Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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26. Oktober 1944 Die schlechteste Sängerin Amerikas wird weltberühmt

Auch jemand, der nicht singen kann, kann singen. Und auch ohrenbetäubend schlechter Gesang kann Konzerthallen füllen. Sie hat es bewiesen: Florence Foster-Jenkins. Autor: Klaus Uhrig

Stand: 26.10.2015 | Archiv

26 Oktober

Montag, 26. Oktober 2015

Autor(in): Klaus Uhrig

Sprecher(in): Andreas Wimberger

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Was für grausame Lügen wir doch unseren Kindern erzählen: "Oh, das hast du aber schön gemalt." Oder: "Ja, kleine Sophie, du bist ja schon eine richtige Pianistin." Oder, die schlimmste Lüge von allen: "Du kannst alles werden, was du willst."

Leider ist es völliger Quatsch. Und gefährlicher Quatsch noch dazu. Denn unrealistische Träume können schreckliche Konsequenzen haben. Im schlimmsten Fall können sie sogar dazu führen, dass man sich vor der ganzen Welt lächerlich macht und dann an gebrochenem Herzen stirbt.

Genau das ist Florence Foster-Jenkins passiert, der schlechtesten Sängerin aller Zeiten.

Sie kann nicht singen…

Ihre Geschichte beginnt im New York, im Jahr 1912. Da ist Florence Foster-Jenkins gerade mal Mitte 40 und hat ziemlich viel Geld geerbt. Jetzt, endlich, will sie sich ihren Lebenstraum erfüllen: Singen. Dass sie gar nicht singen kann, hat ihr offenbar niemand gesagt.

Im Foyer des Hotel Ritz-Carlton gibt sie ihr erstes Konzert. Sie trifft keinen einzigen Ton, sie krächzt, sie quietscht, kommt ständig aus dem Takt – und tritt dabei auf, wie eine ganz große Diva. Das Publikum ist äußerst amüsiert. Doch Foster-Jenkins verwechselt Belustigung mit Begeisterung und ist jetzt erst recht von ihrem Genie überzeugt.

Ihre Auftritte werden zum großen Insider-Witz der New-Yorker Society. Man hört sich das Elend an, applaudiert brav, und lacht sich heimlich ins Fäustchen. Eine ironische Verschwörung, bei der eigentlich alle Bescheid wissen. Alle, außer der Sängerin selbst. Sie hält sich weiterhin für die Größte. Gelächter und Kritik prallen einfach so an ihr ab. Neidisches Geschwätz sei das, Sabotage ihrer Konkurrentinnen. Und Musikkritiker sind von ihren Kammerkonzerten ausgeschlossen.

…kann aber alles singen.

Mehr als dreißig Jahre lang geht der Selbstbetrug gut. Dann wird Florence Foster-Jenkins unvorsichtig. Sie lässt sich überreden, in der Carnegie Hall aufzutreten, dem berühmtesten Konzertsaal der USA. Schon Wochen im Voraus ist das Konzert ausverkauft. Und dieses Mal kann sie die Journalisten nicht draußen halten. Am 26. Oktober 1944 tritt Florence Foster-Jenkins gegen halb neun Uhr abends auf die Bühne. Der Applaus ist ohrenbetäubend. Dann legt sie los. Bach. Tschaikowski. Mozarts Zauberflöte. Sie singt die Arie "Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen". Es klingt wie eine Mischung aus Teekessel und Eisenbahn-Bremse.

Am nächsten Tag ist Florence Foster-Jenkins berühmt. "Sie kann alles singen, außer Noten" schreibt die New York Sun. Und auch die anderen Zeitungen des Landes sind voll von sarkastischen Konzertberichten.

Das ist das Ende der Ironie-Verschwörung. Jetzt weiß jeder: Diese Frau ist die schlechteste Sängerin der Welt. Als solche steht sie sogar im Guinness Buch der Rekorde. Später, im Internet-Zeitalter, wird sie zum zweiten Mal berühmt. Hunderttausende Youtube-Nutzer hören sich ihre Aufnahmen an. Und für 2016 ist sogar ein Hollywood-Film über sie geplant. In der Hauptrolle: Meryl Streep.

Florence Foster-Jenkins erlebt nur noch die Anfänge ihres zweifelhaften Weltruhms. Zwei Tage nach ihrem großen Konzert hat sie einen Herzinfarkt. Einen Monat später stirbt sie. Die Kritiker hätten ihr das Herz gebrochen, sagen ihre Freunde.

Auf ihrem Grabstein steht, trotzig und selbstbewusst: "Die Leute können vielleicht behaupten, dass ich nicht singen kann, aber niemand kann behaupten, dass ich nicht gesungen hätte."


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