jahr.
Dass Deutschland unter den Mitgliedstaaten den größten Anteil an der Ausfuhr im EU-Binnenhandel - genannt Intra-Handel - hat, zeigen die Daten der Europäischen Kommission. Deutsche Exporte machten 2022 und 2023 jeweils mehr als ein Fünftel aller Ausfuhren an andere EU-Staaten aus. Im vergangenen Jahr exportierte Deutschland Waren im Wert von 875 Milliarden Euro an andere Mitgliedstaaten. Zugleich importierte es Waren für 893 Milliarden Euro.
(Hinweis zur verlinkten Datenquelle: Bei den Tabellen der Europäischen Kommission muss der jeweilige Indikator, zum Beispiel "Ausfuhranteil", ausgewählt werden.)
Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag
Die Behauptung:
"Gleichzeitig weiß ich als Grüne, als Bürgerin dieses Landes, dass wir Zuwanderung nach Europa, nach Deutschland brauchen, weil wir eine alternde Gesellschaft sind, weil wir Fach- und Arbeitskräftemangel überall haben."
Richtig oder falsch?
Größtenteils richtig. Es gibt noch nicht "überall" einen Fachkräftemangel. Aber Experten gehen davon aus, dass er kommen wird. Selbst wenn Arbeitslose, Ältere und Frauen mehr beziehungsweise länger arbeiten würden, könnte das den Fachkräftemangel zwar abfedern – aber ohne Zuwanderung geht es nicht.
Die Fakten:
Blickt man auf die Zahlen, gibt es noch keinen flächendeckenden Fachkräftemangel in Deutschland – anders als Katharina Schulze behauptet. Was es aber gibt, sind Fachkräfteengpässe in einzelnen Branchen und Regionen. Das geht aus dem Jahresrückblick für das Jahr 2023 des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung (KOFA) hervor, einem Projekt im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums. Eine besonders betroffene Branche: Gesundheitsberufe, soziale Berufe, die Lehre und Erziehung. In diesen Bereichen gab es für durchschnittlich sechs von zehn offenen Stellen keine passende Besetzungsmöglichkeit.
Aber: Laut KOFA-Jahresrückblick hat sich im Jahr 2023 die Fachkräftelücke um zehn Prozent verringert, im Vergleich zum historischen Höchststand an offenen Stellen im Jahr 2022. Der Rückgang wurde demnach durch "Produktionsrückgänge, eine wachsende Verunsicherung durch die geopolitischen Risiken und damit verbundene sinkende wirtschaftliche Erwartungen verursacht".
Grundsätzlich stimmt aber, dass sich die Fachkräftesituation in Zukunft aufgrund der alternden Gesellschaft noch weiter verschärfen wird. Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) rechnet deshalb bis 2035 mit einem Minus von sieben Millionen Personen auf dem Arbeitsmarkt, wenn es keinen Ausgleich gibt.
Der #Faktenfuchs hat im August 2023 mit ihm und anderen Experten zu der Frage gesprochen, wie der Fachkräftemangel zu beheben sei. Die einstimmige Antwort: Es brauche eine Mischung aus vielen verschiedenen Maßnahmen. Dazu gehört, dass Ältere länger und Frauen häufiger in Vollzeit arbeiten müssten. Eine weitere Maßnahme wäre es, bisher erwerbslose Menschen in Arbeit zu bringen. Doch all diese Maßnahmen werden nicht ausreichen, um den Mangel an qualifizierten Arbeitskräften auszugleichen. Der IAB-Kurzbericht von 2021 kommt zu dem Schluss, dass sich auf diese Weise bis 2035 zusätzliche 3,4 Millionen Erwerbspersonen aktivieren ließen. Nicht genug, um die Lücke zu schließen.
