Von rechts- und linksaußen EU-Gegner im Ansturm aufs EU-Parlament
Sie heißen Front National, FPÖ oder Goldene Morgenröte: Extrem rechte Parteien setzen auf den Frust über die Brüsseler Politik. Auch am linken Rand wird gegen die EU gewettert. Ein Überblick.
Bislang bringen es die rechtsextremen oder rechtspopulistischen Parteien, die sich zur Gruppierung EFD ("Europa der Freiheit und der Demokratie") zusammengeschlossen haben, auf gerade mal 31 von 274 Abgeordneten; dazu kommen einige fraktionslose Rechtsparteien wie die österreichische FPÖ.
Bei Abstimmungen ist die "Internationale der Nationalisten" so gespalten wie keine andere Fraktion im EU-Parlament: Wenn italienische Neofaschisten gegen rumänische Einwanderer und britische UKIP-Vertreter gegen Subventionen für französische Bauern polemisieren, ist die Freude beim Nachbarn naturgemäß gering. Was die äußerste Rechte eint, ist außer ihrer Abneigung gegen Zuwanderung im Allgemeinen und den Islam im Besonderen vor allem das Misstrauen gegen die Institution, in der sie mit abstimmt. Umfragen zufolge kann sie eine Verdreifachung ihrer Sitze einplanen. Als Hoffnungsträgerin wird besonders die Französin Marine Le Pen, Chefin des Front National, gehandelt. Auch die britische UKIP, das italienische Movimento 5 Stelle und die Partei des Niederländers Geert Wilders haben Chancen, als stärkste oder zweitstärkste Fraktion ihres Landes ins EU-Parlament zu ziehen.
Der mit 33 Sitzen ähnlich große Zusammenschluss der radikalen Linken GUE/NGL ist prinzipiell pro-europäisch, lehnt einige Institutionen und Verfahrensweisen der EU aber ebenfalls mehr oder weniger vehement ab. Auch etliche Vertreter dieser Fraktion können mit deutlichen Zugewinnen rechnen - allen voran die griechische Syriza, die bei der Europawahl 2009 noch "unterhalb des Radars" unterwegs war und bei der Wahl zum Athener Parlament 2012 knapp 27 Prozent der Sitze errang.
Sollten die Meinungsforscher recht behalten, wäre rund ein Viertel der EuroParlamentarier EU-skeptisch bis -feindlich eingestellt - ein Novum in der Geschichte der Europäischen Union. Ob dieser Stimmungsumschwung bloß eine wirtschaftlichen und/oder politischen Desillusionierungen geschuldete "europäische Normalisierung" darstellt oder zu einer ernsthaften Destabilisierung des Kontinents führen könnte, muss sich zeigen.
Die zum Gutteil neonationalsozialistische NPD verkörpert die harte Variante des Rechtsextremismus. Ihr Programm zur Ausweisung von Ausländern weist Parallelen zur Agenda von Hitlers NSDAP auf. Derzeit läuft ein Verbotsverfahren gegen die "Nationaldemokraten". Weil in Deutschland 2014 erstmals die Prozenthürde bei Europawahlen wegfällt, hat die NPD die Chance, einen Abgeordneten nach Straßburg zu entsenden. Sollte dies gelingen, säße voraussichtlich Ex-NPD-Chef Udo Voigt, der für eine Radikalisierung der Partei stand, im Europaparlament.
Nicht extremistisch, aber populistisch kommt die Alternative für Deutschland (AfD) daher. Sie setzt mit ihrem Slogan "Mut zu D-EU-tschland" ein klares Zeichen: Erst geht es um Deutschland, dann um Europa. Ein Austritt aus dem Euro wird für die Krisenländer Südeuropas gefordert. Neben Parteichef Bernd Lucke auf Listenplatz eins soll der frühere Industriepräsident Hans-Olaf Henkel der Partei ein Gesicht geben. In der Wählergunst erreichte die AfD laut Umfragen zuletzt sechs Prozent.
Am linken Rand des politischen Spektrums vertritt vor allem die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD), die 2014 erstmals zu einer Europawahl antritt, radikale Anti-EU-Positionen. Das Motto der Partei: "Rebellion gegen die EU ist gerechtfertigt".
Die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) ist bereits mehrfach zu einer Europawahl angetreten. Sie agitiert "gegen das Europa der Banken und Konzerne" und fordert, dass alle militärischen Auslandseinsätze der EU beendet werden. Auch im Programm: ein "Schuldenschnitt für die verarmenden EU-Mitgliedsstaaten."
