Bayern 2 - Das Kalenderblatt


2

21. Juli 1971 "Graffiti" taucht zum ersten Mal in der Presse auf

Für die einen ist es Kunst, für die anderen kann das weg: Graffiti scheidet die Geister. Soll das Verschönerung von U-Bahnzügen sein oder Sachbeschädigung? Eines ist es in jedem Fall: diskussionswürdig! Autorin: Anja Mösing

Stand: 21.07.2016 | Archiv

21 Juli

Donnerstag, 21. Juli 2016

Autor(in): Anja Mösing

Sprecher(in): Krista Posch

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Im Grunde wussten wir es: Wir sind als Rebellen geboren! Alle! Logo. Sonst wären wir gar nicht da! Bloß Adam und Eva wären da; würden im Paradies herum lümmeln und ihr Dasein genießen. Ohne Mühsal wie Schmerzen der Geburt und so weiter. Aber Eva wollte es nun mal wissen. Die alte Rebellin! Hat sich damals, trotz scharfen Verbots, die Frucht vom Baum der Erkenntnis geschnappt!

Mal abgesehen von all den unglaublich unangenehmen Folgen, die ihre Aktion hatte, ist eines klar: Ihren Namen kennen wir noch heute! Und auch diese Ur-Rebellion muss noch irgendwo in uns stecken. O.k. bei vielen ist dieses Erbe inzwischen arg verdünnt. Rebellionsgeist ist quasi nur noch in homöopathischer Dosis erkennbar.

Aber einige Nachfahren von Adam und Eva legen es immer noch drauf an, Verbote zu übertreten.

Eine weltweite Rebellen-Klicke kann heute sogar Geburtstag feiern. Denn am 21. Juli 1971 berichtete zum ersten Mal eine Zeitung über das, was sie machen. Diese Jugendlichen, die überall in der Stadt ihren Namen hinterließen: an Häuserwänden, in U-Bahnen, auf Laternenpfählen, einfach wo immer sie gingen und standen.

Alles Taki

TAKI 183 konnte man im Sommer 1971 in New York am allerhäufigsten lesen. Ein Journalist der New York Times fand den jungen Burschen, der diese Signaturen gemacht hatte und interviewte ihn. TAKI 183 war ein Siebzehnjähriger, der eigentlich Demetrius hieß, aber Taki genannt wurde und in der 183. Straße von New York wohnte. Von den Jugendlichen in seinem Viertel wurde er sowieso für den King gehalten, weil keiner geschafft hatte, seinen Namen so oft wie er an die Wände der Stadt zu schreiben.

Und weil Taki noch nie dabei geschnappt worden war. Jetzt wussten auch die Leser der New York Times Bescheid und die ganze Sache bekam einen Namen: Graffiti.

abgeleitet vom italienischen graffito, für eingekratzte Buchstaben, wie sie schon seit Jahrhunderten gern auf glatten Flächen hinterlassen wurden.

Und jetzt bedeutete Graffiti: Also Ruhm für Rebellion. Das war ein Geschenk. Und ein Kick! Den Besitz der Erwachsenen markieren, zuerst noch mit den gerade erfundenen, dicken Filzstiften, den Markern. Dann kamen die Spraydosen, mit denen man zeigen kann, was man drauf hat: unübersehbar riesige Buchstaben, bunt und plastisch wirkend, mit politischen, humorvollen und kritischen Aussagen. Jedenfalls für den, der sie entziffern kann. Dazu gibt es kraftvolle Bilder oder Portraits. Es gibt Spezialisten, die mit Schablonen arbeiten - mal in Richtung Comic, mal in Richtung Realismus. Alles ist möglich. Und man wird dafür richtig gejagt. Von Hausbesitzern, von der Polizei. Muss seine Taschen mit den Spraydosen verstecken.

Piece für Piece

Je waghalsiger die Untergründe für ein Piece - ein komplettes Werk - sind, umso besser. Polizeiwagen und komplette U-Bahnzüge stehen bald ganz oben auf der Liste, wenn es darum geht Ruhm und Respekt bei den Kollegen zu bekommen. Die Werke fahren immerhin durch die ganze Stadt! Ein Traum.

Einige kreative Rebellen werden vom Kunstmarkt geschluckt. Aber die meisten wollen einfach Street Art machen. Kunst für alle. Kunst, die Energie aus dem Unerlaubten zieht. Die nie aufhört. Höchstens dann, wenn Polizisten und Hausbesitzer ein neues Graffito mit Kennermine würdigen würden, anstatt es entfernen zu lassen.

Aber das wäre fast, als hätte Gott damals zu Eva gesagt:

"Komm Liebes, lass mich auch mal abbeißen!"


2