Arbeitsmarktbeobachter gehen davon aus, dass Deutschland qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland braucht. Laut Berechnungen des IAB aus dem Jahr 2021 bräuchte Deutschland jedes Jahr 400.000 Zuwanderer, die nach Deutschland kommen und hier bleiben, um das Arbeitskräfteangebot langfristig konstant zu halten. Enzo Weber vom IAB sagte dem #Faktenfuchs dazu, wenn viele wieder aus Deutschland weggingen, gewinne man nichts.
Stephan Protschka, Landesvorsitzender der AfD in Bayern und Bundestagsabgeordneter
Die Behauptung:
"Ich kann die Änderungen [er meint Klimaveränderungen, Anm. der Redaktion] nicht verändern als Mensch. Vier Prozent liegt an der Menschheit der Veränderung des Klimas. (...) Vier Prozent. 96 Prozent davon macht die Umwelt selbst."
Richtig oder falsch?
Falsch. Es stimmt nicht, dass der Mensch keinen Einfluss auf den Klimawandel hat.
Die Fakten:
Die vier Prozent, die Protschka erwähnt, beziehen sich - das legt seine Aussage nahe - auf den angeblichen Anteil des jährlichen CO2 in der Luft, den der Mensch verursacht. Diese Zahl ist falsch, weil die zugrundeliegende Berechnung außer Acht lässt, dass die Natur das CO2, das sie ausstößt, auch wieder aufnimmt. Sie wurde unter anderem von einem Sachverständigen in einer Sitzung des Umweltausschusses im Bundestag 2019 zitiert, der den menschengemachten Klimawandel leugnete. Den Sachverständigen hatte die AfD eingeladen.
Die vier Prozent sind das Ergebnis, das man erhält, wenn man das CO2, das der Mensch jährlich verursacht, ins Verhältnis zum jährlichen CO2-Ausstoß der Natur setzt. Die Berechnung ignoriert aber, dass die Natur das von ihr produzierte CO2 auch komplett wieder aufnimmt (zum Beispiel durch Pflanzen und Ozeane). Im Gegensatz dazu kann das vom Menschen verursachte zusätzliche CO2 nicht kompensiert werden. Die Berechnung ist deshalb "sinnlos", wie ein Mitarbeiter des Umweltbundesamtes dem #Faktenfuchs per Mail erklärte.
Der natürliche CO2-Kreislauf sorgte lange dafür, dass die Menge an CO2 in der Atmosphäre konstant blieb. Der CO2-Gehalt in der Atmosphäre hat über Jahrtausende den Maximalwert von 280 ppm nicht überschritten. Die Einheit "ppm" steht für "parts per million", also CO2-Moleküle pro eine Million Luft-Moleküle. Das änderte sich erst mit dem Beginn der Industrialisierung, also ungefähr in den vergangenen 250 Jahren. Seither ist der CO2-Wert in der Atmosphäre auf etwa 420 ppm gestiegen. Der Anteil des Menschen ist die Differenz zwischen dem derzeitigen CO2-Gehalt in der Atmosphäre und dem über Jahrtausende vorherrschenden natürlichen Maximalwert von 280 ppm. Rund ein Drittel des derzeitigen CO2-Gehalts in der Atmosphäre ist entsprechend vom Menschen verursacht.
Dieses Drittel ist dafür verantwortlich, dass sich das Klima verändert. Es geht also darum, die CO2-Menge, auf die der Mensch einen Einfluss hat, zu senken.
Alle Details dazu finden Sie in diesem Faktencheck.
Manfred Weber, Vorsitzender der EVP-Fraktion im EU-Parlament
Die Behauptung:
"Der Kollege Krah ist einer der faulsten Abgeordneten im europäischen Parlament. Bei den Abstimmungen ist er am wenigsten präsent."
Richtig oder falsch?
Manfred Weber hat Recht damit, dass Maximilian Krah (AfD) bei Abstimmungen häufig fehlt. Bei den Details ("am wenigsten präsent") liegt er aber daneben: Vier andere deutsche Abgeordnete fehlten in der laufenden Legislaturperiode noch häufiger.
