Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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29. Mai 1913 Uraufführung von Strawinskys "Le sacre du printemps"

Eine Revolution. Ein Skandal, ausgebuht bei der Uraufführung. Und der Beginn der Moderne im klassischen Tanz: Igor Strawinskys "Le Sacre du Printemps". Autor: Frank Halbach

Stand: 29.05.2017 | Archiv

29 Mai

Montag, 29. Mai 2017

Autor(in): Frank Halbach

Sprecher(in): Krista Posch

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Petra Herrmann

Ist das Kunst? Oder kann das weg? Eine Installation aus Papierschlangen, Konfetti und Champagnerflaschen in Bozen - von den Reinigungsfachkräften als Partymüll eingestuft … und aufgeräumt. Joseph Beuys‘ berühmte Fettecke aus fünf Kilo Butter vom Hausmeister der Kunstakademie Düsseldorf – weggeputzt. Und auch wenn man vorher sagt: "Hört mal, das ist Kunst", hilft das nicht immer.

(singt) BammBammBammBamm

Ein Verbrechen gegen die Anmut

"Ich bin angeklagt, ein Verbrechen gegen die Anmut begangen zu haben", klagte der Choreograph Vaslav Nijinsky. Anmut! Um was anderes sollte es denn gehen im Tanz, gerade in Paris, der Hauptstadt des Romantischen Balletts, wo sie schon ein Jahrhundert schwebten, Prima-Ballerinen, schwerelos, völlig losgelöst, in weißen Tutus, fragil, ätherisch, begehrenswert… Und dann das!

(singt) BammBammBammBamm

Nijinskys Choreographie zu Igor Strawinskys Komposition "Le Sacre du Printemps" - "Das Frühlingsopfer", uraufgeführt am 29. Mai 1913 im Théâtre des Champs-Élysées. Was machen die denn da? Die Tänzerinnen… einwärts gedrehte Beine, vorgeschobene Schultern, der ganze Körper zittert, sie stampfen, gehen, schlurfen, fallen… statt Tutus wadenlange Kittel… und diese "Musik"…!

(singt) BammBammBammBamm

...die hat überhaupt keine Melodie. Nur Rhythmus. Ach was, ein Chaos aus vielen Rhythmen! Ein Skandal. Ein Verbrechen! Aber nicht in Paris. Das kann nicht, das muss weg! Die Russen wussten wohl nicht, höhnt die Kritik, "dass die Franzosen ohne weiteres anfangen zu protestieren, wenn die Dummheit ihren Tiefstpunkt erreicht hat."

Auferstehung

Sollten nicht gerade Franzosen etwas mit einer Revolution anfangen können? Denn eine Revolution war "Le Sacre du Printemps".

"Im Sacre du Printemps wollte ich die leuchtende Auferstehung der Natur schildern, die Auferstehung der ganzen Welt.", sagte Strawinsky. In seiner Wirkung war "Le Sacre" mehr eine Geburt als eine Auferstehung: Die Geburt der Moderne des klassischen Tanzes. Und als solche erlebte "Le Sacre" dann eben doch so manche Auferstehung – in vielen folgenden Aufführungen nach der ausgebuhten Premiere.

Auferstehungen, wie man sie avantgardistischer Kunst eben wünschen sollte - wie der aufgeräumten Bozener Installation aus Luftschlangen, Konfetti und leeren Flaschen. Gottseidank gab es dort schnell Anlass zur Hoffnung: Denn auch in Italien wird Mülltrennung mittlerweile groß geschrieben. Deshalb sortierten die Putzkräfte den vermeintlichen Abfall brav nach Papier und Glas - das sollte den Wiederaufbau des Kunstwerks sehr vereinfachen, meinten die Kuratoren. Der Vorfall in Bozen zeigt aber auch, dass man aufpassen sollte, wem man moderne Kunst in die Hand gibt - sonst ist sie weg.

Auch hier mag Igor Strawinsky ein Beispiel geben: Er schenkte den Klavierauszug von "Le Sacre", zehn Tage nach der Uraufführung, Claude Debussy - mit dem Vermerk: "Meinem sehr lieben Freund zur Erinnerung an die Schlacht vom 29. Mai 1913".

(singt) BammBammBammBamm


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