Themen - Ein Dorf wird Wirt!


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Wolfgang Schneider Der Wirtshausexperte übers Wirtshaussterben

Als "Wir in Bayern"-Wirtshaustester bin ich ja viel unterwegs im Freistaat. Dabei ist es immer deprimierend, in Dörfer zu kommen, die kein Wirtshaus mehr haben. Wie viele aufgegebene Wirtschaften gibt es wohl in Bayern, hab' ich mich gefragt - und der Bayerische Hotel- und Gaststättenverband hatte Zahlen parat: Ein Viertel aller bayerischen Gemeinden muss mittlerweile ohne Wirtshaus auskommen! Das sind etwa 500, Tendenz steigend. Erschreckend hab' ich das gefunden. Und als Mann, der gutes Essen liebt, auch als besonders bitter, weil damit ein Teil unserer Esskultur stirbt.

Stand: 04.09.2013

Wirtshausexperte Wolfgang Schneider | Bild: BR

Denn was ist das für ein Zeitgeist, wo Möbelhäuser an der Peripherie unserer Großstädte Mittagsmenüs zu einem Preis anbieten, der jeden anständigen Wirt ruinieren würde? Hat die Currywurst auf Plastikteller an Stehtisch in Metzgerei wirklich was mit Genuss zu tun? Ich verstehe: Hauptsache, es kost' fast nix. Bäckereien und Metzgereien zahlen übrigens nur 7 Prozent Mehrwertsteuer, die Gastronomie 19. So kann man Wirtshäuser auch loswerden.

"Wenn Wirtshäuser sterben, stirbt ein Stück bayerische Kultur."

Wolfgang Schneider

Klar, es läuft auf dem Land nicht mehr so wie früher. "Tiefgreifender Funktionsverlust" heißt das, wenn keine Arbeitsplätze mehr da sind, der Apotheker und der Lebensmittelhändler schon längst dicht gemacht haben. Wir - vor allem die Jungen - werden immer mobiler. Soziale Netzwerke übernehmen die  Kommunikation. Ganz virtuell. Die Sehnsucht aber bleibt: nach einem guten Gespräch unter netten Menschen, nach der Feierabend-Halbe, nach einem dampfenden Braten, nach Familienfesten, Faschingsbällen, nach Aufgehobensein in einer Gemeinschaft, nach Sicherheit. Nach einer Dorfwirtschaft. Denn die wichtigen Dinge, so der schräge Georg Ringsgwandl, passieren immer noch analog.

Schneiders Tipps fürs Wirtshausglück

Der Koch

Klingt banal - ist aber so: Der Koch muss kochen können. Dazu gehören eine solide Ausbildung und viel, viel Erfahrung. Ideal ist bestimmt die Mitarbeit in einer Sterneküche, bevor es selbst als Chef an den Herd geht. Geniale Autodidakten gibt‘s auch, die sind allerdings die Ausnahme. Für alle Köche gilt: Nur wer brennt, kann das Feuer weitergeben - Leidenschaft gehört beim Kochen unbedingt dazu.

Die Zutaten

Die Produkte müssen frisch und hochwertig sein. Und das kostet. Aber ich glaube, dass der Gast für Qualität gerne den einen oder anderen Euro mehr ausgibt. Und dass es Sinn macht, saisonal zu kochen, müsste sich mittlerweile auch herumgesprochen haben.

Die Region

Ganz wichtig ist für mich, dass ein Wirtshaus vor allem regionale Produkte auf der Karte hat - wie zum Beispiel das Altmühltaler Lamm. Denn in dieser Region zwischen Oberbayern und Mittelfranken brauch' ich wirklich kein Steak à la Sansibar im Zuckerrohrmantel mit Süßkartoffeln aus der Karibik. Oder anders gesagt: Nix gegen Angus aus Argentinien, aber in Niederbayern gibt‘s auch gute Ochsen.   

Die Speisekarte

Die Speisekarte muss übersichtlich sein, denn ich komme nicht zum Lesen, sondern zum Essen. Fünf, sechs Hauptgerichte sind genug, darunter natürlich auch Fisch. Einen Pluspunkt gibt‘s für ein gutes vegetarisches Gericht.  Eine kleine Auswahl an Vorspeisen und Nachspeisen gehört selbstverständlich dazu - gerade da kann der Koch Fantasie beweisen. Bitte keine bayerntümelnden Sätze wie "Fürn kloana Hunga" oder "Danoch wos Sias".

Die Wirtsstube

Natürlich muss die Wirtsstube einladen zum Essen - hier kann die moderne Architektur oft von der Historie lernen. Mein Lieblingswirtshaus stammt aus dem 18. oder 19. Jahrhundert, ist behutsam restauriert, die  Stühle,  Bänke und Tische sind  aus Kirsche oder Ahorn. Wenn‘s feiner sein soll, auch noch unaufdringlicher Blumenschmuck. Als nervig empfind‘ ich  übrigens einen hohen Lärmpegel. Denn zu einem guten Essen gehört ein gutes Gespräch - und dafür muss man sein Gegenüber hören können.

Der Wirt

Und schließlich: Ohne freundliches, kompetentes und gut gekleidetes Service-Personal geht gar nix. Und es schadet wahrlich nicht, wenn Wirtin und Wirt herzliche Gastgeber sind. Denn der Erfolg eines Wirtshauses ist von den Menschen abhängig, die dort arbeiten. Klingt banal - ist aber so.

Über dieses Wirtshaussterben und die Gründe dafür hab' ich mit vielen Menschen in Bayern gesprochen: mit Bürgern, Bürgermeistern und Wirten, mit Brauereimanagern und Dorferneuerungs-Profis von den Ämtern für ländliche Entwicklung. Schnell wurde mir klar: Das ist ein gutes Thema für "Wir in Bayern". Aber, so waren wir uns in der Redaktion schnell einig: Wir gehen die Sache nicht miesepetrig an, sondern setzen ein positives Ausrufezeichen. Also: Ein Ort muss her, der sich dem Trend entgegenstemmt, ein Ort, der seine Dorfwirtschaft zurück haben will. Nach gefühlten 1.000 Telefonaten hab' ich ihn gefunden: Altenau im Ammertal, 600 Einwohner, Landkreis Garmisch-Partenkirchen, ländlich idyllisch.

Wolfgang Schneider...

... hält Sie bei "Wir in Bayern" auf dem Laufenden - über alles, was in Altenau in Sachen Wirtshausrettung passiert.

Initiiert von einer Gruppe intelligenter und ungeheuer engagierter Bürger träumen die Altenauer dort einen ganz realen Traum: Die alte Dorfwirtschaft, die seit 10 Jahren ungenutzt vor sich hin bröselt, zu kaufen, zu sanieren und betreiben zu lassen. Mehr als eine halbe Million Euro sind mittlerweile im Budget: Ein paar Familien haben 40.000 Euro gegeben, viele 1.000 oder 2.000 Euro. Für eine Rendite gleich null. Mehr Gemeinsinn geht kaum. Ihr Feuerwehrhaus haben die Altenauer vor ein paar Jahren in 10.000 Arbeitsstunden selbst gebaut - für die alte, neue Wirtschaft sind erst mal 6.000 veranschlagt. Ich freu' mich jetzt schon auf die Eröffnung des Wirtshauses Mitte 2014. Mein Zimmer hab‘ ich schon mal blind gebucht. Es wird eine lange Nacht ...


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