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Leben auf der ISS So läuft der Alltag im Weltall ab

Essen, schlafen und arbeiten - das ist der Alltag der Astronauten auf der Internationalen Raumstation ISS. Doch die Schwerelosigkeit macht alles anders und vor allem kompliziert.

Stand: 04.10.2022

Bevor Astronauten die Schwerelosigkeit genießen können, werden sie erst mal während des Raketenstarts auf dem Weg zur ISS mit aller Macht in ihre Sitze gedrückt. Acht lange Minuten zerren Haut, Haare und Glieder mit dem dreifachen Gewicht nach unten. Dann - schlagartig - wiegen sie nichts mehr, die Schwerelosigkeit im Weltall macht sie federleicht.

Bewerben fürs Weltall

Bewerbung

Interessenten können sich bewerben, wenn die ESA ihre Ausbildungsplätze zur Astronautin und zum Astronauten offiziell ausschreibt. Seit 1978 geschah das nur dreimal. Der letzte Aufruf fand 2021, zwischen dem 31. März und dem 28. Mai, statt. Hier gibt's die Infos im ESA-Portal. Mehr als 22.000 vollständige Bewerbungen hat die ESA dieses Mal bekommen. Die Kandidatinnen und Kandidaten müssen bis Ende 2022 ein mehrstufiges Auswahlverfahren durchlaufen.

Formales

In einem sechstufigen Auswahlverfahren werden die Kandidatinnen und Kandidaten bestimmt. Es soll Ende 2022 abgeschlossen sein. Eingereicht werden mussten zum Beispiel der Lebenslauf, ein Motivationsschreiben und eine medizinische Bescheinigung. Die Bewerberinnen und Bewerber sollten einen Masterabschluss haben, etwa in Naturwissenschaften oder Medizin, und einige Jahre Berufserfahrung mitbringen.

Diversität

Diesmal waren auch ausdrücklich Frauen aufgefordert, sich zu bewerben. Insgesamt schrieb die ESA das Thema "Diversität" deutlich über ihre Kampagne.

"Dabei sollte die Diversität bei der ESA nicht nur auf die Herkunft, das Alter, den Hintergrund oder das Geschlecht unserer Astronautinnen und Astronauten abzielen, sondern eventuell auch auf Menschen mit körperlichen Behinderungen. Um diesen Traum wahr werden zu lassen, starte ich parallel zur Rekrutierung neuer Astronautinnen und Astronauten auch das so genannte Parastronaut Feasibility Project - für dieses innovative Unterfangen ist es nun an der Zeit", betont David Parker, ESA-Direktor für Astronautische und Robotische Exploration in der Pressekonferenz am 16. Februar 2021.

Auswahlverfahren

Insgesamt ist die ESA auf der Suche nach vier bis sechs sogenannten "Karriere-Astronauten". Sie werden als festangestellte ESA-Mitarbeiter eingestellt und für die Weltraummissionen eingesetzt. Außerdem sucht die Organisation bis zu 20 Astronautinnen und Astronauten als "Reserve". Sie können dann für spezifische Missionen ausgewählt werden. Für diesen Reservepool will die ESA auch explizit eine Astronautin oder einen Astronauten mit einem bestimmten Grad an körperlicher Behinderung engagieren, 257 Bewerber haben sich dafür gemeldet.

Chancen

Beim vorherigen Aufruf im Jahr 2008 hatten sich 8.413 Männer und Frauen beworben. Sechs haben es geschafft. Wer ausgewählt wird, fliegt in der Regel auch ins All.

Ausbildung

Vier Jahre lang werden die Bewerber im Europäischen Astronautenzentrum in Köln zum Astronauten ausgebildet. Auf ihrem Stundenplan stehen unter anderem Maschinenbau, Naturwissenschaften, aber auch ein medizinisches Training, damit sie wissen, wie man eine Wunde näht oder eine Spritze setzt. Teile der Ausbildung finden unter anderem auch in Houston statt. Sobald feststeht, an welcher Mission die Astronauten teilnehmen sollen, trainieren sie rund zwei Jahre speziell dafür.

Verdienst

Während der Ausbildung verdienen Astronauten nach ESA-Angaben etwa 5.000 Euro netto.

Dicker Kopf im Weltall

Alexander Gerst nach einem halben Jahr in der Schwerelosigkeit

Was amüsant klingt, ist für den Körper Schwerstarbeit. Denn eigentlich ist der ständig damit beschäftigt, Blut aus den Füßen nach oben, Richtung Kopf und Herz zu pumpen. Das macht er in der Schwerelosigkeit natürlich auch, was dazu führt, dass innerhalb kurzer Zeit bis zu zwei Liter Blut nach oben wandern, erklärte Rupert Gerzer, ehemaliger Leiter des Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR in Köln:

"Der Kopf schwillt richtig an, das Gesicht sieht aufgedunsen aus, und die Astronauten empfinden das als unangenehm."

