Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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27. August 1770 Hegel erblickt das Licht der Welt

Er gehört zu den ganz Großen und auch zu den meist Unbegreiflichen, denn seine Wortkaskaden passen zwar zwischen Buchdeckel, aber nur schwer in Gehirnwindungen. Macht nichts, phänomenal, dass es ihn gibt, seit dem 27. August 1770: Georg Wilhelm Friedrich Hegel.

Stand: 27.08.2013 | Archiv

27 August

Dienstag, 27. August 2013

Autor(in): Herbert Becker

Sprecher(in): Andreas Wimberger

Illustration: Angela Smets

Redaktion: Petra Herrmann

Es heißt gelegentlich, die Kunst der Konversation stürbe aus. Das wäre schade, und deshalb möchten wir mit ein paar Tipps zu ihrem Erhalt beitragen.

Nun gibt es ja verschiedene Arten der Konversation. Da ist einmal diejenige, die von den Gesprächspartnern solide Sachkenntnisse verlangt. Wenn es, sagen wir, um die Chancen des FC Bayern in der kommenden Bundesligasaison geht, und Sie kennen den Namen des Trainers nicht, dann ist Hopfen und Malz von vorn herein verloren.

Leichter wird es schon, wo politische oder wirtschaftliche Themen zur Debatte stehen. Eine halbe Stunde Plasberg oder Will geschaut, und Sie können dezidiert Meinungen äußern. Besonders kompetent wirkt, wer ständig gewisse Attribute verwendet - etwa durchgehend von der "so genannten" Klimadebatte spricht oder den Chef der Wirtschaftsweisen als "angeblichen" Sachverständigen bezeichnet.

small talk und Literatur

Noch besser können Sie sich darstellen, wenn es um Literatur geht. Machen Sie einfach einen der Großen runter. Behaupten Sie zum Beispiel, Thomas Mann sei weit überschätzt. Kein Mensch wird wagen, Ihnen zu widersprechen! Das Äußerste, was passiert, ist, dass man Sie fragt, wen Sie denn gut finden. Dann nennen Sie einen eher unbekannten Namen. Nehmen wir Max Brod. Einigen wenigen ist er als Nachlassverwalter von Franz Kafka ein Begriff - Sie aber schwärmen von seinem literarischen Werk. Zu kennen brauchen Sie es selbstredend nicht. Allerdings: Shakespeare runter zu machen ist keine gute Idee. Ihn "meinen Shakespeare" zu nennen, ist veraltet, und die Zeile "Shall I compare thee to a summer´s day" ist zu vielen geläufig. Wenn Sie wirklich meinen, sie zitieren zu müssen, dann verweisen Sie unbedingt darauf, wie problematisch es ist, dieses für uns durchaus eingängige Bild ins Farsi zu übertragen, weil schließlich bei den Persern - klimabedingt - so gut wie jeder Tag eine Art Sommertag ist.

small talk und Hegels Geburtstag

Am allerbesten ist es, Sie verlegen sich gleich auf die Philosophie. Das ist die Königsdisziplin.

Üben Sie das Wort "Phänomenologie" so gut ein, dass Sie es auch nach paar Gläsern Prosecco noch flüssig sagen können: Phä´o´e´olo´ie. Das klappt deshalb so sicher, weil die "Phänomenologie des Geistes" von Hegel nun wirklich überhaupt niemand gelesen hat. Nutzen Sie das aus! Weisen Sie - sofern Sie es sich merken können - ruhig darauf hin, dass Hegel schon in der Vorrede zur Phänomenologie - mehr oder weniger wörtlich - zum Ausdruck bringt, "der Anfang der Bildung müsse immer damit gemacht werden, Kenntnisse allgemeiner Grundsätze und Gesichtspunkte zu erwerben, sich nur erst zu dem Gedanken der Sache überhaupt heraufzuarbeiten, nicht weniger sie mit Gründen zu unterstützen oder zu widerlegen, die konkrete und reiche Fülle nach Bestimmtheiten aufzufassen und ordentlichen Bescheid und ernsthaftes Urteil über sie zu erteilen zu wissen." Lächeln Sie ruhig, wenn sie das zum Besten geben, und erwähnen Sie, dass schon Schopenhauer über die Sprache seines Kollegen gesagt hat, sie bestehe aus rasenden Wortgeflechten.

Okay, das ist jetzt alles ein wenig kompliziert. Im Prinzip reicht es, wenn Sie, egal, von was Sie reden, hie und da den Zusatz "im hegelschen Sinne" einfließen lassen. Sogar wenn Ihr Alkoholkonsum die kritische Grenze überschreitet ... also, kritische Grenze jetzt im hegelschen Sinne - das war jetzt so ein Beispiel ... kann Ihnen nichts passieren.

Halt, Hegels ganzen Vornamen sollten Sie vielleicht noch wissen: Georg Wilhelm Friedrich. Und wenn Sie heute irgendwann Konversation machen sollten, dann tun Sie so, als fiele Ihnen zufällig grad ein, dass Hegels Geburtstag ist. Heben Sie Ihr Glas und hauchen Sie beiläufig: "Ah ja, 27. August 1770, da hat er ja das Licht der Welt erblickt. Lange vergangen. Im hegelschen Sinne. Phälomen ... phänol-o-momental."


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