Bayern 2 - radioWissen


9

Der Kult der Muttergöttin kehrt zurück Das Thema

Die ersten Schöpfungsmythen bezogen sich noch nicht auf eine Vatergottheit. Stattdessen wurden Muttergottheiten als Gebärerinnen und Herrinnen des Lebens verehrt. Auch bei den Frühgriechen wurde zum Beispiel Leda, die Schwanenjungfrau, Gegenstand der Anbetung. In den Anfängen des alten Ägyptens herrschte zunächst Mutterrecht und die Königinnenmutter Isis. Aber auch hier kam es zu einer Hinwendung zu einer eher männlich geprägten Religion.

Published at: 30-5-2012 | Archiv

Maria mit dem Kind Skulptur | Bild: picture-alliance/dpa

Durch Echnaton kam es im zweiten Jahrtausend v. Chr. sogar zu einer frühen Phase des Monotheismus, der sich im alten Ägypten allerdings nicht dauerhaft durchsetzte. Auch andere Kulturen, die länger polytheistischen Vorstellungen verhaftet blieben, wandten sich mehr und mehr einem männlich dominierten Götterhimmel zu. Besonders ist hier natürlich an das antike Griechenland zu denken. Dieser Wandel trat infolge einer Veränderung der Wirtschaftsform und durch die Arbeitsteilung ein. Vor etwa 6.000 bis 5.000 Jahren geschah diese revolutionäre Wende im Bild des Göttlichen. Im Schöpfungsmythos der Sumerer und Akkader treffen wir zum ersten Mal auf einen Kampf zwischen Mann und Frau, Gilgamesch der Sohn löst die Mutter ab.

Das Patriarchat bahnt sich seinen Weg

So haben wir nicht nur im Verlauf fast der gesamten Geschichte des Christentums bis heute eine eindeutig männlich dominierte Ausprägung. Feministische Theologie Gerade das ist es, was heute von sog. feministischen Theologinnen kritisiert wird, wenn sie dem gängigen christlichen Denken eine einseitige männliche Sicht vorwerfen. Mit Recht weisen sie darauf hin, dass es in den biblischen Traditionen durchaus sehr starke weibliche Anteile gibt. So wird, um nur ein Beispiel zu nennen, der Geist Gottes, Ruach, in den Erzählungen des Alten Testamentes als weiblich-mütterliche Kraft verstanden. Die einseitig männliche Interpretation der Bibel habe zu männlichen Herrschaftsstrukturen innerhalb von Kirche und Gesellschaft geführt.

Zurück zur Natur, zurück zur Mutter?

Eine bemalte Maske der altägyptischen Göttin Isis aus der 19. ägyptischen Dynastie.

Diese männlichen Herrschaftsstrukturen bekommen angesichts der sich anbahnenden ökologischen Katastrophe eine qualitativ neue Brisanz. Die für unsere westliche Kultur typische Abspaltung des Menschen von der Natur wird dabei als Grundproblem erkannt. Aber kann dem mit einer Rückerinnerung an matriarchalische Gesellschaften der Vorgeschichte begegnet werden? Hilft ein Hinweis darauf, dass das biblische Gottesbild durchaus nicht nur männliche Seiten hat? Zurück zur Mutter?

Renaissance des Glaubens in Europa

Zunächst muss festgestellt werden, dass grundsätzlich veränderte Gesellschafts- und Wirtschaftsformen geschichtlich die Veränderungen des Denkens vorbereitet haben. Dieses Rad der Geschichte ist nicht mehr zurückzudrehen. Ferner ist zu fragen, ob die Prägekraft des Christlichen in Europa heute noch so stark ist, dass ein verändertes Gottesbild noch starke Veränderungen bewirken könnte. Man kann diese Frage sicherlich mit einem Ja beantworten! Es gibt durchaus ein starkes religiöses Bedürfnis auch in Europa. Es wird sogar von einer Renaissance des Religiösen gesprochen. Nur geht diese Entwicklung weitgehend an den (europäischen) Kirchen vorbei. Wenn die Kirchen die Hinweise der feministischen Theologinnen und anderer Befreiungstheologen ernstnähmen und sich aus ihren Erstarrungen und Autoritätsfixierungen lösten, nähme ihre Attraktivität sicherlich zu. Sie könnten sich zumindest befreit damit beschäftigen, dass Gottes Erde bewohnbar bleibt.

Fazit

Ob ich Gott als Vater oder als Mutter bezeichne, ist nicht das Eigentliche. Wir können dem all unser Denken Überschreitenden nur umschreibend Ausdruck geben. Wenn wir das wissen, können wir weder zurück in archaische Mutterkulte noch können wir an einem ausschließlich männlichen Gottesbild festhalten.

Exkurs: Annäherung an das Eigentliche

Torso der ägyptischen Gottheit Isis aus der Zeit der Ptolemäer, der vor der ägyptischen Küste gefunden wurde

Alle Annäherungen an das göttliche Geheimnis kann man mit einem Versuch der Annäherung an das Eigentliche beschreiben. Wesentlich ist allerdings der Grad an Bewusstheit, dass alle Bilder vom Göttlichen, alle Mythen und sonstigen Überlieferungen nicht schon dieses Eigentliche sind. In vorgeschichtlichen, durch magisches Denken gekennzeichneten Gesellschaften, ist das direkte Identifizieren ein Wesensmerkmal des Religiösen. Im Laufe der Fortschrittsgeschichte der Menschheit wird dieses Denken, dass sich im Übrigen auch in der individuellen religiösen Entwicklung eines Menschen in der frühen Kindheit finden lässt, immer problematischer, denn zivilisatorischer Fortschritt in dem uns bekannten Maße ist nicht möglich, wenn man in allen Naturerscheinungen das Göttliche in direkter Form erblickt. So kann der biblische Monotheismus als ein eigentlicher Wendepunkt in der Kulturgeschichte der Menschheit gesehen werden. Damit einher geht die Ausprägung der Vorstellung von einem männlichen Gott.

Max Frisch über das Geheimnis des Unsagbaren

Venus von Willendorf - Fruchtbarkeitsgöttin aus der Steinzeit

"Was wichtig ist: Das Unsagbare, das Weiße zwischen den Worten, und immer reden diese Worte von den Nebensachen, die wir eigentlich nicht meinen. Unser Anliegen, das Eigentliche, lässt sich bestenfalls umschreiben und das heißt ganz wörtlich: Man schreibt darum herum (...). Die Sprache ist wie ein Meißel, der alles weghaut, was nicht Geheimnis ist, und alles Sagen bedeutet ein Entfernen (...) wie der Bildhauer, wenn er den Meißel führt, arbeitet die Sprache, indem sie die Leere, das Sagbare, vertreibt gegen das Geheimnis, gegen das Lebendige. Immer besteht die Gefahr, dass man das Geheimnis zerschlägt und ebenso die andere Gefahr, dass man vorzeitig aufhört, dass man es einen Klumpen sein lässt, dass man das Geheimnis nicht stellt, nicht fasst, nicht befreit von allem, was immer noch sagbar wäre, kurzum, dass man nicht vordringt bis zu seiner letzten Oberfläche."

Das schrieb der große schweizerische Schriftsteller Max Frisch in seinem 1965 erschienenen Tagebuch. Bemerkenswert ist die Vorstellung, dass es hinter der Welt der Worte etwas Eigentliches gibt, dass mit diesen Worten nicht beschrieben werden kann. Hier treffen sich Frischs Gedanken mit den Überlegungen religiös denkender Menschen.


9