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Die Familie Feuchtwanger Das Thema

Stand: 19.03.2012 | Archiv

Namensgebend für die Familie war der kleine fränkische Ort Feuchtwangen, aus dem die Vorfahren der Münchner Feuchtwangers im 16. Jahrhundert wie viele andere Juden vertrieben wurden. Sie flohen in die mittelfränkische Kleinstadt Fürth bei Nürnberg, die sich im Laufe des 16. Jahrhunderts zu einem florierenden Zentrum des süddeutschen Judentums entwickelte, da die rechtlichen und wirtschaftlichen Bedingungen für die Juden dort sehr günstig waren. Einige Generationen später zogen Fanny und Seligman Feuchtwanger hier in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihre 18 Kinder groß. Vier ihrer Söhne erkannten das wirtschaftliche Potential der aufstrebenden Residenzstadt München und übersiedelten nach ihrer jeweiligen Berufsausbildung in die schnell wachsende Stadt, um dort eigene Unternehmen zu gründen. Jakob L. und Moritz Feuchtwanger eröffneten so eine Bank, David und Elkan hatten eine unkonventionellere Idee und gründeten eine Margarinefabrik.

Aufbruch nach München

Dabei war es zu dieser Zeit gar nicht so einfach in München aufgenommen zu werden, beschränkte doch das sog. "Matrikelgesetz" den Zuzug von Juden erheblich. Das "Edikt, die Verhältnisse der jüdischen Glaubensgenossen im Königreiche Bayern betreffend" war 1813 vom bayerischen König Max I. Joseph erlassen worden. Er erkannte sie damit als bayerische Staatsbürger an, erweiterte ihre Berufsmöglichkeiten und verlieh ihnen das Recht der öffentlichen Religionsausübung. Die Zahl der durch Matrikelnummern in München zugelassenen jüdischen Familien betrug allerdings nur 61, und der Zuzug weiterer Familien war lediglich dann möglich, wenn eine Matrikelnummer durch Umzug oder Tod frei wurde. In Ausnahmefällen (die ab 1840 immer mehr zur Regel wurden) gestattete die Stadt jedoch eine "Ansässigmachung über die Zahl" wenn sie sich durch den Zuzug des Bewerbers positive Impulse für die Wirtschaft versprach. Dies war bei Jakob Löw Feuchtwanger anscheinend der Fall, denn er wurde 1850 "über die Zahl" aufgenommen, während Elkan 1852 eine reguläre Matrikelzahl erhielt und so Bürger der Stadt München wurde.

Jüdisch-orthodox und bayerisch-barock

Während sich ein großer Teil der jüdischen Bevölkerung in Deutschland mehr und mehr den Gepflogenheiten seiner Umgebung anpasste, lebten die Feuchtwangers streng nach den uralten Regeln, die die jüdische Glaubenslehre vorschrieb. Koscheres Essen wurde verzehrt (verbunden mit den jeweiligen Segenssprüchen), das Arbeitsverbot am Sabbat eingehalten und für die Kinder im heiratsfähigen Alter kamen nur Partner aus angesehenen jüdischen Familien in Frage. Die streng orthodoxe Einstellung der Feuchtwangers führte sogar zu Differenzen mit der jungen jüdischen Gemeinde in München, denn diese war Neuerungen gegenüber sehr aufgeschlossen und ließ zum Beispiel Männer und Frauen in der Synagoge nebeneinander sitzen, was früher undenkbar gewesen war. So kam es, dass die erste Generation der Münchner Feuchtwangers gemeinsam mit ein paar anderen orthodoxen Familien eine Art Untergemeinde, den O'hel Jakob Synagogenverein im Stadtteil Lehel gründete, und diesen auch finanzierte.

Gleichzeitig waren die bayerischen Traditionen in der Familie sehr lebendig, man sprach Münchner Mundart, liebte Berge und Bier und ging aufs Oktoberfest. Angelo Feuchtwanger, ein Onkel von Lion war als bayerisches Urgestein bekannt, der nach dem fast täglichen Synagogenbesuch meist im Hofbräuhaus einkehrte. Falls dies auf einen Sabbat fiel, ließ er eben anschreiben (denn der Umgang mit Geld ist am Sabbat nicht erlaubt) und bezahlte die Rechnung im Laufe der nächsten Woche. Sehr unverkrampft fiel auch der Umgang mit Nachbarskindern und Schulfreunden aus und wie alle anderen Münchner ging man gerne ins Museum und Theater oder fuhr in die Sommerfrische an den Starnberger See.

