Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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20. November 1820 Pottwal rammt Walfangschiff Essex

Ein Pottwal rammte am 20. November 1820 das Walfangschiff "Essex". Mitten im Pazifik sank das Schiff, und für die Mannschaft in den Fangbooten begann eine Seefahrt des Grauens.

Stand: 20.11.2012 | Archiv

20 November

Dienstag, 20. November 2012

Autor(in): Susi Weichselbaumer

Sprecher(in): Andreas Wimberger

Redaktion: Thomas Morawetz

Wer mit dem Kopf durch die Wand will, braucht vor allem zwei Dinge: Unerschütterliche Durchsetzungskraft und einen richtigen Dickschädel. Erfolgsbeispiel dafür ist der Pottwall, der Größte unter den Zahnwalen. Im Durchschnitt 18 Meter in der Abmessung und auf der Waage schlanke 50 Tonnen. Kennzeichnend ist der enorme, fast quadratische Kopf. Der macht ein Drittel der Gesamtkörperlänge aus und ist härter als bei vielen gigantischeren Walen. Daher stammt übrigens auch der Name: Pottwall - der Kopf sieht aus wie ein Topf.

Wal schlägt zurück

Mit diesem Topf-Kopf  kommt der Pottwall wunderbar durch Wände. Das muss er manchmal, wenn es Durchsetzungskraft braucht. Paradebeispiel für eine solche Situation: der 20. November 1820. Das amerikanische Walfangsegelschiff Essex ist, wie die Bezeichnung sagt, auf Walfang. Im Atlantik. Die Ausbeute ist nicht gut, Kapitän George Pollard beschließt: Wir fahren weiter, rum um Kap Hoorn und suchen die Paarungsgebiete der Wale im Pazifik auf. Dort stoßen Pollard und seine Mannschaft, just an diesem 20. November, auf eine Walschule. Die Fangboote werden ausgebracht, die Harpunen gehen in Anschlag. Ein Pottwal will sich nicht beschießen lassen und kippt eines der Fangboote um. Der Kapitän ist irritiert. Dass die friedlichen Wale zurückschlagen ist neu. Er lässt die Essex heranfahren, um das umgekippte Boot aufzurichten.

In diesem Moment greift der Pottwal an. Einmal mit dem massiven Kopf gegen den Bug der Essex. Dann taucht er unter dem Segler durch und nimmt einige Hundert Meter Anlauf für die nächste Attacke. Der Zusammenstoß ist heftig - mit dem Kopf durch die Bordwand. Planken bersten, Wasser dringt ein. Das Schiff sinkt. Die Mannschaft versucht die Fangboote irgendwie hochseetauglich zu machen. Der Plan so nah am Äquator: Weiter segeln gen Süden, womöglich günstige Winde antreffen, es vielleicht schaffen an die Küste von Chile. Die Gewähr dafür: 780 Liter Trinkwasser und 280 Kilogramm Schiffszwieback. Nach einem Monat ist da eine unbewohnte Insel: Henderson. Es gibt kaum Trinkwasser - man entscheidet sich zum Kurs auf die Osterinseln. Drei Besatzungsmitglieder bleiben auf Henderson zurück.

Sieben werden verzehrt

Die Weiterreisenden haben wenig Glück. Widriges Wetter treibt die drei Boote auseinander. Die Lebensmittel gehen aus. Männer sterben. Und werden von den verhungernden Kameraden gegessen. Obermaat Owen Chase, Steuermann Benjamin Lawrence und der Kabinenjunge Thomas Nickerson bleiben so lange genug am Leben, um von einem vorbeifahrenden Schiff gerettet zu werden. Im Boot von Kapitän Pollard sterben die Kameraden zu langsam. Hier lost man um die nächste Mahlzeit - ergo darum, wer sein Leben für die anderen lässt. Kurz vor der chilenischen Küste - über drei Monate sind vergangen - liest ein vorbeifahrendes Schiff auch dieses Boot auf. Boot Nummer drei bleibt verschollen. Die Männer auf der Insel Henderson werden geborgen. Fazit: Von 21 Männern überleben acht. Sieben werden verzehrt, drei werden auf See bestattet, drei sind vermisst.

Obermaat Owen Chase veröffentlicht später in einem Buch seine Erinnerungen an die Tragödie. Sein sechzehnjähriger Sohn und selber schon Seemann hat dieses Buch dabei, als er 1841 zufällig den Autor Hermann Melville trifft. Der junge Owen leiht Melville die Erinnerungen seines Vaters - nachzulesen heute in ein bisschen abgewandelter Form in Melvilles Erfolgsroman "Moby Dick". Und damit wären wir wieder beim Pottwal, dem Dickschädel mit Durchsetzungsvermögen.       


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