Kultur - Film und Serie


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Fassbinder Der geborene Anführer

Kurt Raab bezeichnete Fassbinder als Leithammel. In der Rückschau aber erscheint der Mann mit dem Tartarengesicht eher als Wolf: Ein einsames Alphatier, aggressiv gegen sich und andere und fast sein ganzes kurzes Leben lang auf kreativem Beutezug.

Stand: 29.02.2012 | Archiv

Rainer Werner Fassbinder 1981 beim Dreh zu "Lola" | Bild: picture-alliance/dpa

Wahrscheinlich trifft es RWF selbst am besten: "Ich bin das schwarze Schaf mit dem schwarzen Gürtel". Am Ende ist Fassbinder 37 Jahre alt und allein. Das Ableben des einflussreichsten deutschen Regisseurs der alten Bundesrepublik erinnert an eine Filmszene: "Die Leiche vor dem nicht ausgeschalteten, rauschenden Fernsehgerät. Die um ihn verstreuten Notizen. Die Einsamkeit des Filmemachers. Der Tod um die Mitternachtsstunde." Für den Schriftsteller und Fassbinder-Kenner Gerhard Zwerenz, der uns diese Beschreibung eines Todes mit bis heute ungeklärter Ursache übermittelt, eine "hervorragende Regieleistung".

Der große Inszenator

Das vor allem ist es, was den Mythos Fassbinder - vom visuellen Genie des Regisseurs abgesehen - immer ausgemacht hat: Er ist ein eher schwachbrüstiger Theoretiker und chaotischer Organisator; seine Filme aber, sein kreatives Kollektiv und ganz besonders dessen unbestrittenen Mittelpunkt setzt er auf einzigartige Weise in Szene.

Wenn es im Schaffensrausch der Jahre 1967 bis 1982 eine Konstante gab, dann diese: Wo er war, waren andere um ihn herum. Darunter begnadete Schauspieler, der große Filmkomponist Peer Raben, Kameramann Michael Ballhaus, der später Hollywood-Legende wird - und der Erfolg, den Fassbinder so liebte wie sonst nur die Kunst und das Geld.

"Ich habe mit dem Kleinkalibergewehr Löcher in die Haustüren der Bungalows geschossen. Ich habe Beulen in die parkenden Mercedesse geschlagen. Ich war fünffacher Tennismeister. Ich bin das schwarze Schaf mit dem schwarzen Gürtel."

RWF über RWF

Machtanspruch und Fleischeslust

Er: Der "große Vorsitzende", "Reiner Werner Wahnsinn", "Mutter Maria" oder "Bloody Mary" - um nur einige seiner Spitznamen zu nennen. Wie ein "eingetragenes Markenzeichen" aber funktionierten seine Initialen: RWF - das funktionierte wie JFK oder FJS, mit dem er beim Bier über den FC Bayern und Bayreuth fachsimpelt. Und es klang ein wenig nach RAF, deren Desperado Andreas Baader RWF im Habitus mitunter ähnelte.

Auch im Sozialverhalten. Berühmt geworden ist Kurt Raabs Anekdote über einen gemeinsamen Restaurantbesuch des Rudels, in dem der mehr an Männern interessierte Leitwolf der in ihn vernarrten Jungschauspielerin Irm Hermann - einer Vegetarierin - in rüdem Ton seine Liebesdienste anbietet: Einmal für jedes von ihr verzehrte Steak. Irm isst Fleisch, bis sie sich übergeben muss. Fassbinders Antwort: Wenn sie es wirklich wolle, müsse sie das Fleisch schon bei sich behalten.

Vom Rausflieger zum Überflieger

Was macht diesen bleichen, dicklichen, pickligen Hypermotoriker so begehrenswert? Bis 1968 wenig: Die Mutter, die Rainer Werner im München der "Stunde Null" zur Welt bringt, lässt sich bald scheiden, was RWF damit quittiert, dass er die Schule abbricht. In Köln treibt er für Immobiliengeschäfte seines Vaters Geld ein; mit seiner Provision finanziert er zwei Kurzfilmchen, die keiner sehen will, und arbeitet auf die Schauspielprüfung hin, die er versiebt.

Dann aber erklärt sich RWF kurzerhand selbst zum Star. Er übernimmt halb hand-, halb geniestreichartig das Münchner Actiontheater, erobert die Kamera und explodiert. Binnen eines Jahres dreht RWF vier Filme, wird vom "Spiegel" zum "Wunderkind" erklärt. 40 weitere Filme und Bundesfilmpreise sonder Zahl folgen. Nicht jeder kann dem rasenden Regisseur folgen; der Ruhm schon.

"Es ist ihm ohne viel Mühe gelungen, uns zu Werkzeugen seiner Kreativität und zu willfährigen Gefährten zu machen, die beinahe alles akzeptierten, was er vorschlug; die ausführten, was er dachte; die zu Kunstgeschöpfen seines künstlerischen Schaffensdranges wurden."

Kurt Raab in seinem Nachruf über RWF

Faust und seine Gretchenfrage

Was denn, wird Fassbinder in einem Interview gefragt, der Grundantrieb für seine Produktivität sei? "Ja, das ist die Gretchenfrage. Das muss irgendeine spezielle Art von Geisteskrankheit sein". Im Ausland interpretieren viele diesen Reiner Werner Wahnsinn als etwas typisch Deutsches: Geschwindigkeit, Gewalt, Gefühle im Extrem.

Das einzige Gefühl, das RWF nicht zu kennen scheint - obwohl es im Titel zweier Filme auftaucht - ist Angst. Bei Unfällen im Auto oder am Filmset schrammt Fassbinder mehrfach am Tod vorbei, bei seinen Dreharbeiten oft genug am Fiasko. Das "schwarze Schaf mit dem schwarzen Gürtel" nimmt für sich - um einen anderen Filmtitel zu zitieren - das "Faustrecht der Freiheit" in Anspruch. Es scheint diese faustische Energie zu sein, die seine Mitarbeiter so anzieht, dass sich viele zumindest zeitweise bereitwillig verheizen lassen.


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