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Die Schlange Die Dämonisierung der Schlange im Christentum

Stand: 06.09.2012 | Archiv

Mamba | Bild: picture-alliance/dpa

So weit wir mithilfe von Mythen und mythischen Darstellungen in die Geschichte der Menschheit zurückblicken können, ist die Schlange weder ausschließlich gut, noch ausschließlich schlecht, sondern ein doppelgesichtiges Wesen, das sowohl Gott wie Dämon sein konnte und zugleich schöpferische aber auch zerstörerische Kräfte repräsentiert.

Erst mit dem Christentum beginnt ein radikaler Umbruch: War die Schlange im antiken und altorientalischen Mythos ein zwar ambivalentes, aber dennoch göttliches Wesen, mutiert sie in der christlich geprägten Tradition zum Inbegriff des Bösen. Sie wird zur Verkörperung der Sünde, zum satanischen Werkzeug und schließlich zum Teufel selbst.

Auf der Suche nach dem verborgenen Sinn - die Allegorese

Einen wesentlichen Beitrag zur christlich-abendländischen Verengung des Blicks auf das Dämonische legt die Allegorese. Das allegorische Denken ist ein bereits in der Antike bekanntes Verfahren der Textauslegung, das christliche Theologen zum wichtigsten Werkzeug der Gottes-, Welt- und Menschenerkenntnis fortentwickeln. Die bis an die Schwelle des 18. Jahrhunderts unangefochtene Leitmethode der Exegese geht davon aus, dass jedes in der Bibel geschriebene Wort mehrere Bedeutungs- und Sinnebenen hat. Die oberste Ebene bildet der Wortsinn als materiell konkrete Bezeichnung eines Gegenstandes, Lebewesens oder Sachverhalts. Unter diesem faktischen Wortsinn verbergen sich mehrfach gestufte, geistige Bedeutungsebenen, die theologische, moralische oder philosophische Wahrheiten erschließen. Aus diesen Ebenen, die immer tiefer in das Geheimnis Gottes und seiner Schöpfung eindringen, gewinnt die allegorische Exegese konkrete Heilsaussagen und Handlungsanweisungen für den Menschen sowie seine Beziehung zu Gott.

Vom Sichtbaren zum Unsichtbaren führt der Weg

Methodisch ruht das allegorische Verfahren auf der Vorstellung, dass Gott die Welt doppelt schuf: ein erstes Mal materiell in der sichtbaren Natur und allen Elementen, die sie enthält: Die Welt ist das "Buch der Natur", das Gott mit den Schriftzeichen der Realien geschrieben hat. Parallel dazu hat er die Welt im Buch der Heiligen Schrift ein zweites Mal geistig geschaffen. Beide Schöpfungen sind aufeinander verweisende, sich gegenseitig ausdeutende Offenbarungssysteme, in denen sich Gott dem Menschen zu erkennen gibt. Denn zum einen trägt jedes Ding, jede Pflanze, jede Kreatur, jeder Gegenstand, jede Naturerscheinung einen vom Schöpfer eingeschriebenen, dechiffrierbaren Hinweis auf das Wesen und Wollen Gottes. Analog dazu enthält jedes in der Schrift genannte Ding, jede Handlung, jedes Wort über seine buchstäbliche Bedeutung hinaus einen vom göttlichen Autor hineingelegten geistigen Sinn. Damit sind Bibel und Welt ein komplementäres, unerschöpfliches Erkenntnisreservoir, das nur richtig genutzt werden muss, um den Schleier des Geheimnisses zu lüften. Wer diese wechselseitige Entzifferung qua gottgeschenkter Vernunft meistert, erblickt im Spiegel des Sichtbaren den eigentlichen, unsichtbaren, geistigen Bau der Welt.

Der Mensch lebt, um den Schöpfer zu erkennen

Die Geheimschrift Gottes zu entschlüsseln und die verborgene Heilswahrheit aufzuspüren, ist der eigentliche Zweck des Menschen: "Gott Vater, unser großer Schöpfer, hat uns Verstand und Vernunft gegeben, damit wir erkennen konnten, dass wir von ihm geschaffen seien, weil er selbst die Einsicht, der Verstand und die Vernunft ist", schreibt, als einer unter vielen, der um 397 gestorbene Kirchenlehrer Laktanz. Als Begründung und Zeichen für die Wahrheit dieser gängigen Auffassung führt er den aufrechten Gang des Menschen an:

"Da es in Gottes Absicht lag, von allen Lebewesen den Menschen allein für seine himmlische Bestimmung zu schaffen, die übrigen aber sämtlich für die Erde, so schuf er den Menschen aufrecht und stellte ihn auf zwei Füße, natürlich damit er dorthin schaue, woher er stammt; die Tiere jedoch schuf er mit dem Blick zur Erde, damit diese, da sie keine Unsterblichkeit zu erwarten haben, nur den niederen Trieben zu folgen hätten. Es zeigt also des Menschen gerade und aufrechte Haltung sowie sein ganz Gott ähnliches Wesen seinen Ursprung und Schöpfer an."

Kirchenlehrer Laktanz


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