Kultur


5

Dieter Dorn Theaterprinzipal mit Spaltungspotenzial

Seine Regiehandschrift ist deutschlandweit bekannt, die Großschauspieler seiner Theaterfamilie sind legendär - dennoch polarisiert Dieter Dorns Texttheater: Sein Abschied vom Staatsschauspiel 2011 wird ebenso beweint wie begrüßt.

Von: Ulrike Köppen

Stand: 08.07.2011 | Archiv

Dieter Dorn vor rotem Vorhang | Bild: SZ Photo Stefan M. Prager

Dieter Dorns Theaterleben prunkt mit einigen Superlativen: Mehr als ein halbes Jahrhundert Bühnenerfahrung, davon 34 Jahre in München, zehn Botho-Strauß-Inszenierungen, Shakespeare in seinem ganzen Bogen vom blutigen Drama bis zur Komödie. Er ist einer der renommiertesten deutschen Regisseure und spaltet seit Jahren Münchens Theaterwelt wie kein Zweiter: In das Lager derjenigen, die Dorn als einen der "letzten Theater-Gläubigen" (FAZ) verehren, als "letzten Mohikaner buchstabentreuer Textregie" (Focus), der in seinen Inszenierungen dem Text die zentrale Rolle einräumt. Und in das Lager der anderen, die den zeitgemäßen Zugriff vermissen und Dorns Theater als "zeit- und weltfernen Mimenplausch" (Spiegel) empfinden.

Das Phantom hinter den Buchstaben

Sein Regiestil bedeutet für die einen Konsequenz, für die anderen Stagnation. Denn die Protagonisten in Dorns Theater stehen seit Jahrzehnten fest: der Text, die Autoren und die Schauspieler - in dieser Reihenfolge. Denn ohne Text kein Spiel und ohne Spieler kein Regisseur. Dorn selbst verschwindet am liebsten hinter seinen Inszenierungen. Interviews gibt er nur vor Premieren - zu anderen Themen äußert er sich nicht, wie er durch seinen Sprecher vermelden lässt.

Weggefährten

Christian Stückl

Christian Stückl, Volkstheater-Intendant und 1988 Dorn-Assistent

"Ich habe den Dorn als manchmal schwierigen Papa empfunden, der uns Jungen gegenüber sehr skeptisch war. Aber trotzdem: Ob es Anselm Weber war, Armin Petras oder ich: Er hatte ein gutes Händchen, uns an das Theater heranzuführen. Mich als Laien aus dem Dorf herauszuholen und hier arbeiten zu lassen, fand ich sehr mutig. Dass Dorn immer schon anders gearbeitet hat als ich, ist klar. Er hat seinen Stil und ich meinen."

Frank Baumbauer

Frank Baumbauer, Dorns Nachfolger als Intendant der Kammerspiele

"Es war wohl einer der kompliziertesten Intendantenwechsel der jüngeren Theatergeschichte. Mein Vorgänger Dieter Dorn hat 25 Jahre an diesem Haus - auf hohem Niveau - so prägend gearbeitet und dabei Theater mehr als kultische Veranstaltung wie eine Messe zelebriert, so dass der notwendige Richtungswechsel schwer fallen musste. Wir hatten es mit einem wirklichen künstlerischen Neubeginn zu tun, inhaltlich, ästhetisch und personell."

Kent Nagano

Kent Nagano, Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper

"Er hat eine Art, durch Bilder in einer ganz speziellen Schlichtheit kommunizieren. Sehr oft sieht man viele Effekte - auch Dieter Dorn macht viele, viele Effekte. Aber in anderen Arbeiten sind diese Effekte bloß Dekoration. In der Dorn-Ästhetik fühlt man keine solche Trennung. Durch die Schlichtheit atmet das Tableau, es fließt mit der Musik zusammen. Dorn ist ein Regisseur der Einheitlichkeit."

Rolf Boysen

Rolf Boysen, Schauspieler

"Dieter Dorn ist aus meinem Leben gar nicht mehr wegzudenken. Es gibt ein paar Figuren, die ganz wesentlich zu meiner Entwicklung beigetragen haben. Dazu gehört Dieter Dorn, genauso wie Fritz Kortner dazugehört."

