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Von der Domestikation zur Massenproduktion

Von: Volker Eklkofer / Sendung: Silke Wolfrum

Stand: 08.07.2019 | Archiv

Mensch, Natur und UmweltMS (ab 8. Schuljahr), RS, Gy

Mit der Domestikation von Tieren vollzieht der Mensch vor etwa 11.000 Jahren einen entscheidenden Entwicklungsschritt: Er erhebt sich zum Herrscher über die Natur. Gewalt und Nähe prägen seither eine wechselseitige Beziehung.

Vom Nahrungskonkurrenten zum Nahrungsmittel

Mit dem Übergang vom Früchte- und Pflanzensammler zum Jäger verändert sich unter dem Druck des eiszeitlichen Überlebenskampfes vor etwa zwei Millionen Jahren das Verhältnis des Frühmenschen zum Tier. Waren Tiere bislang ebenbürtige Nahrungskonkurrenten, werden sie nun mit eigens entwickelten Waffen getötet und liefern energiereiche Nahrung: Fleisch. Tierische Proteine steigern das Gehirnwachstum des Ur-Menschen, der zunehmend Kulturtechniken entwickelt. Gezähmte Jungwölfe werden die ersten Haustiere und Jagdbegleiter.

Domestikation - der Mensch macht sich die Erde untertan

Im "Fruchtbaren Halbmond" in Südwestasien werden die Menschen vor etwa 11.000 Jahren sesshaft. Sie kultivieren Pflanzen und halten Wildtiere gefangen. Sie beginnen mit der Viehzucht und setzen die natürliche Selektion außer Kraft. Das durch Zucht veränderte Tier gilt fortan als Gegenstand, mit dem der Mensch nach Gutdünken schalten und walten kann. Das Tier dient unter anderem als Nahrungsquelle, hilft bei der Feldarbeit, ermöglicht neue Kriegsmethoden und transportiert Waren. Es wirkt damit - ungefragt - als Kulturstifter.

Das Tier als "Sache"

In den Agrargesellschaften bilden Mensch und Tier bis weit in die Neuzeit eine Gemeinschaft und wohnen nicht selten unter einem Dach. Das Töten von Tieren gehört zur Alltagserfahrung der Menschen. Vielleicht abgesehen vom Faible eines Adeligen für sein Reitpferd oder seinen Jagdhund ist die emotionale Tierliebe weitgehend unbekannt.

Philosophen wie René Descartes (1596-1660) oder Immanuel Kant (1724-1804) sehen Tiere als "seelenlose Automaten" beziehungsweise "Sachen". Immerhin erkennt der Naturforscher Charles Darwin (1809-1882), dass Tiere über "Empfindungen und Fähigkeiten" wie Liebe und Gedächtnis verfügen.

Geliebtes Haustier - missachtetes Nutztier

Im Zuge der Industriellen Revolution entfremdet sich der Mensch, eingebunden in eine immer perfektere Arbeitsteilung, mehr und mehr von der Natur. Die Nutztiere verschwinden aus dem Stadtbild. Großschlachthöfe und mechanische Tierverwertung erweitern die Distanz der Menschen zum Produktionsprozess.

Doch während in den Großstädten die Verbindung zum ländlichen Leben mehr und mehr gekappt wird, entwickelt das Bürgertum eine romantisch-verklärte Sicht auf Tiere und holt sie - meist Vögel und Hunde - in die urbane Gesellschaft zurück.

An der Barbarei in der Landwirtschaft, der Nahrungsmittelbranche und in der Forschung (Tierversuche unter anderem von Medizinern und Biologen), ändert sich ungeachtet der Gründung von Tierschutzvereinen (19. Jahrhundert) und einer Tierrechtsbewegung (20. Jahrhundert) nur wenig. Das seelenlose Tier-Ausbeutungssystem ist ungeachtet der 2002 ins Grundgesetz aufgenommenen Tierschutzklausel bis heute tragfähig, weil es - abgesehen von Vegetariern und Veganern - auf breiter Ebene mitgetragen wird: Von Verbrauchern, die preiswerte Schnitzel schätzen; von Produzenten, die sich auf Konsumentenwünsche berufen, von der profitorientierten Fleischindustrie und von Supermarktketten.

Brutalität und Sentimentalität prägen derzeit das Verhältnis Mensch-Tier. Einerseits verursachen Massentierhaltung, Tiertransporte und Tierversuche viel Leid, anderseits werden "Kuscheltiere" zuhause verwöhnt und gehätschelt. Forderungen, die Beziehung neu zu definieren und das Konzept der Menschenrechte auf Tiere auszuweiten, werden lauter.


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