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Folge 8 Propaganda und journalistische Ethik

Das Radio war für die Nationalsozialisten das wichtigste Propaganda-Instrument. Wo findet Propaganda heute noch statt und wann gerät die journalistische Ethik an ihre Grenzen?

Stand: 28.10.2011 | Archiv

Qualität und Journalismus | Bild: picture-alliance/dpa

Propaganda im "Dritten Reich"

1933 wurden alle Medien in Deutschland dem von Joseph Goebbels geleiteten Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda unterstellt. Dies war laut Reichsschriftleitergesetz zuständig "für alle Aufgaben der geistigen Einwirkung auf die Nation". Alle Massenmedien und Einrichtungen wurden von nun an gleichgeschaltet, zentral gelenkt und verwaltet, und hatten allein die Aufgabe, für den nationalsozialistischen Staat, seine Kultur und Wirtschaft zu "werben"

Joseph Goebbels

Das wichtigste Propaganda-Instrument der Nationalsozialisten war das Radio. Goebbels verkündete: "Der Rundfunk ist das modernste, ich darf wohl auch sagen, das erfolgreichste Massenbeeinflussungsmittel. Der Rundfunk gehört uns und niemandem sonst. Und den Rundfunk werden wir in den Dienst unserer Idee stellen und keine andere Idee soll hier zu Wort kommen." Das war nicht zu viel versprochen. Das Radio sorgte ab 1933 für die Verbreitung der nationalsozialistischen Ideologie: Die deutschen Haushalte wurden mit Volksempfängern ausgestattet, vielen ehemaligen Intendanten wurde gekündigt, einige kamen ins KZ. SS-Männer beherrschten die Radio-Redaktionen, nur noch nazifreundliche Ansichten durften gesendet werden. Den BBC oder andere "Feindsender" zu hören war strengstens verboten.

Am 1. September 1939, zu einer Zeit, als große Teile der indoktrinierten Bevölkerung schon kaum mehr fähig waren, zwischen Wahrheit und propagandistischer Lüge zu unterscheiden, brachte das Radio die Falschmeldung, mit der der Überfall auf Polen, also der Beginn des Zweiten Weltkriegs gerechtfertigt werden sollte: Polnische Truppen, so hieß es, hätten den auf deutschem Gebiet liegenden Radiosender Gleiwitz überfallen. Während das Fernsehen technisch noch zu unterentwickelt war, um als Massenmedium zu dienen, mobilisierte das Propagandaministerium auch die gesamte Presse (allen voran das Hetzblatt Der Stürmer), sowie Schriftsteller und Filmemacher für seine Zwecke. Die strikte Zensur war die Kehrseite der Propaganda. Das Propagandaministerium bestimmte nicht nur, was zu hören, zu sehen und zu lesen war, sondern auch, was nicht. Inszeniert wurde die absolute Diffamierung und Ausgrenzung aller Andersdenkenden bereits am 10. Mai 1933 durch die Bücherverbrennung: Auf dem Königsplatz in München gingen – wie in vielen anderen Hauptstädten auch – Bücher der Regimegegner in Flammen auf.

Journalismus und Ethik

Journalismus heißt zunächst einmal: etwas öffentlich machen, etwas mittels Bild, Schrift, Wort und Ton vielen anderen zeigen, andere mit etwas bekannt machen. Darin liegen sowohl die Chancen als auch die ruinösen Abwege des journalistischen Berufs: Man kann etwas einseitig zeigen, oder etwas so erscheinen lassen, wie es in Wahrheit nicht ist, also lügen. Man kann etwas einseitig preisen und zur Schau stellen, also für etwas werben, sei es für ein Unternehmen oder eine Regierung, im Dienste einer demokratischen Partei oder auch eines Gewaltsystems. Man kann zudem etwas zeigen, was die Öffentlichkeit nichts angeht, was in die Privatsphäre der gezeigten Menschen gehört, ihre Persönlichkeitsrechte verletzt, und was nur die niedrige Neugier und Schaulust des Publikums befriedigt. Letzteres wird vor allem bei Gewaltdarstellungen jeglicher Couleur relevant, etwa bei Bildern von Kriegs- und Terroropfern. Wird hier nicht die Menschenwürde der Dargestellten verletzt?

Wo findet die Aufgabe des Journalisten, die Öffentlichkeit zu unterrichten, eine Grenze? Prof. Dr. Heinz Pürer vom Institut für Kommunikationsforschung der LMU München betont: "Hier ist gut zu überlegen, wie nah man an eine gezeigte Person herangeht, ob sie möglicherweise noch persönlich zu erkennen ist. Hier wird ein Journalist sicherlich auf die Distanz achten, gleichwohl müssen Journalisten insbesondere über Kriege berichten, das gehört zu ihrer öffentlichen Aufgabe." Der Pressekodex soll vor den abwegigen Möglichkeiten des Journalismus bewahren, etwa der einseitigen und verfälschenden Berichterstattung und der Verletzung der Menschenwürde. Aber wie verbindlich sind diese ethischen Grundsätze in der Realität?