Der wichtigste Autor für Dorn ist Botho Strauß. In die "komplexen, flirrenden Texte" des Menschenbeobachters Strauß kann er sich verkrallen und bringt sie zum Schweben: als penibel inszeniertes Wortgeflecht, das sich erst auf der Bühne entwirrt. Notfalls fährt er mit seinem Chefdramaturgen nach Berlin und liest dem Autor sein ganzes Stück vor, um unklare Stellen zu besprechen - wie 2009 vor der Strauß-Premiere "Leichtes Spiel". Dorn will sich ganz auf den Text verlassen können. Die Uraufführung von Roland Schimmelpfennigs "Idomeneus" lässt er 2008 im Zuschauerraum des Cuvilliés-Theaters spielen, das Publikum setzt er auf der Bühne. Das Rokoko-Theater liefert die Kulisse - mehr braucht er nicht. Starken Bildern misstraut Dorn: "Ich bin doch nicht regisseursverblödet und versuche, die verschiedenen Entwürfe zu bebildern. Sondern ich belasse es bei der Sprache."

"Das langsame Entstehen eines Menschen"

Und durch die Sprache bringt Dorn die Figuren zum Leuchten: "Das langsame Entstehen eines Menschen auf der Bühne" ist für Rolf Boysen das Typische am Dorn-Theater. Der mittlerweile 90-jährige Sprachkünstler Boysen ist nicht der einzige Großmime, den Dorn über die Jahre an sein Ensemble gebunden hat: die mittlerweile verstorbene Gisela Stein, Thomas Holtzmann, Cornelia Froboess, Sunnyi Melles und Juliane Köhler gehören zum Dorn-Kosmos. Manche folgten ihm von Berlin an die Münchner Kammerspiele und weiter zum Staatsschauspiel.

"Eine Ära geht zu Ende"

Allerdings wurden nach der Jahrtausendwende auch Rufe nach einem Wechsel am Staatsschauspiel immer lauter. Der bahnt sich derzeit an: Nach Dorns letzter Inszenierung, einem fulminanten "Käthchen von Heilbronn", wird in der nächsten Spielzeit der Österreicher Martin Kušej das Staatsschauspiel übernehmen.

Auf den filigranen Textarbeiter Dorn folgt ein "Kraftlackl", der bisher meist bildstarke, Testosteron-geladene Regiearbeiten ablieferte. Ein ähnliches Kontrastprogramm wie 2001 kündigt sich an, als Frank Baumbauer an den Münchner Kammerspielen als Dorns Nachfolger antrat. Damals witterten die Feuilletons einen "Kampf der Theaterkulturen". Rolf Boysen fasst das Ende der Dorn-Intendanz in etwas gemäßigtere Worte: "Eine Ära geht zu Ende. Das kann man wohl sagen."

Dieter Dorn - ein Leben im Theater

  • 1954 besuchte Dieter Dorn die Theaterhochschule in seiner Heimatstadt Leipzig.
  • 1956 verließ Dorn aus politischen Gründen die DDR und setzte seine Ausbildung am Max-Reinhardt-Seminar in West-Berlin fort.
  • 1958 wurde Dorn als Regieassistent, Dramaturg und Schauspieler am Landestheater Hannover engagiert.
  • 1972 begann Dorns Mitarbeit an der Staatlichen Schauspielbühne Berlin mit einigen erfolgreichen Inszenierungen, unter anderem Genets "Die Zofen".
  • 1976 wurde Dorn Oberspielleiter der Münchner Kammerspiele.
  • 1979 gab Dorn an der Wiener Staatsoper sein Debüt als Opernregisseur.
  • 1983 übernahm er als Nachfolger von Hans-Reinhard Müller die Intendanz der Münchner Kammerspiele, ohne seine Regiearbeit aufzugeben.
  • 1999 gab es in München eine öffentliche Debatte, als Münchens Kulturreferent Julian Nida-Rümelin die Verlängerung von Dorns Vertrag bis 2003 abgelehnt und Frank Baumbauer als Dorns Nachfolger an die Kammerspiele geholt hatte.
  • 2001 übernahm Frank Baumbauer die Intendanz der Kammerspiele und Dorn wurde Nachfolger von Eberhard Witt als Intendant des Bayerischen Staatsschauspiels. Einige Schauspieler das Kammerspiel-Ensembles wechselten mit Dorn über die Maximilianstraße ins Staatsschauspiel.
  • 2007 wurde der Österreicher Martin Kušej als Dorns Nachfolger präsentiert.
  • 2011 endete Dorns Intendanten-Ära am Staatsschauspiel. Martin Kusej übernimmt ab Herbst 2011.

5