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Kurzwellen für die Freiheit Gaito Gasdanow alias Georgij Tscherkassow

"Radio Liberation" - "Radio Free Europe" - "Radio Liberty" - "Radio Swoboda". - Christine Hamel begibt sich in München auf Spurensuche nach dem Schriftsteller Gaito Gasdanow, der hier im Kalten Krieg unter dem Pseudonym Georgij Tscherkassow als Journalist bei dem US-Sender arbeitete. - Gasdanows literarisches Werk wird in Deutschland gerade erst mit großem Erfolg entdeckt.

Von: Christine Hamel

Stand: 16.07.2017 | Archiv

Vor dem Haupteingang des Rundfunksenders RFE am Englischen Garten in München steht eine Bronzetafel mit dem Schriftzug "Radio Free Europe" und dem Hinweis auf die US-amerikanische Stiftung "Crusade for Freedom" (Kreuzzug der Freiheit), die mit 4,5 Millionen Mark den Gebäude-Neubau finanziert hat. | Bild: picture-alliance/dpa/Bildarchiv/Willi Antonowitz

Als Gaito Gasdanow 1952 das Angebot bekam, als Paris-Korrespondent des neugegründeten Radiosenders "Liberation" zu arbeiten, war er bereits ein angesehener Autor. Nach aufreibenden Jahren als Fabrikarbeiter, Putzkraft, Lastenträger und Taxifahrer war es ihm seit 1946 in der Pariser Emigration endlich gelungen, von seinen Büchern zu leben. Warum also ging er auf das Angebot eines US-finanzierten Radiosenders ein, der mit Kurzwellen den Kommunismus bekämpfen wollte? Kurz zuvor hatte Gaito Gasdanow in einem Brief an den russischen Schriftsteller- und Journalistenverband in Paris noch betont, dass er sich nie um Politik gekümmert habe und auch keine Neigung verspüre, sich politischen Fragen zu widmen.

Radio "Liberation" am Englischen Garten in München

Wohnhaus Gaito Gasdanows in München, Siebertstr. 7

Für die Freiheit allerdings war Gasdanow immer bereit zu kämpfen. Allein der Name des Radiosenders "Liberation" muss ihm direkt zu Herzen gegangen sein. Für seine journalistische Arbeit nahm er das Pseudonym Georgij Tscherkassow an und zog 1953 nach München, wo Radio "Liberation" seinen Hauptsitz am Englischen Garten hatte. Von hier aus versorgten Exil-Russen, -Bulgaren, -Tschechen und -Rumänen die Hörerschaft des Ostblocks mit Informationen aus dem Westen. Im Idealfall. Denn natürlich antworteten die Länder des Warschauer Pakts auf die amerikanische Propaganda mit Störsendern. 1957 wurde Gasdanow Chefredakteur der Nachrichten. Zu diesem Zeitpunkt waren die Hoffnungen auf eine baldige "Befreiung" Osteuropas vom Kommunismus bereits zerschlagen. 1964 benannte sich der Sender denn auch in "Radio Liberty" um. Da er von Anfang an eng mit der Geschichte des Kalten Krieges verbunden war, gab es immer wieder Giftanschläge, Spionage und Sabotage, Bombenattentate und Morde an Journalisten des Senders.

Die Amerikaner wollten dem Ostblock auch im Äther Paroli bieten

Radio Free Europe in München am Englischen Garten (1952)

"Radio Liberation", später "Radio Liberty" sollte angesichts sowjetischer Propaganda und Parolen zum "Gegenangriff mit den Waffen des Geistes" ausholen. Der kämpferische Name war Programm. Die Amerikaner wollten dem Ostblock auch im Äther Paroli bieten und gründeten zu Beginn der 50er Jahre mitten im Kalten Krieg einen Radiosender in München. Kurzwellen brachten den American way of life bis hinter den Ural. Natürlich nicht ohne nervtötendes Rauschen und ohrenzerschneidende Quietschtöne. Die Sowjetunion hatte mehr Geld für technisch höchst aufwendige Störsender ausgegeben als die Amerikaner für ihr Programm.

