Bayern 2 - radioWissen


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Alles am Anfang?

Von: Volker Eklkofer / Sendung: Carola Zinner

Stand: 25.07.2016 | Archiv

Zerstörtes München nach 1945 | Bild: picture-alliance/dpa
GeschichteMS, RS, Gy

Ob Straßenzug oder Prachtbau: was in München aussieht wie im Laufe von Jahrhunderten entstanden, ist neu. Im Zweiten Weltkrieg zerstört, erhielt die einstige Residenzstadt der bayerischen Herrscher ihr historisches Gesicht zurück.

Städtebau nach 1945: Rekonstruktion oder architektonischer Neustart?

Der Zweite Weltkrieg markiert einen tiefen Einschnitt in die Bauentwicklung Deutschlands. Allein durch Angriffe alliierter Bomber werden 3,37 Millionen Wohnungen und zahlreiche Produktionsanlagen zerstört. Viele Städte liegen, als im Mai 1945 die Waffen ruhen, in Trümmern. Nach den Aufräumarbeiten gilt es, die Orte wieder aufzubauen. Doch wie soll man mit den Kriegsschäden umgehen?

Unter Architekten und Kommunalpolitikern tobt ein heftiger Streit. Radikale Alles-wird-neu-Propagandisten fordern neue Städte für eine neue Zeit. Sie verlangen die Abkehr von alten Stadtbildern und die Errichtung "aufgelockerter" Hochhaussiedlungen mit breiten Straßen für Autos. Traditionalisten raten dagegen zum Festhalten an historischen Stadträumen. Sie möchten den traumatisierten Menschen die Erinnerungsbilder zurückgeben, Gebäude originalgetreu errichten und den Städten ihre Alleinstellungsmerkmale erhalten.

So verläuft der Wiederaufbau abhängig von städtebaulichen Traditionen und politischer Gesinnung der Entscheidungsträger in Deutschland höchst unterschiedlich. Während im Osten flächendeckend an der "sozialistischen Stadt" gearbeitet wird, baut man im Westen vielfältig, manchmal überhastet und widersprüchlich. In Hannover und Kiel beispielsweise geben die Modernisierer den Ton an, in Nürnberg und München setzen sich die Verfechter der schonenden, an alten Stadtbildern orientierten Erneuerung durch.

München: Die Stadt soll ihren Charakter behalten!

München, Hitlers "Hauptstadt der Bewegung", hat während des Krieges unter dem Bombenhagel schwer gelitten. Von 60.600 Gebäuden haben nur 1.270 Häuser das Inferno unversehrt überstanden, die Altstadt ist weitgehend zerstört. Drei Männer stellen die Weichen für den Wiederaufbau: der Stadtbaurat Karl Meitinger sowie die Oberbürgermeister Karl Scharnagl (CSU, 1945-1948) und Thomas Wimmer (SPD, 1948-1960).

Meitinger, der bereits vor dem Krieg als Baubeamter tätig war, stellt der amerikanischen Militärregierung schon im August 1945 seine Pläne vor, die später unter dem Titel "Das neue München" veröffentlicht werden. Im Kern laufen sie darauf hinaus, Geist und Struktur des alten Münchens in die neue Zeit zu transferieren. Meitinger plädiert dafür, die Altstadt möglichst abbildgetreu zu rekonstruieren und sie vor Modernisierungsbestrebungen zu schützen. Gleichzeitig soll München für Neues geöffnet werden - aber nur außerhalb des Altstadtrings, also jenseits der einstigen Stadtbefestigung. Dort steht "Wolkenkratzern", Geschäfts- oder Parkhäusern nichts im Wege.

München orientiert sich an der Tradition

Wenngleich Karl Meitinger als ehemaliges NSDAP-Mitglied 1946 in den Ruhestand geschickt wird, sorgen die Oberbürgermeister Scharnagl und Wimmer für die Verwirklichung seiner Ideen. Bis in die späten 1940er Jahre werden in München noch Trümmer beseitigt, dann beginnt im Zuge von Währungsreform, Marshallplan und "Wirtschaftswunder" das große Bauen. München profitiert sogar von der deutschen Teilung, als der Elektronikkonzern Siemens 1949 seinen Hauptsitz von Berlin nach München verlegt.

Monumentalbauten wie die Residenz, ein Gebäudekomplex, den das Herrscherhaus der Wittelsbacher über Jahrhunderte gestaltete, und die großen Kirchen entstehen nach historischem Vorbild neu. In der Innenstadt ist Fassadenarchitektur ein Muss. Und es gelingt sogar, Rekonstruktion mit modernem Städtebau zu koppeln. Ein gelungenes Beispiel für das behutsame Einpassen neuer Architekturelemente ins Stadtbild ist das Justizgebäude in der Maxburg, ein "Glaspalast", der auf dem Gelände der zerstörten Herzog-Max-Burg errichtet wird.

München heute: Moderne Metropole mit "alten" Bauten und Plätzen

Als München zur Millionenstadt aufsteigt und 1958 den 800. Geburtstag feiert, sind die Bauarbeiten größtenteils abgeschlossen. Besucher, die die Fassaden der Innenstadt erblicken, haben den Eindruck, als hätte es die Bombardements mit 6.000 Toten und die trostlosen Trümmerfelder der Nachkriegsjahre nie gegeben.

München erhielt in den 1950er Jahren seine Identität zurück und gilt heute als eine der schönsten Städte Deutschlands. "Wiederaufbausünden" wie andernorts gab es nicht, vielmehr wurde ein Stadtbild geschaffen, wie es - vielleicht sogar idealisiert - in der Erinnerung der Menschen existierte. In dem Maße, in dem der der einstige Zauber Münchens wieder Einzug hielt, stieg die Verbundenheit der Münchner mit ihrer in den ersten Nachkriegsjahren schon verloren geglaubten Heimatstadt.

Um die "historische", streng geschützte Altstadt herum bekam München im Laufe der Jahre das Gesicht einer modernen Metropole - man denke etwa an das BMW-Hochhaus, den HVB-Tower oder die Olympiaanlagen. Durch die Verbindung von Rekonstruktion mit Zeitgenössischem wurde der Grundstein für den gegenwärtigen Weltruhm der bayerischen Landeshauptstadt gelegt.


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