Kultur - Kunst und Design


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Francis Bacon Verzerrte Wahrheit ist stärkste Wahrheit

Neben Papstbildern und Fleischklumpen gehören die Porträts zu Bacons bekanntesten Motiven. Wenige hat er so oft gemalt wie seine Freunde. Es sind verzerrte Fratzen, die offenen Wunden genauso ähneln wie den Porträtierten.

Stand: 23.02.2012 | Archiv

Eine von drei Studien zu einem Porträt von John Edwards | Bild: picture-alliance/dpa

Bacon malt sein erstes identifizierbares Selbstporträt Mitte der 50er-Jahre. Er beginnt auch, seine Freunde zu malen - anfangs sitzen sie ihm sogar Modell. Es bleibt zunächst bei wenigen Bildern, denn Bacon merkt schnell, dass er so nicht arbeiten kann:

Selbstporträt, 1971 | Bild: picture-alliance/dpa

Er verzerrt die Porträts bewusst, damit die Bilder unter die Haut und an die Nerven gehen. Doch solange seine Freunde in Person vor ihm stehen oder sitzen, kann er nicht zum Äußersten gehen. Er möchte ihnen diese "Verletzung" wie er es nennt, nicht in ihrer Anwesenheit zufügen. Bacon fängt in den 60ern an, nach Fotovorlagen zu malen. Dabei ist es nicht die Entstellung, sondern die gleichwohl erkennbare Ähnlichkeit zu den Porträtierten, die an die Nerven geht: Bacon schafft es, die Menschen wahrhaftig abzubilden.

1963 bis 1992

Spieglein, Spieglein

Bacon ist eitel. Bei seiner Kleidung legt er äußersten Wert auf Sauberkeit und Qualität. Er weiß, was ihm gut steht und wie er sein Erscheinungsbild mit etwas Schminke vorteilhaft betonen kann. Außer einer teuren Armbanduhr trägt er keinen Schmuck, das findet er albern, weshalb er sich gerne über Männer lustig macht, die Ringe oder Armbänder tragen. Mit einem Blick in seinen Taschenspiegel vergewissert er sich ständig, ob seine Frisur noch sitzt.

Der kreative Komposthaufen

Wer den auffallend adretten Künstler sieht und einen entsprechend aufgeräumten Arbeitsplatz erwartet, kann den Anblick von Bacons Atelier kaum fassen. Hier sieht es aus, als habe eine Bombe eingeschlagen. Ein wenig kalkuliert ist diese Unordnung schon. Bacon will den Eindruck von Spontaneität und kreativem Chaos vermitteln. Schafft er auch: bekleckste Fotos, verkrustete Pinsel, herausgerissene Buchseiten, alte Schuhe, Lumpen, Farbtuben, teure Bildbände bedecken den Boden und über allem lagert eine zentimeterdicke Staubschicht.

Der Drogenprozess

Nach dem Tod seiner ersten großen Liebe Peter Lacy verliebt sich Bacon ein zweites Mal - in George Dyer. Auch diese Beziehung ist zerstörerisch. Dyer unternimmt alles, um Bacon an sich zu binden und ihn dann wieder von sich zu stoßen. In einem seiner Wutanfälle rät er der Polizei, in Bacons Atelier nach Drogen zu suchen. Mit zwei Schäferhunden graben die Beamten den zugemüllten Atelierboden um und finden tatsächlich 2,1 Gramm Cannabis. Bacon nimmt sich einen Anwalt und beteuert vor Gericht, wegen seines Asthmas könne er doch gar nicht rauchen. Er wird freigesprochen.

Stutenbissigkeit im Alter

Je älter und berühmter Bacon wird, desto ungnädiger fallen seine Urteile über andere, auch befreundete, Maler aus. Da er die abstrakte Kunst als "Muster-Malen" abtut und nicht weiter beachtet, zielt er mit seinen scharfen Kommentaren vor allem auf figurative Malerei. Über David Hockney (im Bild) zum Beispiel sagt er: "Ich kann schon verstehen, warum er berühmt ist. Die Leute mögen sein Werk, weil sie sich nicht damit auseinandersetzen müssen." Kein Wunder, dass Bacons Interesse an Freundschaften mit anderen Künstlern nachlässt.

