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Was mit Abwasser in Kläranlagen passiert Durch den Abfluss und dann?

Fast 130 Liter Abwasser spülen wir in Deutschland pro Kopf und Tag in den Abfluss. Verschmutzt mit Klopapier, Fäkalien, Duschgel und anderem. Drinbleiben soll der Dreck im Wasser auf keinen Fall. Doch wie bekommt man ihn wieder heraus?

Von: Heike Westram

Stand: 26.05.2023

Rund neun Billionen Liter Abwasser fließen jährlich durch Deutschland. Etwa vier Billionen Liter sind vor allem Regenwasser, das ebenfalls in der Kanalisation und den Klärwerken landet. Aber über fünf Billionen Liter des Abwassers sind sogenanntes Schmutzwasser - Abwasser aus privaten Haushalten, Industrie und Gewerbe. Klospülung, Waschmaschine, Geschirrspüler, da kommt einiges zusammen an Schmutz. Ab durch den Abfluss - aus den Augen, aus dem Sinn.

Rund 10.000 Kläranlagen für die Reinigung des Wassers

Wo entsteht Abwasser im Haushalt?

  • beim Baden und Duschen (fast 40%)
  • Toilettenspülung (fast 30%)
  • Waschmaschinen (15 %)
  • Spülmaschine, Gartenbewässerung, Nahrungszubereitung (fast 20%)

Ganz am Ende landet alles Wasser in Seen, Flüssen und im Meer. Dass ihr dort nicht dem wiederbegegnet, was ihr runtergespült habt, dafür sorgt die Abwasserentsorgung. Rund 540.000 Kilometer öffentliche Misch- und Schmutzwasserkanäle leiten in Deutschland das Abwasser in etwa 10.000 kommunalen Kläranlagen, wo es gereinigt wird. Dort arbeitet ein hungriges Heer kleinster Helfer:

Was passiert in der Kläranlage mit dem Abwasser?

Nach der Kläranlage kommt oft der Fluss

In Kläranlagen arbeiten verschiedene Stufen an der Reinigung des Wassers - je nach Klärwerk unterschiedlich.

  • 1. Stufe: mechanische Entfernung von Feststoffen aus dem Abwasser
  • 2. Stufe: biologische Reinigung des Wassers (ohne Entfernung von Nährstoffen)
  • 3. Sufe: gezielte biologische Entfernung von Nährstoffen wie Stickstoff und Phosphat

Nach Angaben des Bundesumweltministeriums arbeiten 98 Prozent der Kläranlagen in Deutschland biologisch mit gezielter Nährstoffentfernung.

So reinigt die Natur Abwasser: Pflanzen-Kläranlagen

Eine Pflanzenkläranlage

Im Prinzip machen Kläranlagen es nicht anders als die Natur selbst: Auch bewachsener Boden filtert das Wasser, das ihn durchsickert, und reinigt es mithilfe von Kleinstlebewesen von Giftstoffen. Dadurch ist unser Grundwasser so sauber. Kleine, "naturnahe" Kläranlagen arbeiten nach dem gleichen Prinzip: In Pflanzen-Kläranlagen filtern Sumpfpflanzen das Abwasser und bieten mit ihren Wurzeln einen Lebensraum für die Bakterienkolonien, die sich auf die mikrobiologische Abwasserreinigung stürzen.

Zuviel Schmutz im Schmutzwasser

Mit der Menge an verschmutztem Wasser, die wir produzieren, wäre die Natur allerdings völlig überfordert. Und auch mit dem, was inzwischen in unserem Abwasser landet. Selbst Kläranlagen stoßen da an ihre Grenzen.

Mit UV-Licht gegen Krankheitserreger im Abwasser

Abwasser ist ein idealer Lebensraum für Bakterien und Viren. Die biologische Stufe der Klärwerke kann ihnen nichts anhaben, denn gerade im Belebungsbecken sollen sich Mikroorganismen ja wohl fühlen. Das führte lange Zeit zu einer regelrechten Verseuchung von Flüssen und Seen, in die das geklärte Wasser eingeleitet wurde.

Ultraviolettes Licht gegen Keime

Heutzutage desinfizieren etliche Klärwerke das Abwasser mit UV-Licht (ultraviolettem Licht), wodurch Keime in Sekunden effizient und umweltschonend abgetötet werden. Die Isar in Bayern bekam so nach jahrelangem Badeverbot wieder Wasser in Badequalität: Im Jahr 2000 knipste in Bad Tölz das erste Klärwerk die UV-Lampen an, zahlreiche weitere Kläranlagen an Isar und Loisach folgten.

Membrananlagen filtern Bakterien und Viren

In einigen Klärwerken wird eine andere Methode effektiver Desinfektion genutzt: Dort filtert eine Membrankläranlage das Wasser quasi durch den Strohhalm. Bakterien und neunzig Prozent der Viren passen schlicht nicht durch die Hohlfasermembranen, durch die das Wasser muss. Was am anderen Ende der Halme ankommt, hat fast Trinkwasserqualität.

Zu klein für Kläranlagen: Arzneimittel & Co.

