Im Coburger Rathaus sind am Montag wissenschaftliche Forschungsergebnisse zur NS-Zeit in der Stadt vorgestellt worden. Anlass war die Fertigstellung des Manuskripts für ein mehr als 700-seitiges Buch der Historikerin Eva Karl, das Ende des Jahres erscheinen wird.
Coburgs Weg in den Nationalsozialismus: "Fatale Gemengelage"
Karl zeichnet in ihrem Buch den Weg Coburgs nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Ende des Herzogtums Coburg in die Vorreiterrolle und die frühzeitige Machtübernahme der Nationalsozialisten nach. Die Situation in Coburg beschreibt Karl als "fatale Gemengelage", die den Aufstieg der NSDAP begünstigt hat. In Coburg seien nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg in der Bevölkerung, mehr als andernorts, Unsicherheiten und Orientierungslosigkeit aufgekommen. Viele Menschen hätten dann Antworten auf offene Fragen, die die lokale Politik nicht geben konnte, im Nationalismus gesucht, so Karl.
"Deutscher Tag" in Coburg begründet Mythos
Eine besondere Rolle in dieser Zeit kommt dem 1918 abgedankten Herzog Carl Eduard zu, erklärte Karl bereits im November des vergangenen Jahres im BR-Gespräch. Carl Eduard habe auch nach seiner Abdankung noch große Strahlkraft in der Bevölkerung besessen und sich in der Folge offen zu den völkischen Verbänden in der Stadt bekannt. Das habe den Prozess angefeuert, so die Historikerin Karl.
1922 fand in Coburg der völkische "Deutsche Tag" statt, zu dem auch Adolf Hitler und die Schlägertrupps der SA aus München anreisten und in Coburg erfolgreich ausprobierten, öffentlichen Raum mit Gewalt einzunehmen. Die Vorkommnisse beschrieb Hitler in seiner Kampfschrift "Mein Kampf". Viele Coburger seien stolz darauf gewesen, dass die Stadt im Buch Erwähnung fand, so Karl im vergangenen Jahr. Im Auftritt Hitlers in Coburg liegt für die Historikerin der Ausgangspunkt für einen Mythos, der Coburg wieder zu einem Vorreiter gemacht habe.
Franz Schwede als treibende Kraft
Zentrale Figur für den Aufschwung der NSDAP in Coburg war der spätere Bürgermeister Franz Schwede. Er baute die Verwaltung machtpolitisch zu Gunsten der Nazis um, betrieb Symbolpolitik und machte Coburg so zur ersten nationalsozialistischen Stadt Deutschlands, so Karl. Auch nach seinem Weggang aus Coburg und dem Aufstieg zum Gauleiter in Pommern habe Schwedes Wirken Spuren hinterlassen. Im weiteren Verlauf des Buches beschreibt die Historikerin Karl die Ausübung der Macht in der Stadt und das Leben während der NS-Zeit.
Oberbürgermeister: Viele Menschen haben darauf gewartet
Coburgs Oberbürgermeister Dominik Sauerteig (SPD) sagt, viele Menschen in der Stadt hätten darauf gewartet, anhand von wissenschaftlichen Fakten über die Frage des "Warum?" in der Vergangenheit zu reden und entsprechende Tendenzen in der Gegenwart verhindern zu können.
Der Coburger Stadtrat hatte 2015 eine Historikerkommission unter Leitung des Geschichtsprofessors Gert Melville beauftragt, die Geschehnisse in Coburg während der NS-Zeit aufzuarbeiten. Die Umsetzung der Forschung hatte im Anschluss die Historikerin Eva Karl übernommen, die am Institut für Zeitgeschichte in München angestellt ist. Ihr Buch mit dem Titel "Coburg voran! – Herrschen und Leben in der ersten nationalsozialistischen Stadt Deutschlands" soll Ende November erscheinen.
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