Rupert Gerzer, ehemaliger Leiter des Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin, DLR

Veränderungen des Astronauten-Gehirns

Die Schwerelosigkeit im All hat auch Auswirkungen auf das Gehirn der Astronauten. Wie Mediziner der Ludwig-Maximilians-Universität München herausgefunden und im Oktober 2018 veröffentlicht haben, kann das Hirnwasser in der Schwerelosigkeit nicht richtig abfließen. Das führt zu einer minimalen Quetschung des Gehirns. Inwieweit dies zu Spätfolgen am Astronauten-Gehirn führen kann, ist noch unklar. Zumindest lassen sich aber so die Sehstörungen erklären, von denen Astronauten nach ihrer Rückkehr aus dem All berichten. Sie entstehen vermutlich durch das Zuviel an Hirnwasser, das auf die Netzhaut drückt und zu einer Veränderung des Sehvermögens führt, meinen die Forscher.

Tagesablauf im All

Waschen

Die Morgentoilette erfolgt mit feuchten Tüchern, denn eine Dusche im herkömmlichen Sinne gibt es nicht. Das Waschen der Kleidung entfällt allerdings: Schmutzige Wäsche wird mit dem Müll im Raumtransporter zur Erde geschickt und verglüht.

Frühstück

Dreimal täglich gibt es für die Astronauten ein gemeinsames Essen. Die Astronautennahrung aus der Tube ist out. Es gibt Fertiggerichte, aus denen für jeden Tag ein Menü zusammengestellt wird. Während des Essens müssen sich die Crew-Mitglieder an ihren Sitzen festschnallen und fix sein: Wird der Löffel nicht schnell genug zum Mund geführt, heben die darauf liegenden Köstlichkeiten ab. Und Flüssigkeiten können nur per Strohhalm aufgesaugt werden.

Toilette

Aufgrund der Schwerelosigkeit müssen Raumfahrer ihre Beine an der Toilette festklemmen. Was auf der Erde mit Wasser weggespült wird, saugt Unterdruck in einen Behälter. Von dort werden die Stoffe weitergepumpt in leere Wassertanks des angedockten "Progress-Raumtransporters", der als Müllcontainer dient. Das rund 14 Millionen teure Kosmos-Klo kann zudem Urin zu Trinkwasser aufbereiten.

Forschung

Über Tag ist die Crew mit Experimenten sowie der Pflege der Bordanlagen beschäftigt - mit der Faustregel, dass viele Arbeiten im All doppelt so lange dauern wie auf der Erde.

Fitness

Rund zwei Stunden Fitness stehen pro Tag auf dem Programm, etwa das Strampeln auf Standfahrrädern, um dem Muskelabbau entgegenzuwirken. Freizeit im eigentlichen Sinne gibt es während der sechs Monate an Bord kaum. Jede Sekunde ist verplant.

Alkohol

Offiziell gilt auf der ISS die Null-Promille-Grenze. Der Grund: Alkohol wirkt im All viel stärker, weil der Körper in der Schwerelosigkeit Substanz abbaut.

Schlafen

Zum Schlafen gibt es auf der ISS Einzelkabinen und Schlafkojen. Damit man nachts nicht davonschwebt, muss man sich anschnallen und den Schlafsack festzurren. Weil in der ISS-Umlaufbahn alle 47 Minuten die Sonne auf- und wieder untergeht, werden die "Schlafzimmer" abgedunkelt. Und was machen Astronauten vor dem Einschlafen? Na, sie lesen oder sprechen über Videotelefon mit ihren Lieben. Sie dürfen eine bestimmte Anzahl persönlicher Sachen mit ins All nehmen: Karten- oder Brettspiele sind da ebenso erlaubt wie CDs oder Videofilme.

Isolation im Weltall löst Allergien aus

Astronautinnen und Astronauten auf der Internationalen Raumstation verbringen viele Monate in Isolation – selbst gewählt. Obwohl die Astronauten auf ihre Missionen akribisch vorbereitet werden, kann keiner vorhersagen, wie genau jeder und jede Einzelne auf die monatelange Isolation reagiert. Man kann man sich natürlich vorstellen, dass es vor allem auf der psychischen Ebene viele mögliche Reaktionen gibt: Lagerkoller oder depressive Stimmung, die zum Beispiel durch den fehlenden Kontakt zu Familie und Freunden verursacht werden kann.