Wer bietet mehr?

Bacons Stutenbissigkeit leuchtet umso weniger ein, wenn man die Preisentwicklung seiner Werke betrachtet. 1949 verkaufen sich seine Bilder für 125 bis 400 Pfund. 1961 werden einzelne Werke auf bis zu 1.500 Pfund geschätzt. 1970 zahlt ein Käufer 26.000 Pfund für einen von Bacons Päpsten. 1989 versteigert Sotheby's ein Triptychon für über 6.000.000 Dollar - und das zu Bacons Lebzeiten. Nach seinem Tod schießen die Preise weiter in die Höhe: Im Mai 2008 wird sein "Triptychon 1976" für 86.300.000 Dollar verkauft.

Bloß keine Geschichte erzählen

Bacons Porträtmalerei kommt ihm in seiner Abneigung, mehr als eine Person pro Bild darzustellen, entgegen. Er verweigert erzählerische Elemente in seiner Arbeit. Mehr als eine Figur ins Bild zu setzen, würde auf eine Verbindung der beiden zueinander schließen lassen und das Potential zu einer Geschichte bergen. Er fürchtet die Gefahr, sein Werk könne zu leicht zugänglich und erklärbar werden - für ihn ein Zeichen minderwertiger Kunst. 

Detail aus "Drei Figuren in einem Raum"

Dass Bacon das Triptychon als Darstellungsform bevorzugt, läuft seiner anti-erzählerischen Haltung zuwider: Schließlich verfällt er auf dieses Format, weil es ihn an die Kinoleinwand erinnert. Das weiß er auch und deshalb lässt er jedes Bild eines Triptychons einzeln rahmen und legt keine Reihenfolge bei der Hängung fest - damit niemand auf die Idee kommt, die Bilder könnten aufeinander aufbauen.

Er wollte nie das Schreckliche darstellen

Studie des Kopfes von George Dyer (Detail)

Als sich Bacons zweite große Liebe, George Dyer, 1971 das Leben nimmt, findet man den Toten zusammengesackt auf der Toilette im Bad seines Hotelzimmers. Bacon verarbeitet den Selbstmord in Erinnerungsbildern, den sogenannten schwarzen Triptychen. Diese Bilder erzählen unmissverständlich die Geschichte von Dyers Tod. Das Publikum reagiert verstört und verschreckt auf diese Werke. Dabei sagt Bacon, er habe nie das Schreckliche darstellen wollen und charakterisiert damit sein ganzes Schaffen. Durch die dreifache Wiederholung gelingt es ihm tatsächlich, das Explizite seiner Figuren nicht zu steigern, sondern zu entschärfen.

Bacon, "der größte lebende Maler"

Die schwarzen Triptychen leiten Bacons Spätwerk ein. Er versucht, seine Motive zu verdichten, indem er sie vereinfacht und mit Stilmitteln spart. Er setzt kleine Pfeile in die Gemälde und konzentriert sich auf die Bildmitte. Er malt biomorphe Landschaften, verwendet viel Orange und schafft, fast 80-jährig, mit seinem "Wasserstrahl" ein Werk, das ihn mehr begeistert als alles, was er zuvor gemalt hat. 

Triptychon 1976 (Detail)

1985 widmet ihm die Londoner Tate Gallery eine zweite große Retrospektive mit 125 Werken. Im Vorwort des Ausstellungskatalogs nennt ihn der Direktor den größten lebenden Maler. Höher hinaus geht nicht - Bacons Bilder verkaufen sich zu Höchstpreisen, die Kunstwelt feiert ihn, die Besucherzahl der 1985er-Retrospektive rangiert im sechsstelligen Bereich. 1989 wird ihm eine vom Krebs befallene Niere entfernt. 1992 stirbt Bacon mit 82 Jahren in Madrid.

Sein "Triptychon 1976" wechselt im Mai 2008 für 86,3 Millionen Dollar den Besitzer.


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