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Konrad Lorenz Das Thema

Stand: 26.02.2014 | Archiv

1973 verleiht Weinzierl (Mitte) Nobelpreisträger Konrad Lorenz (l.) und dem Fernsehjournalisten Horst Stern den Bayerischen Naturschutzpreis. | Bild: picture-alliance/dpa

Schon als Bub ist Konrad Lorenz überzeugt: Ich will Wildgans werden! Das Buch "Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson" von Selma Lagerlöf inspiriert ihn dazu. Ein eigenwilliger Berufswunsch für einen Sechsjährigen. Und doch bleibt er ihm in gewisser Weise lebenslang treu. Gans wird er zwar nie. Die Leidenschaft zu den Tieren lässt den späteren Verhaltensforscher aber nicht mehr los. Das Magazin "Der Spiegel" wird ihn einmal den "Einstein der Tierseele" nennen. Seine Kindheit verbringt Lorenz in Altenberg bei Wien - auf dem Landsitz seiner Eltern. Dort zieht er mit dem Nachbarskind Gretl seine ersten Entenküken groß. Spielerisch lernen die Kinder bald die verschiedenen Lautäußerungen ihrer Schützlinge kennen.

Allerlei Federvieh

Dort, wo Lorenz aufwuchs, forscht er später auch. Er heiratet Gretl, studiert Medizin, dann Zoologie in Wien - und wird ein unkonventioneller Wissenschaftler. Statt weißem Laborkittel trägt er lieber speckige Lederhosen, Wollweste und Gummistiefel. Das weitläufige Altenberger Anwesen verwandelt sich dabei Stück für Stück in einen privaten Zoo - mit Hunden, Katzen, Eichhörnchen, Fischen, Enten, Kormoranen, Adlern, Papageien, Raben, Krähen und anderem Federvieh. Ein Vogelkind hat es ihm dabei besonders angetan ...

Auf Schritt und Tritt

Neunundzwanzig Tage hat er über seinen Grauganseiern gewacht. Dann schlüpft ein Gänseküken: Martina. Lorenz ist das erste Lebewesen, mit dem das Federknäuel Kontakt hat. Lange schaut es ihn aus dunklen Augen an. Bis er eine Bewegung macht und es anspricht. Von Stund an ist es um Lorenz geschehen. Die kleine Martina hat ihn als Mama adoptiert. Auf Schritt und Tritt läuft sie ihm nach. Und schläft in einer elektrisch gewärmten Wiege neben seinem Bett. Immer wieder weckt sie den Naturforscher mit einem zaghaften "Wiwiwiwi - Hier bin ich, wo bist du?". Wenn Lorenz ihr dann auf gebrochenem Graugänsisch "Gangangang" antwortet, ist das kleine Gänsekind beruhigt.

Sensible Phase

Auf den ersten Blick mag dies alles art-untypisch wirken. Doch das Phänomen der Prägung wird von Konrad Lorenz eingehend untersucht. Der Tierpsychologe beobachtet, dass Küken kurz nach dem Schlüpfen das erste sich bewegende Objekt als Mutter annehmen und ihm die ganze Kindheit hindurch nachlaufen - eine irreversible Form des Lernens also. Die sozialen Beziehungen werden so in einer relativ kurzen, genetisch bestimmten Zeitspanne unwiderruflich festgelegt. Dabei muss die neue Mama nicht immer Gans, Ente oder Mensch sein. Prägung würde zum Beispiel auch bei rollenden Fußbällen funktionieren.

Eirollbewegung

Die kleine Martina wird zum wohl berühmtesten Gänsekind aller Zeiten. Lorenz macht mit dem piepsenden Federknäuel Versuche, die noch heute zu den Schlüsselexperimenten der Verhaltensforschung zählen. In den 1930er-Jahren entwickelt er mit seinem niederländischen Freund und Forscherkollegen Nikolaas Tinbergen die Instinkttheorie. Demnach wird das tierische Verhalten von Instinkten bestimmt. So holen brütende Graugänse ein aus dem Nest gerolltes Ei mit dem Schnabel wieder zurück - in einer für die Gänsemama typischen Bewegungsabfolge, Instinkthandlung genannt. Die ist dem Tier angeboren (genetisch bedingt) und muss nicht extra erlernt werden. Ausgelöst wird sie durch einen Schlüsselreiz - in diesem Fall der Anblick des aus dem Nest gekullerten Eies. Rutscht das Ei seitwärts weg oder wird es vom Forscher entfernt, läuft die Rückholbewegung auch ohne das Ei ab.

Instinkt im Wassertank

Erklärung der Instinkttheorie - zum Vergrößern auf die Lupe klicken.

Bei seinen Tierbeobachtungen stellt Lorenz fest, dass sich die Instinkttheorie mit dem Bild eines gefüllten Wassertanks vergleichen lässt. Er entwickelt im Jahr 1937 das "psychohydraulische Instinktmodell": Dabei zeigt der Wasserstand im Gefäß quasi die Motivation (innere Handlungsbereitschaft) eines Tieres an. Abfließen kann das Wasser (Instinkthandlung) erst, wenn ein Ablaufventil geöffnet wird (Schlüsselreiz). Je höher der Wasserstand, desto weniger Schlüsselreiz ist dazu nötig.