Alles in allem versuchten die Feuchtwangers ihre jüdischen Traditionen zu bewahren, aber dabei nicht aufzufallen (etwa durch Zurschaustellung ihres Reichtums). Dass sie mit der christlichen bayerischen Bevölkerung so gut harmonierten lag sicher an der damals noch sehr verbreiteten, stark ausgeprägten Volksfrömmigkeit, wodurch andersgläubige fromme Menschen viel leichter akzeptiert wurden als Nicht-Gläubige.

Der Schriftsteller Lion Feuchtwanger

Lion Feuchtwanger

In diesem religiös geprägten und auch sehr bayerischen Umfeld wuchs nun also der bekannteste Spross der Familie, Lion Feuchtwanger, auf. Der orthodoxen und urkonservativen Haltung seines Großvaters Elkan und des Vaters Sigmund konnte er nicht mehr viel abgewinnen und entschied sich für ein Leben in eher ärmlichen Verhältnissen innerhalb der Schwabinger Bohème, ohne jedoch den Kontakt zu seiner Familie zu verlieren. Er versuchte, sich als Theaterkritiker und Dramatiker über Wasser zu halten, bis er 1923 seinen ersten erfolgreichen Roman "Die hässliche Herzogin Margarete Maultasch" herausbrachte. 1925 ging er mit seiner Frau nach Berlin, tauschte sich dort viel mit anderen Autoren wie z.B. Bert Brecht aus und schrieb den zeitkritischen Roman "Erfolg", der von vielen als Schlüsselroman über die frühen Umtriebe Hitlers verstanden wurde.

Bald bezeichneten ihn die Nazis als "Literaturfekel" und setzten ihn ganz oben auf ihre "Ausbürgerungsliste" was ihn zu einer frühzeitigen Emigration 1933 bewog. Wie man aus seinen Werken ersehen kann, stand er dem Judentum und dem konservativen Umfeld München zwar sehr kritisch gegenüber, konnte sich aber weder von der jüdischen Thematik, noch von seiner Heimatstadt je wirklich lösen und pflegte auch noch in seinem kalifornischen Exil die bayerische Mundart.

Unruhige Zeiten

Lion war in seiner Generation der Feuchtwangers nicht der einzige, der Schwierigkeiten mit der der althergebrachten, konservativen Haltung seiner Familie hatte. Auch sein Vetter Franz (ein Enkel von David, dem Margarinefabrikanten) stand seinem Umfeld sehr kritisch gegenüber und begann sich schon in sehr jungen Jahren für den Kommunismus zu interessieren, was seinem patriotisch-monarchistisch eingestellten Vater Max natürlich gar nicht gefiel. Die Unruhen nach dem Ersten Weltkrieg gipfelten in der Novemberrevolution und kosteten Kurt Eisner und einige andere Politiker im gerade erst entstandenen "Freistaat Bayern" das Leben oder zumindest die Freiheit. Von diesem Zeitpunkt an veränderte sich die Stimmung im einst so liberalen München zusehends und es wurde zu einer Art Gegenpol zum "roten" Berlin. Die Angst der Bevölkerung vor einer Räterepublik nach russischem Vorbild saß tief und gab antisemitischen Tendenzen Nahrung. So wurde im Januar 1919 von einem Unbekannten namens Harrer die NSDAP gegründet, deren Vorsitz nach dreieinhalb Jahren Adolf Hitler übernahm.

Judenfeindliche Aussagen oder Handlungen einzelner hatte es immer gegeben, aber nun begann die Stimmung eisig zu werden, was auch die Feuchtwangers wahrnahmen. Für Franz Feuchtwanger lag die Konsequenz darin, nach Berlin zu gehen und geheimer Mitarbeiter der kommunistischen Partei zu werden. Glücklicherweise nahm auch der Rest der Familie die unguten politischen Entwicklungen in Deutschland rechtzeitig ernst, so dass der Großteil der Feuchtwanger-Nachkommen zwischen 1933 und 1936 (zumeist nach Palästina/Israel) auswanderte. Dies war zwar gerade für die in Bayern so stark verwurzelte Familie ein sehr dramatischer Schritt, doch ihre Familienverbundenheit und ihre starke Verankerung im jüdischen Glauben machten es ihnen auch wieder leichter in der neuen Heimat Israel ihr wahres Zuhause zu sehen.


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