Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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28. September 1964 Der nichtssagende Komiker Harpo Marx stirbt

Ein Blick sagt mehr als tausend Worte. Schon, komisch nur, wenn solche schweigenden Blicke permanent von einem Mann kommen, der eigentlich bekannt ist für sein komisches Redetalent: Harpo Marx. Autorin: Astrid Mayerle

Stand: 28.09.2016 | Archiv

28 September

Mittwoch, 28. September 2016

Autor(in): Astrid Mayerle

Sprecher(in): Caroline Ebner

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Der Schweiger - so meint der Gemeinplatz - habe es im Leben besonders schwer, vor allem beruflich. Vorbestimmt sei ihm nicht einmal eine knickende Karriere, bestenfalls ein gemäßigter Langstreckenlauf in einer unaufgeregten Profession. Denn nie könne der Schweiger in großen Räumlichkeiten etwa im Bundestag das Wort an sich reißen oder drohend aus sich herausschleudern. Ebenso werde er im Privaten auf Schwierigkeiten stoßen, wenn er etwa zur Wiesenzeit in der Warteschlange eines Fahrgeschäfts, im Widerstreit der Jingles und Hupen seine Stimme erheben soll, um eine Handvoll Chips zu erstehen.

Schweigen ist Gold

Wer den Schweiger so sehen mag, wird ihn nie verstehen, denn er verfügt über besondere Begabungen. Diese offenbaren sich zum Beispiel im Kreis seiner Freunde: Der Schweiger befindet sich in der komfortablen Position, das Gespräch als eine Art Konzert genießen zu dürfen. Er kann sich ebenso auf das Anschwellen der Stimmen, erregte Einfälle und dramatische Pausen konzentrieren wie auf den Härtegrad der Rückenlehne, die Passform seiner Schuhe, den Luftzug oder die Dimmung des Lichts. Besonders in einer großen erhitzen Runde von Freunden kann diese Art genussvoller Passivität von Vorteil sein. Vor allem, wenn die Gesprächspartner drohen ausfallend zu werden oder ins Belanglose abzudriften. Der Schweiger genügt sich dann völlig selbst.

Stille Wasser sind tief

Wobei man unterscheiden sollte: Jene Schweiger, die charakterlich für diesen Zustand disponiert sind, und jene, die das Nichtreden als Ausnahmezustand zelebrieren. Letztere haben die Wahl, denn die Amplituden ihres Temperaments lassen beides zu: selbst Redeergüsse zu erzeugen, aber auch genügsam in passiver Anwesenheit zu schwelgen. Wenn jemand, der den ungebrochenen Redefluss verkörperte, wie etwa der Moderator Roger Willemsen, gleichsam ein Schweigegespräch führt, also etwa in einer Diskussionsrunde nur die anderen erzählen lässt, erscheint dies wie ein Kunstgriff.

Dagegen jemand, der generell die Rolle des Minimalkommunikators und Stillsitzenkönners beansprucht, wird vom Kreis seiner Freunde gern auch in dieser Zurückhaltung akzeptiert. So etwa der US-amerikanische Komiker Harpo Marx, der zweitälteste der fünf Marx Brothers. Er besuchte den legendären Round Table des Algonquin Hotels in Manhattan, traf sich dort mit der Theaterkritikerin Dorothy Parker und Harold Ross, dem Gründer der Zeitschrift "New Yorker". Zu Bestzeiten versammelten sich ein Dutzend Persönlichkeiten des literarischen Lebens zum Lunch, trällerten die neuesten Broadwayhits und fetzten sich über die jüngsten Theater-Inszenierungen. Der Round Table zog vor allem schrille, meinungsstarke, Extremexzentriker mit hohem Alkohlkonsum an. Harpo Marx war eher eine Art Gegenpol in und zu dieser Gesellschaft.

Seine Rolle am Algonquin Round Table beschrieb er einmal in folgender Weise: Niemand hat wohl erwartet, dass er etwas sagte, denn er brachte in die Runde ein anderes Talent ein: Die Fähigkeit einfach nur still dazusitzen und zuzuhören.

Der nichtssagende Harpo war mit dieser Rolle und mit sich völlig im Einklang. Das Ausnahmetalent starb am 28. September 1964.


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