Die Chancen beider Parteien auf einen Sitz im EU-Parlament sind allerdings äußerst gering.
Mit einer verbalen Distanzierung von eindeutig rechtsradikalem Gedankengut hat Marine Le Pen den Front National zu einer für viele Franzosen wählbaren Partei gemacht. Offene Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus sind inzwischen tabu. Stattdessen schlachtet die Partei Themen wie Rente mit 60 oder Sicherheit populistisch aus. Ihr Nationalismus setzt auf Abgrenzung von EU und NATO. Bei der Europawahl könnte der Front National Umfragen zufolge zweitstärkste oder sogar stärkste französische Partei werden.
Frankreichs zweite "Front" ist links. Der Front de Gauche ist ein Versuch, das zersplitterte linke Lager in Frankreich zusammenzuführen. Gründungsimpuls war die Ablehnung des europäischen Verfassungsvertrags durch ein Referendum im Jahr 2005. Bekanntestes Gesicht ist Jean-Luc Mélenchon, Chef der Parti de Gauche, der in seinem Kampf gegen die von Deutschland geforderte Sparpolitik ("Politique de rigeur") Fakten und Polemik zu einem recht giftigen Brei zusammenrührt. "Die Deutschen sind ärmer als der Durchschnitt, sie sterben früher, sie haben keine Kinder und sogar die Immigranten suchen das Weite", so Mélenchon 2013 in einem Radiointerview mit France Inter. Fazit: "Wer Lust am Leben hat, will kein Deutscher sein."
Der Sieg der rechtsnationalen FIDESZ unter Viktor Orban bei den jüngsten Parlamentswahlen hat niemanden überrascht. Erschreckender ist, dass jeder fünfte Wähler (und sogar jeder dritte Student) in Ungarn die rechtsextremistische Partei Jobbik gewählt hat. Dies dürfte den befürchteten Rechtsruck bei den Europawahlen befeuern. Parteichef Gabor Vona brüstete sich, der "erfolgreichsten radikal-nationalistischen Partei in der EU" vorzustehen. Wegen der radikalen Positionen - unter anderem ihrer Hetze gegen die Roma-Minderheit - hatten sich sogar andere rechtsextreme Parteien in Europa von Jobbik distanziert.
Die Partei für die Freiheit (PVV) des Rechtspopulisten Geert Wilders könnte - glaubt man den Umfragen - mit fünf Sitzen als stärkste Kraft aus der Europawahl hervorgehen. Wilders fährt einen harten Abgrenzungskurs gegen Europa. Gemeinsam mit Marine Le Pen will er im EU-Parlament ein neues Rechtsbündnis schließen. Er kritisiert den freien Zuzug von Arbeitnehmern vor allem aus Osteuropa. Seinen Anti-Islamismus begründet der ideologisch schillernde Holländer modern mit liberalen Werten wie Gleichberechtigung und sexueller Selbstbestimmung. Wilders legt sich für einen EU-Austritt der Niederlande ins Zeug und für die "Befreiung vom Diktat Brüssels".
Im krisengeschüttelten Griechenland ist die Zustimmung zur EU inzwischen so gering wie in keinem anderen Mitgliedsstaat - abgesehen von Großbritannien. Meinungsforscher halten eine Mehrheit für die Anti-EU-Parteien von links und rechts für möglich. Auf der Linken ist das vor allem Syriza, ehemals ein loses Wahlbündnis linker Gruppen, dessen Parteivorsitzender Alexis Tsipras heute Spitzenkandidat der europäischen Linksfraktion ist.
Tsipras greift das "Spardiktat" der EU an und bemängelt, die Griechenland-Rettungsmanöver der EU dienten vor allem der Rettung von Banken und großen Vermögen. Seine Konsequenz: Griechenland müsse, um der Schuldenspirale zu entkommen, die Rückzahlung alter Kredite aussetzen und dafür notfalls den Euroraum verlassen. Rund 30 Prozent der griechischen Wähler könnten das ähnlich sehen.
Die rechtsextremistische und rassistische Goldene Morgenröte könnte drittstärkste Kraft werden und einen oder zwei Abgeordnete nach Straßburg schicken. Zahlreichen Parteifunktionären wirft die Justiz vor, eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben. Der Parteichef und fünf weitere Abgeordnete sind bereits inhaftiert. Die Partei profitiert vom Frust vieler Bürger, die die Regierung wegen der schweren Finanzkrise abstrafen wollen. Sie fordert, alle Ausländer aus Nicht-EU-Staaten aus Griechenland auszuweisen.
