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E.T.A. Hoffmann: Zwischen den Stühlen Das Thema

Stand: 10.07.2007 | Archiv

Die Grabstelle von E.T.W. Hoffmann (1776-1822) auf dem Friedhof am Halleschen Tor im Berliner Stadtteil Kreuzberg. Hoffmann war zu Lebzeiten ein riesiger Fan Mozarts, weshalb er seinen dritten Vornamen stets als Amadeus (E.T.A.) angab. | Bild: picture-alliance/dpa

"O weh, ich werde immer mehr zum Regierungsrat! Wer hätte das gedacht vor drei Jahren! Die Muse entflieht, der Aktenstaub macht die Aussicht finster und trübe ... Wo sind meine Vorsätze hin, wo meine schönen Pläne für die Kunst?": Was E.T.A. Hoffmann 1803 in sein Tagebuch notiert, wirkt wie eine Kurzfassung seines Lebenskonfliktes und der Situation vieler Bürger-Künstler nach ihm. Berufen zu Höherem, und gezwungen, sein Brot auf prosaische Weise zu verdienen, verlangen diese Biografien ein Höchstmaß an Disziplin - und verbrauchen die Lebensenergie wie eine Kerze, die an zwei Enden brennt.

Der Künstler als Kind

Schon in der Kindheit standen die Zeichen von Ernst Theodor Wilhelm Hoffmans Leben auf Sturm: Der Vater ein fantasievoller Jurist und musikalischer Säufer, die Mutter eine verbitterte Pedantin. Als sich die Eltern trennen, bleibt Ernst bei der Mutter, die sich gemeinsam mit Ernsts Onkel und der Großmutter um die Erziehung kümmert. Rückblickend bezeichnet Hoffmann seine Kindheit als "dürre Heide", aus der er sich in Fantasiewelten flüchtet. Die schaurige Untermalung dazu liefern die Schreie einer Wahnsinnigen, die im gleichen Haus wohnt: die Mutter des Dichters Zacharias Werner, die ihren Sohn für die Reinkarnation Jesu Christi hält. Trost findet Hoffmann in der Musik – sein Zeitgenosse Julius Eduard Hitzig schreibt einige Jahre später, dass er in unvergleichlicher Weise die Musik Mozarts zu dirigieren und zu beschreiben weiß (später tauscht Hoffmann seinen dritten Vornamen Wilhelm aus Verehrung für Mozart gegen Amadeus). Neben seiner Tante Johanna Sophie Doerffer und dem Schulfreund Theodor Hippel scheint nur ein Lehrer eine positive Erscheinung im Leben des jungen Hoffmann gewesen zu sein: Er erkennt die Begabung seines Zöglings, der  bereits mit 16 Jahren das Studium der Rechte in Königsberg aufnehmen kann.

Gescheiterte Liebschaften

Die Reihe der vergeblichen Verhältnisse in Hoffmanns Leben eröffnet Dora Hatt. Die verheiratete Frau und Mutter von fünf Kindern ist neun Jahre älter als Hoffmann und nimmt bei ihm Musikunterricht. Der junge Jurastudent verliebt sich unsterblich und lässt sich weder von der Geburt eines sechsten Kindes noch von einem Nebenbuhler schrecken. Erst als sie sich mit einem Lehrer vermählt, verlässt Hoffmann auf Zureden Theodor Hippels Königsberg und Dora und legt sein zweites Staatsexamen in Glogau ab. Mit Bestnoten ausgezeichnet darf er den Ort seines Referendariats selbst wählen und entscheidet sich für Berlin. Von dort führt ihn eine Assessorenstelle nach Posen. In der verschlafenen preußischen Provinzstadt lernt er Maria Thekla Michalina Rorer kennen und heiratet sie 1802. Seine gutmütige "Micha" bleibt ihm 20 Jahre selbst durch Zeiten bitterer materieller Not treu - entfesselt aber vermutlich keine große Leidenschaft. Die erwacht erst wieder 1809/10, als sich Hoffmann in seine Gesangsschülerin Julia Marc verliebt, so heftig, dass ihre Eltern die erst 13-jährige Julia schnellstmöglich woanders unter die Haube bringen. Eines seiner Verhältnisse bringt Hoffmann eine Syphillis ein, an deren Spätfolgen er am 25. Juni 1822 stirbt.

Krisen und Konflikte

Aber auch abgesehen von seinen Schwärmereien gerät Hoffmann oft genug in schwierige Situationen. Den Anfang machen einige Karikaturen, die der Gerichtsassessor in Posen von der besseren Gesellschaft anfertigt. Sie kursieren auf einem Karnevalsball und belustigen so lange, bis sich einige Dargestellte wieder erkennen. Zwar kommt nie ans Licht, von wem die Zeichnungen stammen, es wird aber vermutet, dass sie aus der Gruppe jener jungen Gerichtsmitarbeiter stammen, die von der Feier ausgeschlossen waren. Hoffmann gehörte auch dazu. Seine Promotion wird annulliert, er selbst nach Plotzk ins tiefste Ostpreußen strafversetzt. Erst nach zwei Jahren erwirken seine Freunde den Umzug nach Warschau.