Die lange Isolationszeit kann körperliche Folgen haben, stellte Stressforscher Alexander Choukèr von der Ludwig-Maximilians-Universität in München fest, der Polarforscher und Astronauten untersuchte. So treten bei Rückkehrern von der ISS nach dem Aufenthalt im All Kontakt- oder Nahrungsmittelallergien auf. Die Astronauten haben zum Teil noch monatelang juckende Hautrötungen, wenn sie wieder auf der Erde sind. Das Immunsystem scheint auf den Stress der Isolation wie ein gespannter Bogen zu reagieren – und wenn dann zurück daheim irgendein ein Auslöser kommt, dann lässt er los.

"Weltraumfieber" bei 38 Grad Körpertemperatur

Wissenschaftler berichteten im Fachblatt Scientific Reports im Dezember 2017, dass die Körpertemperatur von Astronauten ein Grad über dem Normalwert von 37 Grad Celsius liegt. Dabei steigt die Körpertemperatur nicht schlagartig beim Eintritt in den Weltraum an. Forscher der Charité Berlin stellten mit Stirnsensoren fest, dass sich der Körper rund zweieinhalb Monate stetig erwärmt, bis er sich bei 38 Grad einpendelt. Vermutlich liegt das daran, dass der Körper die überschüssige Wärme in der Schwerelosigkeit kaum los wird. Der kühlende Schweißfilm verflüchtigt sich in der Schwerelosigkeit sofort. Bei Trainingseinheiten im All, die die Astronauten absolvieren müssen, macht sich das besonders deutlich bemerkbar: Beim Sport kann die Temperatur sogar auf mehr als 40 Grad steigen. Dies dürfte besonders fatal für künftige Weltraumflüge zum Mars sein, die mehrere Jahre dauern.

Doch nicht nur das "Weltraumfieber" bereitet den Astronauten der Internationalen Raumstation ISS Probleme. Denn in der Schwerelosigkeit funktioniert auch das Gleichgewichtsorgan im Ohr nicht richtig, vielen wird übel und sie müssen sich übergeben. Astronautenkrankheit heißt das. Immerhin, nach etwa drei Tagen hat sich der Körper in der Regel an die Schwerelosigkeit gewöhnt.

Sicher Schweben in der ISS

Videoaufnahmen von Astronauten, die durch die ISS schweben oder einen Salto schlagen, kennt man mittlerweile. Doch das gefahrlos zu tun, ist ganz schön schwierig. Kleine Stupser führen schnell dazu, dass man ungebremst an einer scharfen Kante gegenüber landet. Darüber hinaus müssen die Astronauten ständig darauf achten, dass ihnen nicht etwas ins Gesicht fliegt. Denn die Belüftung der ISS sorgt für einen beständigen Luftstrom, der kleine Teile mitträgt. Es kann ja nichts auf den Boden fallen, denn in der Schwerelosigkeit gibt es kein oben oder unten. An den Entlüftungsschlitzen der Klimaanlage sammelt sich somit aller Kleinkram an, den die Astronauten nicht aufgeräumt haben oder der ihnen aus den Händen geglitten ist.

Gefriergetrocknete Gourmet-Menüs

Die Zeit der Tuben ist vorbei.

Essen aus Tuben? Das ist zum Glück schon lange vorbei. Astronauten können heute fast dasselbe essen, wie wir auf der Erde auch - aus rund hundert Speisen stellen sich die Astronauten noch auf der Erde ihren Speiseplan für das Weltall zusammen. Der Käse, die Nudeln mit Soße oder das Gemüse kommen dann gefriergetrocknet oder in Konserven auf den Tisch. Das Abendessen muss dann nur noch befeuchtet und aufgewärmt werden. Drei Mahlzeiten pro Tag und Snacks sind Pflicht.

Astronauten müssen zum Essen und Trinken angehalten werden, denn die Schwerelosigkeit nimmt den Appetit und die Schleimhäute schwellen an. Das hat zur Folge, dass das Essen nicht so gut schmeckt, ähnlich wie bei einer starken Erkältung. Salzige Nüsse, süße Müsliriegel und scharf gewürztes Chili sind auf der ISS darum besonders beliebt. Ketchup, Mayonnaise und Senf gibt's übrigens auch, ebenso wie Salz und Pfeffer - allerdings in Form von Salzwasser und Pfeffer eingelegt in Öl, wegen der Schwerelosigkeit. Als Pulver würden Gewürze einfach durch die ISS schweben und nicht auf den Teller fallen.

Toilettengang mit Unterdruck

Weltraumtoilette auf der ISS | Bild: NASA

Toiletten funktionieren in der Schwerelosigkeit nur mit Unterdruck.

