Telekolleg - Deutsch


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Übung Internet - Nutzung und Informationsgewinn

Stand: 20.02.2012 | Archiv

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Frage

1. Ein berühmter deutscher Dichter, der vom Internet noch gar nichts wissen konnte, scheint vor gut 80 Jahren die Vision der viel beschworenen globalen Polis von heute gehabt zu haben. Er verhieß:

Darum lasst uns hier eine Stadt gründen
Und sie nennen [...]
Das heißt: Netzestadt!
Sie soll sein wie ein Netz
Das für die essbaren Vögel gestellt wird.
Überall gibt es Mühe und Arbeit
Aber hier gibt es Spaß.
Denn es ist die Wollust der Männer
Nicht zu leiden und alles zu dürfen.
Das ist der Kern des Goldes.

Wer war es und wie lautet der Name dieser Netzestadt?

2. Den Kritikern der Netzliteratur fehlt beim Hypertext die gemeinsame Basis fürs Gespräch, weil sich jeder Leser seinen Text selbst zusammenklickt. Steven Johnson stellt nach der Lektüre des legendären Hypertextes "Afternoon" von Michael Joyce fest:

"Nachdem ich Afternoon beendet hatte, rief ich ein paar Freunde an, die sich ebenfalls hindurchgearbeitet hatten. Wie sich herausstellte, sprach jeder von einer völlig anderen Geschichte. In diesen Augenblicken, als wir am Telefon nach einer gemeinsamen Basis suchten, war für mein Gefühl Hypertext weniger eine Übung in literarischer Demokratie als vielmehr eine Art Gummizelle." (Interface Culture. Klett-Cotta, Stuttgart 1999)

Dass jeder etwas Eigenes beim Lesen in die Texte hineininterpretiert, ist indes nicht neu. Welcher berühmte Autor der Moderne sah dies sogar als den grundlegenden Zug aller Literatur an?

Antwort

1. Das Zitat von der Netzestadt stammt von Bertolt Brecht, gemeint ist damit die Stadt Mahagonny.

2. Es war Marcel Proust. Er versteht Literatur als optisches Instrument, mit dem man in erster Linie Einblick in sich selbst gewinnt, nicht in einen vom Autor vorgegebenen Sinn- und Textzusammenhang. Es heißt:

"In Wirklichkeit ist jeder Leser, wenn er liest, ein Leser nur seiner selbst. Das Werk des Schriftstellers ist dabei lediglich eine Art von optischem Instrument, das der Autor dem Leser reicht, damit er erkennen möge, was er in sich selbst vielleicht sonst nicht hätte schauen können."

Marcel Proust. Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Band XIII, S. 329. In: Ges. Werke I-XIII, übersetzt aus dem Französischen von Eva Rechel-Mertens. Frankfurt/Main 1957.


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