Bayern 2 - radioWissen


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Das Genie am Hofe

Von: Jens Berger / Sendung: Miriam Stumpfe

Stand: 03.08.2015 | Archiv

Literatur und MusikMS, RS, Gy

Zu Lebzeiten der berühmteste Komponist Europas, starb er reich an Ehren, Geld und Einfluss auf die Musikgeschichte. Dennoch steht Joseph Haydn heute im Schatten seiner Freunde Mozart und Beethoven. Zeit für eine Neubewertung?

Glück oder Lebenskunst?

So kennt man es eigentlich nicht von bedeutenden Komponisten. Oft sterben sie zu früh (Mozart), bleiben zu Lebzeiten verkannt (Schubert) und finanziell wenig erfolgreich (Johann Sebastian Bach) oder waren schlicht nicht gerade die umgänglichsten Zeitgenossen (Wagner). Haydn hingegen schien das Glück auf allen Fronten beschieden. Sein einnehmendes Wesen und seine bis ins hohe Alter nicht nachlassende kreative Kraft bescherten ihm künstlerischen Erfolg und machten ihn bei Untergebenen wie Vorgesetzten so beliebt, dass man ihm auch seine häufigen Scherze nicht krumm nahm.

Dabei sind seine Anfänge ganz bescheiden: Nach der Ausbildung als Chorknabe am Wiener Stephansdom findet Joseph Haydn bald Anstellung als Hofmusiker in adligen Diensten. Sicherheit ging hier vor Verdienstmöglichkeit. Bei seinen letzten Herren, dem Haus Esterházy, bleibt er für drei Jahrzehnte, zunächst in Eisenstadt, dann auf dem neuerrichteten Schloss Esterháza.

Ein Schloss als Musiklabor

Heute würden Immobilienmakler die Nase rümpfen. Wer nach der Maxime "Lage, Lage, Lage!" geht, müsste dem Schloss viele Punkte abziehen, liegt es doch im kulturellen Abseits einer Sumpflandschaft am Neusiedler See. Doch Fürst Nikolaus hält mit ungewöhnlicher Pracht dagegen. Und so hat auch der Kapellmeister viel zu tun: Neben der Musik für große Festlichkeiten gilt es, die hauseigene Oper und das Marionettentheater zu versorgen - von den regelmäßigen Konzerten, Gottesdiensten und den Kammermusikstunden mit dem Fürsten ganz zu schweigen.

Das Leben auf dem Schloss bietet aber auch Nachteile. Anstelle der Wiener Leckereien gibt es Personalverpflegung. Kleiderordnung und Dienstzeitvorschriften regeln den Alltag, anregende Kontakte bleiben die Ausnahme. Doch in dieser Beschränkung findet Haydn seine Chance, die Musik voranzubringen.

Avantgarde im 18. Jahrhundert hieß: original werden

"Ich konnte als Chef eines Orchesters Versuche machen, beobachten, was den Eindruck hervorbringt, und was ihn schwächt, also verbessern, zusetzen, wegschneiden, wagen; ich war von der Welt abgesondert, niemand in meiner Nähe konnte mich an mir selbst irre machen und quälen, und so musste ich original werden."

Vor allem in den Streichquartetten und Sinfonien entwickelt er die Gattungen weiter, schärft deren Profil und musikalische Aussagekraft und macht so nach und nach der Oper die Vormachtstellung streitig. Seine Werke verbreiten sich derweil in ganz Europa. Die Anhängerschaft wächst; Kompositionsaufträge treffen ein. Dass er immer noch als livrierter Hausangestellter in der Provinz seine Tage fristet, stößt auf revolutionäres Unverständnis, das in dem Aufruf einer Zeitung gipfelt, ihn heimlich aus Esterháza zu entführen.

Ein Paukenschlag in London

Der Gewaltakt bleibt ihm erspart: Nachdem Fürst Nikolaus 1790 starb und der neue Prinz die Zügel lockert, kann ein umtriebiger Impressario Haydn überzeugen, zumindest vorübergehend nach London zu kommen. Hier gibt es bereits ein ausgeprägtes bürgerliches Musikleben mit Konzertagenturen, Liebhabervereinen, Abonnementreihen und Chorfesten. Als Haydn eintrifft, überwältigt ihn die entgegenströmende Sympathie. Aber jetzt sieht er sich auch Konkurrenz gegenüber, muss kreativ werden und auf die Wünsche des Publikums eingehen - was ihm nicht schwerfällt, sondern ihn reizt. Er revanchiert sich mit geistreichen Sinfonien.

Insgesamt hält sich Haydn, in mehreren Etappen, für drei höchst produktive Jahre in London auf. Die Arbeit mit den dortigen Orchestern nutzt er, um noch einmal seinen Instrumentierstil, seinen Orchesterklang weiterzuentwickeln.

Im Alter will er dann jedoch den erarbeiteten Reichtum und die Vorzüge Wiens genießen, die ihm im Dienst der Esterházys verschlossen blieben. Dass ihm hier seine beiden größten Würfe, die "Schöpfung" und die "Jahreszeiten", sogar noch bevorstehen, hätten wohl nur die treuesten Anhänger erhofft. So wird schließlich aus dem verehrten Komponisten nahezu ein Heiliger der Musik. Dass er heute meist zunächst mit der Musik der deutschen Nationalhymne in Verbindung gebracht wird, dürfte ihn vielleicht sogar freuen. In seinen letzten Jahren, als die Krankheit schon spürbar wurde, setzte sich Haydn gerne an den Flügel und spielte zur Beruhigung seine "Kaiserhymne".


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