Auf der Insel könnte es einen Triumph der rechtspopulistischen United Kingdom Independence Party (UKIP) geben. Demoskopen sehen die Euroskeptiker derzeit bei 26 Prozent - und damit vor den regierenden Torys von Premierminister David Cameron. Einige Experten rechnen damit, dass UKIP bis zum Wahltag auch noch die derzeit führende Labour-Partei überholen könnte. Die UKIP steht vor allem für den Austritt Großbritanniens aus der EU und für eine deutliche Begrenzung der Zuwanderung. Die rechtsextremistische BNP dürfte ohne Chancen sein.
"Putting Ireland First" ist das Motto der irisch-republikanischen Sinn Féin, die bisher mit zwei Abgeordneten die Linksfraktion GUE/NGL verstärkt. In ihrem zentralen EU-Wahlspot präsentiert sie sich als Partei der kleinen Leute mit Zielen wie Antirassismus, Gleichberechtigung und einem Ende der europäischen Austeritätspolitik. Doch die Schatten der Vergangenheit sind lang: Der Parteivorsitzende und angebliche Ex-IRA-Kommandeur Gerry Adams, der sich am Ende des Spots auf gälisch an seine Wähler wendet, wurde Anfang Mai vier Tage lang wegen eines ungeklärten Mordes im Jahr 1972 verhört. Adams selbst spricht von einer Kampagne. Ob die Verhaftung Sinn Féin schadet oder eher einen Mobilisierungsschub bei den Anhängern auslöst, wird sich am 25. Mai zeigen.
Die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) hofft fest auf einen neuerlichen Einzug ins EU-Parlament. Umfragen sehen die Partei knapp über 20 Prozent. Sie könnte also aus der Europawahl als große Gewinnerin hervorgehen. Mit Kritik an der EU und fremdenfeindlichen Tönen spricht die Partei vor allem Protestwähler an. Ihr Chef Heinz-Christian Strache positioniert sich als Kämpfer für den kleinen Mann. Bei der vergangenen Bundestagswahl kam die FPÖ mit 20,50 Prozent der Stimmen auf den dritten Platz.
Was wird aus der politischen Hinterlassenschaft Silvio Berlusconis? Während seine Parteischöpfung, die jüngst in Schrumpfform wiederauferstandene Bewegung Forza Italia, noch mit sich ringt, ob sie EU-skeptisch oder offen EU-feindlich sein will, hat sich Berlusconis skurrilster Gegner längst entschieden. Die vorgeblich basisdemokratische, tatsächlich aber autokratisch von ihrem Chef Beppe Grillo geführte "Fünf Sterne Bewegung" betreibt aktive Politikverweigerung. Der TV-Komiker und Blogger Grillo koaliert nicht, toleriert nicht und diskutiert nicht gern. Dennoch wurde das Movimento 5 Stelle bei der Parlamentswahl im Februar 2013 zweitstärkste Kraft in Italien. Und Grillo will mehr:
"Wenn wir gewinnen und turnusmäßig die Präsidentschaft im Europäischen Parlament übernehmen würden, würden wir die europäische Politik ändern."
Beppe Grillo im September 2013 im Zeit-Interview
Zuletzt forderte Grillo, alle politisch Verantwortlichen der letzten Jahrzehnte gehörten vor ein Kriegsverbrechertribunal nach Art des Nürnberger Prozesses gestellt - worauf ihn Berlusconi mit Adolf Hitler verglich.
Vergleichsweise berechenbar ist die 1991 gegründete Lega Nord, die inzwischen zu den klassischen rechtspopulistischen Parteien in Europa. Sie hat sich einen "regionalen Nationalismus", Föderalismus und Autonomie auf die Fahnen geschrieben - immer in Konfrontation zum armen Süden des Landes und zur Hauptstadt Rom. Bei den Europawahlen 2009 eroberte die Lega neun Sitze. Zuerst pro-europäisch eingestellt, profiliert sie sich inzwischen als scharfe Kritikerin der EU. Ihre Klage über den Kompetenzverlust der Nationalstaaten teilt sie mit weiteren, auch linksextremen Parteien.