Weitere Kreise als die Posener Karikaturen zieht die so genannte Knarrpanti-Affäre. In der Erzählung "Meister Floh" lässt Hoffmann einen Fürsten durch seinen Geheimen Hofrat Knarrpanti sagen: "Das Denken sei an und vor sich selbst schon eine gefährliche Operation und würde bei gefährlichen Menschen eben desto gefährlicher." Auch der Satz "dass, sei erst der Verbrecher ausgemittelt, sich das begangene Verbrechen von selbst finde" brachte den preußischen Obrigkeitsstaat und insbesondere den parodierten Karl Albert von Kamptz, Direktor der Polizeiabteilung im Innenministerium, in Aufruhr.

Beruf und Berufung

Eine Wende in Hoffmanns Leben ist der Wechsel von Warschau nach Bamberg 1806/07. Nötig wird der Umzug nach dem Sieg der Franzosen über Preußen: alle Staatsangestellten werden vor die Alternative gestellt, entweder Napoléon den Huldigungseid zu leisten oder binnen einer Woche die Stadt zu verlassen. Hoffmann entscheidet sich für die Abreise und dafür, vorerst nicht mehr in ein Amt zurückzukehren. Stattdessen nimmt er ein Engagement als Kappellmeister in Bamberg an. Doch der Sprung in eine rein künstlerische Existenz gelingt nur schlecht: Der Musikdirektor wird das Opfer von Intrigen, und das Theater muss bald Konkurs anmelden.

Das Gemälde zeigt E.T.A. Hoffmann (r) und seinen Zechkumpanen, den Schauspieler Ludwig Devrient, im Weinkeller von Lutter und Wegner in Berlin.

Hoffmann hält sich mit Musikunterricht und Zeitungsbeiträgen nur knapp über Wasser und erlebt die "böseste aller Zeiten". Zwar erreicht seine Erzählung "Ritter Gluck" über den Komponisten Christoph Willibald Gluck einen Achtungserfolg, aber die finanzielle Anerkennung bleibt aus. Daran ändert auch ein Wechsel nach Dresden als Musikdirektor wenig – erst der Sieg Preußens über Napoléon ermöglicht Hoffmann wieder den Eintritt in den Staatsdienst, zunächst allerdings ohne feste Besoldung. Endgültig zurückgekehrt nach Berlin kann Hoffmann in den Jahren 1814-16 immerhin von seinen Veröffentlichungen leben: "Der goldene Topf" festigte seinen Ruf als Schriftsteller, und die Oper "Undine" wird mit großem Erfolg aufgeführt, bis sie mitsamt allen Requisiten und dem ganzen Schauspielhaus abbrennt.

Hatte Hoffmann während seines Studiums noch Zweifel gehegt ("Ich muss mich zwingen, ein Jurist zu werden. Wenn ich von mir selbst abhinge, würd´ ich Komponist und hätte die Hoffnung, in meinem Fache groß zu werden, da ich in dem jetzt gewählten ewig ein Stümper bleiben werde.“), gelang ihm die Trennung von Broterwerb und künstlerischer Arbeit doch bestens. Die guten Beurteilungen als Staatsdiener belegen das. Auch hätte er kaum nach zehn Jahren Abstinenz vom Gericht 1816 eine Anstellung als Kammergerichtsrat erhalten, wenn er nicht ein sehr fähiger Jurist gewesen wäre. Den Kontakt zum Justizministerium hatte sein Jugendfreund Theodor Hippel vermittelt, der E.T.A. Hoffmann immer wieder finanziell unterstützte. Nach vielen Jahren materieller Not hatte Hoffmann also endlich feste Bezüge, noch dazu musste er nur drei Tage in der Woche am Kammergericht erscheinen. Seine Produktivität nimmt in diesen Berliner Jahren stark zu, Hoffmann vollendet u.a. die "Nachtstücke", "Die Elixiere des Teufels", "Klein Zaches genannt Zinnober", "Der Sandmann", "Das Fräulein von Scuderi" und die Bildungsroman-Parodie "Lebensansichten des Katers Murr". Sein Doppelleben als Künstler und Kammergerichtsrat, reichlicher Alkoholgenuss und viele Krankheiten zehren an Hoffmanns schwacher Konstitution und verbrauchen seine Kräfte. Er stirbt im Juni 1822, 46 Jahre alt.


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