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Mündigkeit statt Maulkorb: Das Ende der Zensur

Zensur in der Literatur Mündigkeit statt Maulkorb: Das Ende der Zensur

Stand: 24.01.2017

Klassischer Richterhammer aus Holz | Bild: picture-alliance/dpa

Mit den Freiheitsgarantien des Grundgesetzes ist die staatliche Beschränkung der freien Meinungsäußerung erstmals völlig unmöglich geworden: "Eine Zensur findet nicht statt", und damit basta. Aber was heißt das? Dass alles erlaubt ist? Dass jede und jeder schreiben, sagen, behaupten, lügen und ausposaunen darf, was auch immer ihr oder ihm gerade einfällt? Dass alles, was aus Hirn und Herz oder sonst woher zur Äußerung drängt, erlaubt ist? Im Prinzip ja. Es gibt in der Bundesrepublik keine einzige staatliche Stelle, die Zensur ausüben dürfte. Es gibt kein einziges religiöses oder politisches Gremium, das eine Meinungsäußerung präventiv und aktiv kontrollieren oder verbieten könnte. Niemand, sei er Künstler, Gelehrter, Autor, Filmemacher oder schlichter Bürger, muss sich eine Meinungsäußerung von einer Zensurbehörde vorab genehmigen und gegebenenfalls zurechtstutzen lassen. Es gibt auch kein Organ der Legislative oder Exekutive, das eine Nachzensur ausüben kann oder könnte.

Das letzte Wort hat der Richter, nicht der Zensor

Trotzdem ist noch lange nicht alles erlaubt und schon gar nicht alles rechtens. Auch die Freiheit hat Grenzen. Und die sind ebenfalls durch Artikel 5 des Grundgesetzes gezogen: "Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre." Damit ist alles gesagt. Das Verbot einer Publikation, eines Bildes oder einer sonstigen Äußerung, kann also nie durch eine staatliche, politische oder andere Institution erfolgen. Dazu ist immer und ausschließlich ein öffentliches, an Gesetz, Prozessordnung und Rechtsweg gebundenes Gerichtsverfahren erforderlich. Bevor ein richterliches Urteil eine Meinungsäußerung untersagt oder sogar ahndet, muss das Gericht in jedem einzelnen Fall minutiös prüfen, was schwerer wiegt: Der Schutz der Meinungsfreiheit oder der Schutz des Einzelnen beziehungsweise der Schutz der Jugend oder ein durch die allgemeinen Gesetze geschütztes Rechtsgut.

Eine Meinungsäußerung kann also durchaus im Nachhinein gerichtlich verboten werden, wenn sie einen anderen Menschen oder die Gesellschaft schädigt. Nicht durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt und möglicherweise strafbar sind daher beispielsweise Verletzungen der persönlichen Ehre durch Beleidigung, üble Nachrede oder Verleumdung. Nicht durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sind auch volksverhetzende, gewaltverherrlichende und beleidigende Äußerungen, die bestimmte Menschen und Gruppen persönlich diffamieren.

Erlaubt ist auch, was nicht gefällt

Andererseits deckt das Grundgesetz auch widerwärtige, herabsetzende oder ausländerfeindliche Äußerungen, die zwar öffentlichen Abscheu hervorrufen, aber von der Allgemeinheit hinzunehmen sind. Dabei geht es stets um schwierige, brisante Einzelabwägungen: was ist noch eine freie Meinungsäußerung oder ein Ausdruck der künstlerischen Freiheit, wo beginnt die strafbare Handlung? Die Entscheidungen der Gerichte sind langwierig, hochkomplex und für den juristischen Laien nicht immer nachvollziehbar. Aber es sind eben juristische und keine politischen, religiösen oder willkürlichen Entscheidungen. Obendrein muss kein Betroffener ein solches Urteil unwidersprochen hinnehmen. Der Rechts- und Instanzenweg steht jedem offen. Von Zensur im klassischen Sinn kann also auch dann nicht die Rede sein, wenn eine Meinungsäußerung verboten wird. Und das ist gut so.

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