Im Nordosten der EU sind die rechtspopulistischen Wahren Finnen drittstärkste Kraft im Parlament. Ein Abgeordneter der Partei von Timo Soini sitzt bereits im Europaparlament. Die Wahren Finnen haben sich von einer kleinen Protestpartei zu einer wichtigen Kraft entwickelt - obwohl sie regelmäßig wegen rassistischer oder sexistischer Äußerungen am Pranger der Medien stehen. Die Partei ist unter anderem strikt gegen Hilfszahlungen an überschuldete EU-Länder.
Der separatistische Vlaams Belang kann ebenfalls mit einem Einzug ins EU-Parlament rechnen. Die Partei steht der EU kritisch gegenüber, positioniert sich jedoch nicht strikt anti-europäisch. Der Vlaams Belang vertritt einen Mix aus flämischem Nationalismus und rechtsradikalem Gedankengut. Den extremistischen Habitus hat die Partei über die Jahre hinweg jedoch zugunsten eines nationalkonservativen Profils abgelegt.
Dort gilt die rechtspopulistische Volkspartei (Dansk Folkeparti - DF) als Vorreiter der rigiden Ausländerpolitik und hat in den vergangenen Jahren stetig an Unterstützung gewonnen. Bei Meinungsumfragen war die DF zuletzt sogar die Partei mit dem zweitgrößten Zuspruch. Vor allem gegen die Einwanderung von Muslimen steuert sie einen harten Kurs. Bei der Europawahl 2009 errang die DF bereits zwei Mandate - und hat auch diesmal gute Chancen, wieder in das Parlament einzuziehen.
Dort zählten die Schwedendemokraten bis vor einigen Jahren noch zum rechtsextremistischen Lager. Sie selbst bezeichnen sich als nationalistisch. Noch sitzen die "Sverigedemokraterna" nicht im Europaparlament, doch stecken sie viel Geld in ihren Wahlkampf. Parteivorsitzender ist seit 2005 Jimmie Åkesson. Zwei bis drei Mandate erhofft er sich. Die Schwedendemokraten wollen den "Erweiterungseifer" der EU dämpfen und Grenzkontrollen wieder einführen.
Dort hetzt die minderheitenfeindliche Nationalpartei SNS vor allem gegen slowakische Ungarn und Roma. Auch Homophobie ist der Partei nicht fremd. Derzeit ist die SNS mit einem Abgeordneten im Europaparlament vertreten. Aus dem nationalen Parlament schied sie dagegen 2012 wieder aus, nachdem ihre Minister mehr durch Korruptionsverdacht als konstruktive Arbeit aufgefallen waren. In nationalen Umfragen bewegt sich die SNS an der für einen Parlamentseinzug in der Slowakei nötigen Fünfprozenthürde.
Die ultrarechte Nationale Allianz ist derzeit mit 13 Abgeordneten im lettischen Parlament vertreten und gehört seit 2011 der Regierung an. Im EU-Parlament hat die Partei seit 2009 einen Abgeordneten sitzen, der der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten angehört. Anfang März kam sie in einer Umfrage auf den vierten Platz in der Wählergunst. Die Partei beteiligt sich traditionell am umstrittenen Gedenkmarsch der lettischen SS-Veteranen in Riga.
In dem Balten-Staat geht die rechtspopulistische Partei für Ordnung und Gerechtigkeit ins Rennen. Gründer und Vorsitzender ist der 2004 wegen Amtsmissbrauchs abgesetzte Ex-Präsident Rolandas Paksas. Er selbst darf deshalb kein öffentliches Amt in Litauen mehr bekleiden. Doch seit 2009 sitzt er im EU-Parlament. Dort gehören er und eine weitere Abgeordnete der Partei der Fraktion Europa der Freiheit und der Demokratie an.
Bemerkenswerte Randnotiz: In den beiden Staaten, die neben Griechenland am meisten unter wirtschaftlichen Verwerfungen zu leiden haben, spielen antieuropäische Parteien kaum eine Rolle. Die gemeinsame Erfahrung jahrzehntelanger Diktatur hat die beiden Mittelmeerländer bislang gegen extremistische Parolen immunisiert - nicht jedoch gegen separatistischen Tendenzen.
Im Baskenland haben die Autonomie-Verfechter von PNV und Bildu (eine Nachfolgeorganisation der verbotenen Batasuna) bei den Regionalwahlen 2012 beachtliche Erfolge erzielt. Auch in Katalonien werden die Forderungen nach Eigenständigkeit immer lauter. Der Protest richtet sich freilich gegen die Politik in Madrid und strebt die Bildung neuer nationalstaatlicher Gebilde ausdrücklich innerhalb der EU an.