Die Geiselnahme von Gladbeck im Jahr 1988 zeigte drastisch, wie unwirksam sie zuweilen sind: In ihrem Kampf um die heißeste Story mischten sich die Reporter aktiv ins Geschehen ein, stellten die Geiselnehmer fast als Helden des Tages zur Schau, behinderten die Polizei an ihren Ermittlungen und wurden mitschuldig am Tod von zwei Menschen. Die journalistische Ethik ist hier dem gnadenlosen Wettbewerb um die beste Story zum Opfer gefallen, der Tatsache eben, dass Information heute eine Ware ist und dass – vor allem bei den kommerziellen Sendern – nichts anderes zählt als die Einschaltquote. Weil die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten vom Wettbewerb nicht so abhängig sind, gelten bei ihnen grundsätzlich strengere ethische Maßstäben als bei den privatwirtschaftlichen Sendern, wo allein der Wettbewerb und die Quote regieren. Ethisch fragwürdig, wenn auch nicht mit derartig ruinösen Folgen, waren auch zahlreiche Berichte über die Geiselnahme der Familie Wallert auf der philippinischen Insel Jolo und über die Opfer des Concorde-Absturzes im Jahr 2000.

Der Pressekodex ist insofern nur eine sinnvolle Richtschnur für einen anständigen Journalismus, nicht aber sein Garant. Ob sich ein Journalist an ihn hält und halten kann, hängt nach Heinz Pürer von vielem ab: Welche Ausbildung der Journalist wo genossen hat, für welche Redaktion er arbeitet etc. Nicht selten werden aber gerade durch ethisch fragwürdige Methoden, durch "unlautere Mittel in der Recherche", wie Pürer zu denken gibt, "politische und ökonomische Skandale aufgedeckt." D.h. nichts anderes, als dass der Informationsauftrag des Journalisten stets im potenziellen Widerstreit zur journalistischen Ethik steht und ein stetes Abwägen notwendig macht: Was ist noch erlaubt und was geht unter die Gürtellinie? In diesem Prozess des ethischen Abwägens und Beurteilens ist auch das Publikum gefragt, die Medienkonsumenten, denen ebenfalls eine kollektive Verantwortung zuzusprechen ist. Heinz Pürer: "Das Publikum hat ja die Möglichkeit, Produkte anzunehmen oder auch abzulehnen. Publikumsethik ist dann angesprochen, wenn das Publikum, nicht zuletzt aus ethischen Gründen, gewisse Medienprodukte zurückweisen würde, soll heißen, was sich nicht verkauft, was nicht konsumiert wird, hat am Markt auch keine Chance, sich durchzusetzten." Jeder kann Beschwerde beim Presserat einlegen, wenn er durch einen Bericht oder durch Bilder die Würde und die Persönlichkeitsrechte von Menschen verletzt sieht. Weniger aufwändig, aber als Massenhaltung wirksamer ist es, einfach abzuschalten. Konsumverweigerung ist auch ein Widerstand gegen unethischen Journalismus.

Prominenz und Öffentlichkeitsarbeit

Das deutsche Gesetz zum Schutze der Persönlichkeit räumt allen Menschen das Recht ein, sich zu weigern, in den Medien dargestellt zu werden. Ausgenommen sind Persönlichkeiten des öffentlichen Interesses, Prominente. Für sie gilt nur, dass sie nicht beleidigend oder obszön dargestellt werden dürfen, und dass ihre Kinder nicht ständig ins Rampenlicht gezerrt werden. Ansonsten haben sie nur eingeschränkte Möglichkeiten, sich vor der Presse zu schützen. Das prominenteste Beispiel hierfür ist wohl Prinzessin Diana. Ihr Tod entfachte eine heftige Debatte über die Paparazzi. Diana schien Opfer einer besonderen Art der Menschenjagd zu sein, des Jagdfiebers einer ganzen Horde von Fotografen.

Die Kehrseite der Medaille: Die Prominenten brauchen die Massenmedien. Ohne Massenmedien keine Publicity. Sie brauchen die von Rundfunk und Presse erzeugte Öffentlichkeit für gemeinnützige Zwecke, etwa um – wie Peter Maffay – karitative Aktionen anzukurbeln. Sie brauchen die Öffentlichkeit für ihre eigenen Zwecke, ihre Karriere z.B.: Die Gagen von Schauspielern steigen, je öfter sie in den Medien erscheinen. Sie brauchen die Medien schließlich für ihre Popularität und als Streicheleinheiten für ihr Ego. Die einen akzeptieren den Ansturm der Journalisten – wie Iris Berben – als "part of the game", als Spielregeln, auf die sie sich sehenden Auges eingelassen haben, als sie die Bühne der VIPs betreten haben. Andere, wie etwa Caroline von Monaco, klagte gegen BUNTE schließlich erfolgreich, gegen den Ansturm und die Indiskretion einiger Journalisten. Unterschiede sind auch bei den Journalisten und Fotografen zu machen: Die einen beherrschen das Spiel und haben ein Gespür dafür, wer wie weit sein Privatleben zum Besten geben will. Sie respektieren die Grenzenlosigkeit der einen und die Grenzen der anderen und haben Erfolg damit: Die Promis kommen gern zu ihnen, die einen, um sich zu outen, die andern um sich durch Diskretion interessant zu machen. Was wären unsere Prominenten ohne die Presse? Was wäre die Presse ohne Prominente? Zwischen Presse und Prominenz kann auch ein "Geben und Nehmen" herrschen. Nur gut, wenn man als Medienkonsument dieses lukrative Tauschgeschäft durchschaut!


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