Die Fakten:
Der #Faktenfuchs hat Daten des Projekts HowTheyVote.eu zum Abstimmungsverhalten aller Abgeordneten im Europaparlament in der noch laufenden Legislaturperiode (von Juli 2019 bis März 2024) ausgewertet. Das Ergebnis: Maximilian Krah (AfD) fehlte bei 2.921 von 18.274 untersuchten namentlichen Abstimmungen. Damit liegt er unter den deutschen Abgeordneten auf Platz fünf.
Am häufigsten fehlte Martin Buschmann, der zunächst für die Tierschutzpartei ins EU-Parlament einzog, mittlerweile aber diese Partei und danach die Fraktion Die Linke verlassen hat. Auf Platz zwei liegt Martin Schirdewan, Fraktionsvorsitzender der Linken. Katarina Barley (SPD), die stellvertretende Parlamentspräsidentin, liegt auf Platz drei und Joachim Schuster (SPD) auf Platz vier.
Ein leicht verändertes Bild ergibt sich, wenn man die rund 1.500 Hauptabstimmungen betrachtet – das sind die finalen Abstimmungen, nachdem über alle Änderungsanträge entschieden wurde. Krah fehlte bei 21 Prozent der Hauptbestimmungen und liegt damit auf Platz drei. Stellvertretende Parlamentspräsidentin Katarina Barley war bei 23 Prozent der Hauptabstimmungen nicht anwesend (Platz zwei), Joachim Schuster bei 29 Prozent (Platz eins).
BR24 hat die Daten von HowTheyVote.eu auch dazu verwendet, das Abstimmungsverhalten der verschiedenen Kräfte im EU-Parlament auszuwerten. Das Ergebnis: Die AfD fällt durch ihr Abstimmungsverhalten auf und tritt selbst im Vergleich zum Rest der rechtspopulistischen Fraktion "Identität und Demokratie" (ID) häufiger auf die Bremse bei Themen wie Frauenrechten, Demokratie oder Klimaschutz.
Christine Singer, Spitzenkandidatin der Freien Wähler für die Europawahl
Die Behauptung:
"Wir haben ein Drittel Grünland. Da können wir nur Tierhaltung machen. (…) Wir müssen in den Regionen das erzeugen, was wir haben."
Richtig oder falsch?
Richtig. Es stimmt, dass in Bayern etwa ein Drittel der landwirtschaftlich genutzten Fläche Grünland ist. Außerdem ist es richtig, dass Grünland nur nach einer Genehmigung wieder als Acker genutzt werden darf.
Die Fakten:
Grünland sind landwirtschaftlich genutzte Flächen, auf denen verschiedene Gräser oder Kräuter dauerhaft wachsen. Nach Angaben der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft beträgt Grünland etwa ein Drittel der landwirtschaftlich genutzten Fläche in Bayern.
Grünland dient in erster Linie der Produktion von Futter, als Mähwiese oder Weide, und damit der Erzeugung von Milch und Fleisch. Nach Angaben des Bundesinformationszentrum Landwirtschaft hat sich die Grünlandbewirtschaftung vor allem in Regionen entwickelt, in denen eine ackerbauliche Nutzung nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich war, zum Beispiel in Mittelgebirgslagen mit Hängen. Hier würden sich mit Acker- oder Gemüsebaukulturen nur geringe Erträge erzielen lassen, die für einen Betrieb nicht wirtschaftlich wären.
Dauergrünland darf grundsätzlich nur mit Genehmigung in andere Nutzungen umgewandelt werden. Im Regelfall wird eine Genehmigung nur erteilt, wenn an anderer Stelle in derselben Region eine andere Fläche mit entsprechender Hektarzahl neu als Dauergrünland angelegt wird. Als Dauergrünland gelten Wiesen und Weiden, die mehr als fünf Jahre nicht als Acker genutzt wurden. Insofern ist die Aussage von Christine Singer richtig, dass Grünland primär für die Tierhaltung genutzt werden darf.
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