Leerlaufhandlung

Der Wasserstand (Handlungsbereitschaft) steigt im Tank, bis die zugehörige Instinkthandlung ausgelöst wird. Geschieht dies längere Zeit nicht, kann das Verhalten auch ohne nachweisbaren Schlüsselreiz ablaufen - buchstäblich ins Leere. Lorenz beobachtet dies bei einem von Hand gefütterten Star. Obwohl satt, fliegt der Vogel immer wieder auf und schnappt nach nicht vorhandenen Fliegen. Dazu führt er Schluckbewegungen durch. Lorenz nennt diese Instinkthandlung ohne Auslöser eine "Leerlaufhandlung". Heute gilt sein Instinktmodell freilich als überholt.

Eigenwillige Methoden

Sein halbzahmes Geflügel ermöglicht dem Naturforscher viele grundlegende Einsichten in tierische Verhaltensmuster. Lorenz setzt dabei weniger auf Laborversuche. Er beobachtet seine geliebten Gänse lieber unter halbwegs natürlichen Bedingungen, indem er sie in seine Nähe holt. Dies wird später nicht nur sein Schüler Wolfgang Wickler bemängeln. Aber Lorenz kann geradezu starrsinnig sein, wenn seine Methoden angezweifelt werden.

Geliebtes Federvieh

Konrad Lorenz und seine Graugänse

Lorenz dokumentiert das Verhalten seiner Graugänse nahezu lückenlos in einer Gänsekartei. Dabei findet er in deren Natur das vermeintlich vorbildliche Verhalten, dass er sich auch von seinesgleichen wünscht. Er ist überzeugt: Kaum ein Lebewesen ist in persönlicher Freundschaft, in ehelicher Treue und Untreue, im Verhalten zu Fremden und Bekannten, im Verhalten der Eltern zu den Kindern, so weitgehend analog zum Menschen, wie sein heißgeliebtes Federvieh. Dass dieses keineswegs monogam treu ist, kommentiert er mit den Worten "Gänse sind auch bloß Menschen".

Von Schweinen und Möpsen

Anfang des zweiten Weltkriegs verlagert Lorenz seine Forschungen auf "Ausfälle des Instinktverhaltens bei Haustieren". Und scheut nicht davor zurück, seine Erkenntnisse auf Großstadtmenschen zu übertragen. Er teilt sie in "voll- und minderwertige" ein und beklagt ihre "Verhausschweinung". Seiner Meinung nach führt das Großstadtleben zu genetischen Verfallserscheinungen und verkorkst auch das Verhalten - Genetik und Verhalten sind bei Lorenz letztlich eng miteinander verknüpft.

Der Gänsevater skizziert diesen Vergleich mit Mopskopf und Hängebauch und verlässt damit die vergleichende Verhaltensforschung. Ganz zeitgemäß betätigt er sich als Rassenkundler (Eugeniker). Sein Antrag auf Mitgliedschaft in die NSDAP wird später kontrovers diskutiert: War sein Verhalten nur opportunistisch, oder lässt sich in seinen Äußerungen gar rassistisches Gedankengut erkennen? Lorenz selbst hat sich über seine braune Vergangenheit nie öffentlich geäußert. Im Jahr 1940 wird er Professor für Psychologie an der Philosophischen Fakultät in Königsberg. Schon ein Jahr später muss er als Soldat zur Wehrmacht, dann als Heerespsychiater ins besetzte Polen. Von 1944 bis 1948 ist er in sowjetischer Gefangenschaft.

"Das sogenannte Böse"                    

Im Jahr 1949 gründet der Kriegsheimkehrer auf dem Altenberger Landsitz seiner Eltern das private "Institut für vergleichende Verhaltensforschung". 1958 entsteht in Seewiesen bei Starnberg das "Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie". Lorenz findet zunehmend Gefallen daran, populärwissenschaftliche Bücher zu schreiben. Im Jahr 1963 erscheint sein Bestseller über das angeborene Aggressionsverhalten bei Tier und Mensch. "Das sogenannte Böse" diene dem Fortbestand der Art. Mit seinen Ansichten trifft er - wenige Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg - den Nerv der Zeit.

Korallenriff im Wohnzimmer

Das Jahr 1973 wird schließlich zum Höhepunkt in Lorenz Karriere: Er bekommt mit Nikolaas Tinbergen und Karl von Frisch "für ihre Entdeckungen zur Organisation und Auslösung von individuellen und sozialen Verhaltensmustern" den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. Im selben Jahr tritt der 70-Jährige als Direktor des "Max-Planck-Instituts für Verhaltensphysiologie" zurück. Seinen Posten übergibt er an seinen Schüler und Kritiker Wolfgang Wickler, der das Institut bis 1999 leiten wird. Lorenz verbringt seine Zeit als Autor und ökologischer Moralprediger. Mit dem Nobelpreis-Geld erfüllt sich der Naturforscher noch einen lang gehegten Wunsch - ein riesiges Salzwasseraquarium. Am 27. Februar 1989 verstirbt Konrad Lorenz.


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