33

Sportpsychologie So wichtig ist mentale Stärke

Wer im Sport siegen will, muss nicht nur seine Muskeln trainieren. Man braucht starke Nerven für einen Pokal. Aber kann der Kopf den Körper zu außerordentlichen Leistungen antreiben?

Von: Daniela Remus

Stand: 23.10.2020

Turnerin am Stufenbarren | Bild: picture-alliance/dpa/Hansjürgen Britsch

Ob bei Olympischen Spielen oder anderen Sport-Großereignissen wie der Fußball-Weltmeisterschaft, ob Profi-Sportler oder Freizeitathlet: Mentale Stärke ist im Sport ein wichtiges Thema. Leistung im entscheidenden Rennen zu zeigen, durchzuhalten und das letzte Quäntchen Kraft und Ausdauer aus sich herauszuholen, das gilt beim Wettkampfsport als selbstverständlich.

Der Körper braucht einen klaren Kopf

Dieses Verständnis von Sport als Wettbewerb und Konkurrenz, das heute so selbstverständlich erscheint, ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Denn erst durch die Industrialisierung und den Blick auf ökonomische Modelle veränderte sich die Sichtweise auf den Körper. Seit damals wird er hauptsächlich als Leistungsträger für einen messbaren und standardisierten Sport gesehen und beurteilt.

Doch schon vor rund einhundert Jahren erkannten Wissenschaftler, dass auch der Kopf wichtig ist, um sportliche Höchstleistungen zu erbringen. Diese Erkenntnis gilt bis heute und wird durch die Hirnforschung immer bedeutsamer. Heute stehen Sportpsychologen zur Verfügung, die die optimale Bewegung und Gedankenkraft vermessen und durch bestimmte Techniken optimieren wollen. Denn dass die Leistungsfähigkeit von Einzelsportlern und Mannschaften auch von Motivation, Disziplin, Siegeswillen und mentaler Stärke abhängt, ist inzwischen allgemein bekannt.

Adrenalin spielt eine wichtige Rolle

Immer wieder üben Spitzensportler genau das: Nur an den nächsten Schritt zu denken, voll in der Situation zu sein, sich nicht ablenken zu lassen. Manche schaffen das, indem sie sich auf ihren eigenen Atem konzentrieren, andere aktivieren positive Bilder im Kopf und wieder andere gehen in Gedanken systematisch die zukünftige Bewegung durch. Grundlegendes Ziel dieser Techniken ist es, rein physiologisch betrachtet, den Adrenalinpegel im Blut in den Griff zu bekommen, erklärt die Sportpsychologin Jeannine Ohlert von der Sporthochschule Köln.

"Es gibt einen optimalen Punkt. Das heißt, wenn ich zu viel Adrenalin im Blut hab, dann ist das nicht gut, aber wenn ich zu wenig Adrenalin im Blut habe, dann ist das auch nicht gut. Das heißt, ich muss meinen optimalen Punkt finden. Und das größte Problem, was Sportler haben ist, dass sie diesen optimalen Punkt schon überschritten haben, das heißt, dass dann häufig zu viel Adrenalin da ist, in solchen Situationen."

Dr. Jeannine Ohlert, Sportpsychologin an der Sporthochschule Köln

Belastung und Entspannung sind gleich wichtig

Auf den Punkt hin trainiert: Mit dieser Darbietung werden Aljona Savchenko and Bruno Massot Sieger im Eiskunstlauf.

Das richtige Verhältnis zu haben zwischen Anspannung und Entspannung entscheidet bei den meisten Sportlern über Sieg oder Niederlage. Und dass der Körper in einer Stresssituation Adrenalin ausschüttet, ob im Wettkampf oder in einer Prüfung, ist eine biologische Konstante, erklärt Jeannine Ohlert.

Um eine optimale Leistung abliefern zu können, muss die Adrenalinausschüttung gesteuert werden. Das kann durch Atemübungen sein, durch Meditation oder autogenes Training. Dann gelingt es Sportlern, sich nicht ablenken zu lassen und alles abzurufen, was sie an Kraft, Ausdauer und Technik täglich trainiert haben. Nur 30 Prozent aller Sportler schaffen es in einem Wettkampf, wo es wirklich darauf ankommt, die Leistung zu erbringen, die sie im Training regelmäßig zeigen, sagt Ohlert.

Die Kraft der positiven Gedanken

Manche nutzen Hypnosetechniken, um die Anspannung zu kontrollieren, andere Tiefensuggestion, wieder andere Entspannungsübungen oder positive Selbstgespräche. Diese sogenannten Selbstinstruktionen fallen manchen Menschen leicht, weil sie ohnehin selbstbewusst sind. Andere müssen diesen Prozess in kleinen Schritten erlernen. Wie autogenes Training, Yoga oder die Vokabeln einer Fremdsprache, trainieren sie es, sich selbst zu bestärken. Das fällt Frauen genauso schwer oder leicht wie Männern. Geschlechtsunterschiede gibt es dabei nicht, nur unterschiedliche Persönlichkeiten.

Angst nutzen, um sich zu fokussieren

Mentales Training ist eine komplexe Aufgabe –  zumindest bei den wissenschaftlich arbeitenden Sportpsychologen. Sie umfasst die unterschiedlichsten Aspekte:  Motivationstraining, Stärkung des Selbstbewusstseins, Entspannungstechniken, und auch ganz bewussten Angstabbau, erklärt Thomas Schack, Professor für Sportpsychologie an der Universität Bielefeld. Denn Angst ist nicht gleich Angst. Angst vor Verletzung muss psychologisch anders begleitet werden als Angst vor Versagen beispielsweise.

"… sehr gute Sportler unterscheiden sich nicht dadurch, dass die Guten keine Angst haben und die anderen Angst hätten. Beide haben Angst, aber die Leistungsfähigen gehen anders mit der Angst um. Die nehmen das als eine Art von Energetisierung, die können entsprechende Instruktionen nutzen, die nehmen das als Argument, um sich zu fokussieren, während die anderen einfach Probleme haben, und so eine Aufregung zu Unterbrechungen in der Handlung führt."

Thomas Schack, Professor für Sportpsychologie an der Universität Bielefeld

Im Sport ist mentale Stärke enorm wichtig. Doch sie allein führt nicht zum Sieg.

Wie eine Fokussierung im entscheidenden Wettkampf letztlich gelingt, dafür gibt es kein Patentrezept. Denn zum sportlichen Erfolg gehören gute Bedingungen, Talent, Fleiß, Wille, Tagesform, Wetter, Trainingszustand und eben auch die Psyche. Die ist wichtig – aber sie allein führt niemanden zum Sieg.


33