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Design trifft Neurologie Der Emotionsraum - unendliche Weiten ...

Es gibt kaum etwas, das auf der Münchner Designwoche MCBW nicht gezeigt oder wenigstens gedacht wird: Möbel aus Müll, Zugabteile, neues Licht. Ein Münchner Designteam schickt sich an, den Raum in seinen Varianten als Arbeits-, Meeting- oder Schlafraum zu erobern - und nutzt dafür Erkenntnisse aus der Neurologie.

Von: Michael Kubitza

Stand: 10.02.2012 | Archiv

Thema: Raumsituationen | Bild: picture-alliance/dpa

"Zuerst erschafft der Mensch den Raum, dann wird der Mensch vom Raum erschaffen." Klingt neu, ist aber von Aristoteles. Neu ist, was uns die Neurologen zum Thema mitteilen. Volker A. Metzger ist Psychologe, seine Geschäftspartnerin Manuela Roth Designspezialistin - eine bisher ungewohnte Kombination aus Augenmensch und Hirnstromtaucher. Metzger ist fasziniert, welche Schwingungen es auslöst, wenn wir einen Raum betreten: "Da prasseln pro Sekunde elf Millionen Sinneseindrücke auf uns ein, von denen unser Gehirn gerade mal 40 bewusst wahrnimmt. Der Rest wird vom Unterbewusstsein registriert und verwaltet."

Einen Raum betreten: Wie Kino (mit Vorspann)

Auf die haben es Metzger und seine Kollegen abgesehen. Ihre Mission: aus bloß funktional mit Heizung und Licht, Bürorechnern, Sofas oder Waschbecken ausgerüsteten Räumen "Emotionsräume" zu machen: "Das funktioniert wie im Kino: Auf den ersten Blick nehme ich wahr, was auf der Leinwand passiert. Sekundenbruchteile später verknüpfe ich die Bilder mit eigenen Erfahrungen, Erlebnissen, guten und schlechten Gefühlen. So entsteht Emotion."

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Mit einem Klick auf den Pfeil links unten oder die Lupe erfahren Sie, wie der Psychologe diese Räume deutet.

Faktoren wie Raumgröße, Licht und Temperatur und die Möblierung sind nur zwei Dimensionen jedes Raumes - dazu kommen die Assoziationen der Menschen, die sich darin bewegen.

"Wenn ich Ihnen sage, dass auf meinem Schreibtisch eine Schale mit Zitronen steht, funken ihre Synapsen 'Frische'. Wenn ich Ihnen dann erzähle, dass ich eine Zitrone aufgeschnitten habe und jetzt reinbeiße, signalisiert ihr Gehirn 'Achtung, sauer'. Das führt dann zum Beispiel zu messbar vermehrtem Speichelfluss."

  Volker A. Metzger, Psychologe

Der Manager als Menschengärtner

Was ein Arbeitgeber tun kann, um frische statt zitronensaure Mitarbeiter zu beschäftigen, erproben Metzger und sein Team gerade in einem Langzeitprojekt bei der Firma Bosch. Wenn es um die Regenerationsräume für 1.500 Mitarbeiter geht, wird Metzger poetisch: "Führungskräfte sollten sich nicht als Einpeitscher sehen, sondern eher als Gärtner, der weiß, dass jede Pflanze für ihre Selbstverwurzelung anderen Boden braucht. Mit einem Viertelstündchen verordnetem "Powernap" ist es da nicht getan."

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Bei seiner Arbeit für den Technikkonzern hat sich das Team auf zwei Entspannungstypen konzentriert: "Der eine braucht Geborgenheit, um sich zu entspannen, ein Höhlengefühl. Für ihn haben wir eine canyonartige Landschaft in warmen Braun- und Rottönen entwickelt. Der andere Typ ist Extrovertierter, sehnt sich nach Freiraum. Diese Zone vermittelt Weiträumigkeit, es gibt viele Pflanzen und die Kellerdecke öffnet sich scheinbar zum Himmel."

Ob die Bosch-Mitarbeiter ab Mai wirklich mit neuer Energie an die Arbeit gehen, muss sich noch zeigen. Volker A. Metzger jedenfalls ist überzeugt: "Die aktuelle Burn-Out-Welle ist zu einem großen Teil auch ein Raumproblem. Wir spüren die Warnsignale unseres Körpers nicht mehr, weil unsere Arbeitsräumen keine Emotionsräume sind. Das wird sich in Zukunft ändern."




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