"Nur weil man für Palästina ist, ist man noch nicht gleich antisemitisch", sagt die junge Frau, die gerade beim Pro-Palästina-Protestcamp angehalten hat. Kilian Gremminger nickt. "Das wird mich die Presse hier auch gleich wieder fragen", sagt er und lädt die Frau ein, doch später zu einer Diskussion vorbeizuschauen. "Mach ich!", sagt sie.
Pro-Palästina-Protestcamp darf vor Uni bleiben
Der 25-jährige Soziologie-Student protestiert seit Montag mit anderen Aktivisten auf dem Professor-Huber-Platz vor der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU). Nach einer gerichtlichen Auseinandersetzung dürfen ihre Zelte stehen bleiben.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof bestätigte am Dienstag eine entsprechende Entscheidung des Münchner Verwaltungsgerichts - und lehnte eine Beschwerde des Kreisverwaltungsreferats München ab. Die Behörde hatte am Montag durch einen Bescheid verhindern wollen, dass das Protestcamp in unmittelbarer Nähe zu der Universität errichtet werden darf - aus Angst vor massiven Störungen des wissenschaftlichen Betriebs.
Beide Gerichte argumentierten, es fehle eine konkrete, belegbare Gefahrenprognose, die eine Verlegung des Camps rechtfertige. Das Versammlungsrecht sei ein hohes Gut.
Kritik am Protestcamp vom Antisemitismusbeauftragten Bayerns
Am Montagabend hatten die pro-palästinensischen Aktivisten vor der LMU die Zelte aufgebaut. Die Kritik kam prompt in Form eines Gegenprotestes noch am selben Tag vom Bündnis "München ist bunt". Mit dabei auch der Antisemitismus-Beauftragte Bayerns, Ludwig Spaenle, der sich im Nachgang so äußerte: Bei dem pro-palästinensischen Protestcamp vor der LMU werde einseitig "Israel die Schuld zugewiesen, das sich nach dem Terroranschlag der Hamas verteidigt." Zudem werde das Existenzrecht des Staates Israel in Frage gestellt, so Spaenle.
Existenzrecht Israels? "Die Diskussion haben wir noch nicht geführt"
Ist das so? Dazu äußern darf sich von Seiten der Demonstrierenden nur Kilian Gremminger, den sie als Pressesprecher bestimmt haben. "Wir wollen auf die Tötung von Zivilisten hinweisen, nachdem jetzt eine Bodenoffensive auf Rafah angekündigt wurde, wo derzeit mehr als eine Million Menschen sind", sagt er. Gegen den Vorwurf des Antisemitismus wehrt er sich, auch sei man gegen die Terrororganisation Hamas. Und wie steht es um das Existenzrecht Israels? "Die Diskussion um das Existenzrecht Israels haben wir noch nicht geführt. Da ich für das ganze Protestcamp stehe, kann ich dazu nichts sagen", sagt er.
Linksextremistische Gruppierung als Teil des Protests
Doch ganz so einfach ist es nicht – denn natürlich haben die Aktivisten im Camp eine oder mehrere Meinungen zum Existenzrecht Israels. Zum Beispiel Kilian Gremminger selbst. Er gehört nicht nur dem Protestcamp an, sondern auch zur trotzkistischen Gruppierung "Revolutionäre Internationale Organisation" mit ihrer Internetseite "Klasse gegen Klasse". Sie hat zwischen den Zelten ebenfalls ein Banner ausgelegt und ist offenbar Teil des Pro Palästina-Protests. Die Gruppe wird vom bayerischen Verfassungsschutz in seinem Bericht 2023 als linksextrem eingestuft und gilt als israelfeindlich. Wie Kilian Gremminger persönlich zu dem Existenzrecht Israels steht? "Das können Sie auf unserer Website nachlesen", sagt er und meint damit den Internet-Auftritt "Klasse gegen Klasse". Und da steht unter einem Artikel, der sich explizit mit dem Staat Israel befasst: "Das Existenzrecht Israels sollte (…) nicht nur diskutiert werden 'dürfen', es muss konsequent in seiner jetzigen Form abgelehnt werden."
Umstrittene Aussagen auf Protestplakaten
Mehr will Kilian Gremminger dazu nicht sagen, nur, dass er dazu keine Stellung im Namen des Protestcamps beziehen könne. Die anderen Demonstrierenden wollen nicht mit den Medien reden. Welche Meinung sie haben? Auf dem Forderungskatalog des Camps etwa steht: "Verurteilung aller Menschenrechtsverletzungen", "Forderung nach Ende der Besatzung" und "Befreiung der Geiseln".
Aber auch umstrittene Aussagen finden sich auf den Plakaten und Fahnen rund um das Camp: "End Israels Apartheid – Free Palestine" steht auf mehreren Palästina-Flaggen, auf einem Plakat heißt es "Stop the Genocide." Auf einem anderen Schild wiederum wird gefordert: "Free Palestine from German Guilt" – "Befreit Palästina von der deutschen Schuld". Gerade die letzte Aussage ist hochumstritten; Kritiker sehen darin eine Forderung, die Erinnerung an den Holocaust und die Aufarbeitung der Verbrechen des Nazi-Regimes hinter sich zu lassen. Eine Aussage, die vor allem in rechtsextremen Kreisen immer wieder formuliert wird.
Jüdischer Passant: "Keine Diskussion anhand von Fakten"
Am Infostand kommt es dann doch noch zu einer Diskussion mit einem Passanten. "Aber warum kann dieser Staat nicht Israel heißen, in dem alle zusammen in Frieden leben?", fragt er die Aktivisten am Infostand. "Wieso kann dieses Land denn nicht Palästina heißen?", fragt die junge Frau mit dem Pali-Tuch zurück. Der Mann wendet sich wütend ab. "Ganz ehrlich, als Jude, heute am israelischen Unabhängigkeitstag, ich könnte kotzen", sagt der Mann. Er heißt Attila Teri, ein Jude mit ungarischen Wurzeln und deutschem Pass. Er verzieht das Gesicht. "Auf keine konkrete Frage haben die konkret geantwortet."
Er ärgert sich, etwa über das Schild "Queers for Palestine". Als er gefragt habe, ob die wüssten, was mit queeren Menschen in Gaza passiere, hätte er nur "Ja, aber" gehört. Dass queere Menschen in Israel hingegen frei leben könnten, blenden die Demonstrierenden seiner Meinung nach aus: "Du kannst hier keine Diskussion anhand von Fakten führen, was mir sehr wehtut. Und damit wiegeln sie Menschen auf, die überhaupt keine Ahnung von dem Thema haben."
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