Bei Stoffen, die noch kleiner sind, nützen allerdings auch Hohlfasermembranen nichts. Und gerade solche Mikroverunreinigungen und Nanomaterialien finden sich immer häufiger im Abwasser: Viele Arzneimittel, Kosmetika, Farbstoffe, Reinigungsmittel und andere Haushalts- und Industriechemikalien sind im Wasser gelöst und können daher fast gar nicht herausgefiltert werden. Dafür sind die konventionellen dreistufigen Kläranlagen nicht ausgelegt.

Vierte Reinigungsstufe in Kläranlagen in Arbeit

Mikroverunreinigungen können von konventionellen Kläranlagen derzeit noch nicht in ausreichendem Maß herausgefiltert werden.

Abhilfe könnte hier eine vierte Reinigungsstufe bieten, die beispielsweise Aktivkohlefilter, Ozonierung bzw. Oxidationsverfahren oder weitere Membranverfahren (Nanofiltration und Umkehrosmose) einsetzt, um auch Spurenstoffe (Mikroschadstoffe) aus dem Abwasser zu filtern. "Spurenstoffelimination" ist der Fachbegriff dazu. Noch nutzen nur vereinzelte Kläranlagen die vierte Stufe, doch die einzelnen Bundesländer planen, dass in Zukunft mehr Klärwerke auch mit einer vierten Reinigungsstufe arbeiten.

Herausforderung Klärschlamm

Getrockneter Klärschlamm wird teilweise als Dünger auf Felder ausgebracht oder verbrannt.

Bei der Behandlung von Abwasser fallen in Deutschland fast zwei Millionen Tonnen Klärschlamm (Trockensubstanz) an (Statistisches Bundesamt, 2023) - der Überrest aller Wasser-Reinigung. Im Klärschlamm finden sich Nährstoffe (wie Phosphor und Nitrat) aber auch Schadstoffe wie Schwermetalle und Medikamentenrückstände, die bei der Abwasserbehandlung über den Klärschlamm abgetrennt werden. Damit sind diese Stoffe zwar aus dem Wasser wieder heraus, doch wohin mit dem Klärschlamm? Der landete bislang viel zu häufig als Dünger auf den Äckern.

Phosphor aus dem Klärschlamm zurückgewinnen

Da soll der Klärschlamm langfristig aber gar nicht mehr landen, das ist ein Ziel der jüngsten Klärschlammverordnung von 2017. Stattdessen soll der wertvolle Dünger-Rohstoff Phosphor aus dem Klärschlamm beispielsweise mit Hilfe von Kohlensäure oder auch thermischen Verfahren zurückgewonnen werden. Schon jetzt dürfen nur Klärschlämme mit geringem Schadstoffgehalt noch als Dünger auf den Äckern ausgebracht werden. Der Rest muss verbrannt werden. Allerdings betrifft diese gesetzliche Regelung nur größere Kläranlagen.

Datenlücken bei der Kanalisation

Noch eine Schwachstelle gibt es in der Abwasserentsorgung: die Kanalisation. Denn die etwa 540.000 Kilometer öffentliche Kanäle, die all das verschmutzte Wasser zu den Kläranlagen bringen, sind im Durchschnitt 37 Jahre alt. Aber nur ein Prozent des Kanalnetzes wird jährlich saniert - macht ein ganzes Jahrhundert, um einmal alle Kanäle zu sanieren. Nach Angaben der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA) ist der Großteil des Kanalnetzes - bis auf 13,5 Prozent - inspiziert und in der Mehrheit ohne Schäden oder bereits saniert. Doch etwa zwanzig Prozent des untersuchten Kanalnetzes sind sanierungsbedürftig. Riskant, denn jeder undichte Abwasserkanal gefährdet unser Grundwasser.

Der private Anteil an der Kanalisation

Der eigentliche Knackpunkt in der Kanalisation ist da noch gar nicht mitgerechnet: der private Anteil. Zur öffentlichen Kanalisation kommen noch Kanäle hinzu, für die Hauseigentümer oder Grundstückbesitzer verantwortlich sind. Die Summe dieser privaten bzw. nicht öffentlichen Kanäle wird auf etwa die zwei- bis dreifache Länge der öffentlichen Kanalisation geschätzt. Und für diese liegt bislang keine zentrale Zustandsbewertung vor.

Auf Basis von Stichprobenprüfungen schätzt man, dass siebzig bis achtzig Prozent privater Abwasserleitungen undicht sind. Oft wurden sie weder von einer Fachfirma noch nach den strengen Bestimmungen der Wassertechnik gebaut. Und später meist auch nur selten überprüft. Häufig wissen Hauseigentümer noch nicht einmal, dass sie auch für die Kanalisation zuständig sind. Denn nicht nur die Abwasserrohre im Haus, auch alle Leitungen, die unter dem Haus und im Erdreich verlaufen, müssten vom Hauseigentümer selbst kontrolliert und dicht gehalten werden. Doch die Pflicht zur Dichtigkeitsprüfung (auch: Dichtheitsprüfung) der Hausanschlüsse wurde in vielen Kommunen abgeschafft.

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