In kritischen Augenblicken - etwa wenn ein Interview mit einem Dissidenten oder Emigranten übertragen wurde - spielte sogar das Bodenrelief Russlands eine Rolle: Es gab Zonen, in denen wegen der Störsender nichts zu hören war, aber auch solche, in denen Radioempfang möglich war, weil dort die Wellen der Störsender nicht hinreichten. Finanziert wurde Radio Liberty bis 1971 vom Geheimdienst CIA, doch das wussten nur wenige Mitarbeiter.

Die Autorin Christine Hamel begab sich in München auf Spurensuche nach Gaito Gasdanow, dessen literarisches Werk in Deutschland gerade erst mit großem Erfolg entdeckt wird.

Letzte Ruhe in Frankreich

Grab von Gaito Gasdanow in der Nähe von Paris

Gaito Gasdanow, ein starker Raucher, der fast immer eine Gauloise im Mundwinkel hatte und während der Sendungen häufig hustete, starb 1971 an Lungenkrebs. Seine letzte Wohnung in München war in der Osterwaldstraße 55. Beigesetzt wurde Gaito Gasdanow auf dem Friedhof 'Sainte Geneviève des Bois' bei Paris. Das ist nun alles lange her. Inzwischen wurde Gasdanows Literatur auch in Deutschland entdeckt: Eine höchst elegante Mischung aus Realismus und Metaphysik, Spekulation und Beobachtung, Reflexion und Sinnlichkeit. Und immer wieder Erinnerungen und Visionen.

"Wie er sagte: Man muss immer Träume haben, das ist schön, wenn sie sich verwirklichen, aber dann muss man neue haben, das ist gut, wenn sie sich auch nicht verwirklichen. Man träumt."

(Madeleine Robert, ehemalige Sekretärin Gaito Gasdanows)

Buchtipp:

Das Phantom des Alexander Wolf

  • Autor: Gaito Gasdanow
  • Gebundene Ausgabe: 192 Seiten
  • Verlag: Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG; Auflage: 13 (27. August 2012)
  • ISBN-10: 3446238530
  • ISBN-13: 978-3446238534

Der "Kalte Krieg" nach dem Zweiten Weltkrieg

Die angloamerikanisch-sowjetische Kriegsallianz bekommt schon wenige Monate nach der Kapitulation Hitler-Deutschlands erste Risse, 1946/47 zerbricht sie endgültig. Die Systemunterschiede zwischen dem westlichen Entwurf der liberal-kapitalistischen parlamentarischen Demokratie und kommunistischen Vorstellungen vom Staatssozialismus ("Volksdemokratie") erweisen sich als unüberbrückbar. Immer schneller führt die Politik der Supermächte zur Teilung der Welt in zwei Blöcke (Bipolarität). Zwischen den USA und der UdSSR entbrennt der Kalte Krieg. Damit macht ein Begriff Karriere, der das feindselige Verhältnis zwischen den Staaten des Westens und der Sowjetunion bezeichnet. Er besagt aber auch, dass die beiden rivalisierenden Lager angesichts der Risiken einer atomaren Auseinandersetzung ihre Spannungen und Konflikte - zumindest in Europa - mit anderen Mitteln als denen eines Schießkrieges auszutragen bereit sind. In den folgenden Jahren ordnen sich, abgesehen von der Gruppe der "Blockfreien" und China, viele Staaten den jeweiligen Blöcken zu. Der Kalte Krieg verläuft in sieben Phasen:
 
1. Entstehung (1945-47)
2. Blockbildung (bis Mitte der 1950er Jahre)
3. Eskalation und angespannte Ruhe in Europa (seit den späten 1940er Jahren bis 1961)
4. Verlagerung in die Dritte Welt; Führung konventionell-militärischer Stellvertreterkriege (seit den 1960er Jahren)
5. Entspannung (1960er/1970er Jahre)
6. Erneute Konfrontation (seit den späten 1970er Jahren) 
7. Auflösung des Ostblocks (ab Mitte der 1980er Jahre bis zum Ende der Sowjetunion 1991)


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