Telekolleg - Deutsch


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Propaganda und journalistische Ethik Übung

Stand: 28.10.2011 | Archiv

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Frage

Die Propaganda der Nazis bediente sich nicht nur des Radios und der Printmedien, sondern auch des Films. Wissen Sie, welcher Film im besetzten Osten besonders populär war und vor den Judendeportationen gezielt als Hetze eingesetzt wurde? Ein Tipp: Der Film hat denselben Titel wie der Roman eines großen deutschsprachigen Schriftstellers, der 1940 von den Franzosen interniert wurde, aber schließlich 1941 nach Kalifornien emigrieren konnte.

Antwort

Es handelt sich um den Film "Jud Süß", der 1940 nach dem Drehbuch von Ludwig Metzger, Eberhard Wolfgang Möller und Veit Harlan unter der Regie von Veit Harlan gedreht wurde. Die damals "größten" deutschen SchauspielerInnen ließen sich dafür gewinnen, in diesem Hetzfilm mitzuspielen: Werner Krauß, Ferdinand Marian, Heinrich George, Kristina Söderbaum etc. Bevor der Film im September 1940 in Venedig anlief, wies das Reichspropagandaamt Berlin in einem als "Geheim!" kursierenden Presserundschreiben an: "Sollten in nächster Zeit einige Filme über Juden herauskommen, z.B. ein 'Film Jud Süß', so sollen sie nicht als antisemitische Filme bezeichnet oder besprochen werden. Eine derartige Charakterisierung dieser Filme ist deshalb nicht richtig, weil sie durch die Wirkung auf das Publikum ihren Zweck von selbst erfüllen." (Zitiert nach: Wulf S. 400.)

Und so kam es. In der Presse wurde nach erfolgreicher Uraufführung der geniale württembergische Finanzberater Jud Süß Oppenheimer als ein "historisches Beispiel" gefeiert, "wie das Judentum es verstanden hat, sich immer wieder in deutsche Lande einzuschleichen." Werner Krauß, der (ob der "Besetzungsprobleme" – 1940!) gleich mehrere jüdische Rollen spielte, erntete wegen seiner genialen Wandlungsgabe großen Beifall: "Er bekommt jenen behenden, schleichenden Gang, seine Zunge wird schwer, jiddische Laute entstehen, er psalmodiert sogar auf hebräisch, er weiß den württembergischen Bauern jüdisch verdrehte Finanzweisheiten einzutrichtern, die sie mit Staunen und Ungläubigkeit für bare Münze nehmen müssen." (Zitiert nach Wulf S.402.) In Berlin stritt sich die Elite schier um die besten Plätze in den Kinopalästen, während die gesamte Polizei und SS vom Reichsführer persönlich angewiesen wurde, den "Jud-Süß"-Film zu besuchen (vgl. Wulf S.404). In den besetzten Gebieten warb nicht allein die deutsche Presse mit großem Erfolg für den Film: In Ungarn forderten Studenten im Budapester Filmkurier dazu auf, den Film auch in den kleineren Filmtheatern zu spielen, auch in der Provinz. "Alle Schichten der Bevölkerung brennen darauf – so heißt es in der Veröffentlichung –, die einprägsam geschilderten Niederträchtigkeiten des 'auserwählten Volkes' in diesem deutschen Meisterfilm sehen zu können." (Zitiert nach Wulf S.406.) In den besetzten Ostgebieten wurde Jud Süß immer dann der "arischen Bevölkerung" gezeigt, wenn eine so genannte "Aussiedlung", eine Liquidation im Ghetto bevorstand. Um dort, wie es im Filmkurier hieß, "den Film als eines der wichtigsten Mittel der Volksaufklärung so wirksam wie möglich einzusetzen, ist schon im November 1941 die Zentralfilmgesellschaft Ost ins Leben gerufen worden." (Zitiert nach Wulf S.409.)

Lion Feuchtwanger (am 7.7.1884 in München geboren und am 21.12.1958 in Los Angeles gestorben) hatte in seinem 1925 erschienenen Roman Jud Süß den Massenausbruch des Antisemitismus analysiert. Mit bemerkenswertem Gespür, so als hätte er damals schon den herannahenden Zivilisationsbruch geahnt. Er war entsetzt, als er erfuhr, dass Schauspieler, mit denen er selbst früher an einer Bühnenfassung dieses aufklärerischen Romans gearbeitet hatte, nun in dem Nazipropagandafilm spielten. In einem offenen Brief wandte sich 1941 an die Schauspieler, nachdem er eine Besprechung des Films im Völkischen Beobachter gelesen hat: Sie haben, meine Herren, aus meinem Roman 'Jud Süß' mit Hinzufügung von ein bißchen Tosca einen wüst antisemitischen Hetzfilm im Sinne Streichers und seines 'Stürmers' gemacht. Sie alle kennen meinen Roman 'Jud Süß'. Fünf von Ihnen, soviel erinnere ich mich bestimmt, Sie können es aber auch alle sieben gewesen sein, haben in Bühnenbearbeitungen dieses meines Romans gespielt. Sie haben, über Einzelheiten mit mir diskutierend, gezeigt, daß Sie das Buch verstanden haben. (Feuchtwanger S. 526) Der gesamte Brief spricht die Sprache der Enttäuschung und eines Entsetzens, das sich kaum fassen kann, aber das wiederum auch – diesmal mit einer gewissen Genugtuung – ahnte, was sich erst nach und nach herausstellen sollte: Es ist dies: man kann, fürchte ich, nicht sieben Jahre hindurch gesinnungsloses, schlechtes Theater machen, ohne daß man an Talent einbüßt. Sonderbarerweise verlumpt gleichzeitig mit der Seele auch die Kunst. (ebd. S.531)

  • Lion Feuchtwanger. Offener Brief an sieben Berliner Schauspieler. In: Ein Buch nur für meine Freunde. Frankfurt a.M. 1984 S.526-532
  • Joseph Wulf. Theater und Film im Dritten Reich. Gütersloh 1964

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