Wer isst, muss natürlich auch auf die Toilette. In der Schwerelosigkeit sogar noch häufiger als auf der Erde. Und dabei darf natürlich nichts daneben gehen. Für das kleine Geschäft gibt es einen Trichter, in dem ein minimaler Unterdruck erzeugt und so die Flüssigkeit aufsaugt wird. Für das große Geschäft gibt es eine Weltraumtoilette, die ebenfalls mit Unterdruck arbeitet. Wegen der Schwerelosigkeit ist es fast unmöglich, lange genug auf dem Toilettensitz sitzen zu bleiben. Darum schnallen sich die Astronauten vor dem Toilettengang mit Gurten fest. Flüssigkeiten wie Urin werden übrigens wieder aufbereitet, denn jedes Kilo Wasser, das man zur ISS transportieren muss, kostet.

Schlafen im Weltraumschlafsack

Fest eingepackt schläft es sich auf der ISS am besten.

Auch den Schlaf hat die Schwerelosigkeit fest im Griff. Astronauten haben kein Bett, können nicht den Druck einer Matratze fühlen und wissen nicht, ob sie auf dem Bauch, auf dem Rücken oder auf der Seite liegen.

"Dieser psychologische Faktor spielt eine große Rolle, dass manche Astronauten am Anfang Schwierigkeiten haben, Schlaf zu finden. Manche lassen sich ganz bewusst von einem Gurt irgendwo dagegen pressen, damit sie das Gefühl haben, sie liegen auf etwas. Andere genießen es, in einem Schlafsack zu hängen oder zu schweben, das ist sehr unterschiedlich. Es braucht eine gewisse Zeit, sich daran anzupassen."

Volker Damann, Arzt und ehemaliger Chef des ESA-Astronautenzentrums, Köln

Darüber hinaus ist es in der ISS ziemlich laut, andauernd rappelt irgendwo ein Luftfilter, dröhnt die Klimaanlage - der Lärmpegel ist vergleichbar mit Straßenlärm. Viele Astronauten kämpfen mit Schlafstörungen.

Fitness für die Knochen

Knochen brauchen Schwerkraft, um stark und stabil zu bleiben. Doch in der Schwerelosigkeit zieht kein Gewicht an ihnen - über kurz oder lang werden Astronauten-Skelette darum weich. Außerdem bilden sich auch die Muskeln zurück. Zwei Stunden Fitness-Training stehen darum jeden Tag auf dem Programm. Doch selbst das reicht auf Dauer nicht aus. Zurück auf der Erde müssen Astronauten ihre Muskelmasse und ihre Knochen wieder aufbauen, so wie nach einer schweren Erkrankung, wenn man in die Reha geht.

Krank im Weltall

In der Schwerelosigkeit wird die Immunabwehr herabgesetzt, Astronauten bekommen schneller Fieber und ihre Wunden heilen schlechter. Alle Astronauten werden auch medizinisch ausgebildet. Im Ernstfall können sie einfache Diagnosen stellen, Notfallspritzen setzen, Wunden abbinden und Katheder und Drainagen legen.

Krank macht auf der ISS aber hauptsächlich der Stress. Sechs Leute verbringen Wochen und Monate auf engstem Raum. Keiner kann mal eben vor die Tür gehen und ausschnaufen.

"Eine solche Raumstation ist letztendlich eine komfortable Gefängniszelle, in der man mit ein paar Leuten zusammengespannt ist und wo man permanent vom Boden irgendwelche Befehle kriegt, die man befolgen soll. Das heißt, es ist für die Psyche sehr anspannend, und deshalb sagen die Russen, die sehr große Erfahrung mit der Langzeitraumfahrt haben: Das größte medizinische Problem ist die Psyche, gar nicht der Körper."

Rupert Gerzer, ehemaliger Leiter des Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin, DLR

So einen Ausblick haben nur die Astronauten auf der ISS.

Um keine schlechte Stimmung aufkommen zu lassen, sind die Astronauten an Bord der ISS ziemlich eingespannt: Bis zu zehn Stunden am Tag arbeiten sie, acht Stunden Nachtruhe sind eingeplant - die restliche Zeit ist reserviert für Pausen, Essen, Hygiene. Und hin und wieder gibt es auch Momente, an denen die Astronauten einfach nur aus dem Fenster schauen können.

"Wir fliegen hier in 90 Minuten einmal um die Erde, wir können ganze Kontinente überschauen. Das ist eigentlich das Schönste in der Freizeit, diesen Ausblick zu genießen."

Thomas Reiter, ehemaliger Astronaut der ESA

Sendungen über Alexander Gerst und die ISS


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