Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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20. Januar 1927 Graf Keyserlings Ehe-Buch wird Hit in den USA

Was ist die Ehe? Aktuell und überhaupt und vor allem aus der Sicht von Prominenten? Das "Ehe-Buch" ging auf das Konto des erleuchteten Hermann Graf Keyserling. Am 20. Januar 1927 wurde es sogar ein toller Erfolg in den USA.

Stand: 20.01.2012 | Archiv

20 Januar

Freitag, 20. Januar 2012

Autor(in): Carola Zinner

Sprecher(in): Ilse Neubauer

Redaktion: Thomas Morawetz

Für einige Intellektuelle war der Mann eine echte Herausforderung. Dabei hatte Hermann Graf Keyserling nichts anderes vor, als sein Leben dem Guten und Schönen zu widmen und möglichst viele Menschen dorthin mitzunehmen. Deshalb hatte der deutschbaltische Adelige in Darmstadt die „Schule der Weisheit“ gegründet, eine Akademie, in der Größen des Geisteslebens Fragen des sozialen und gesellschaftlichen Lebens diskutierten. Die Ergebnisse fasste Keyserling in Schriften zusammen, die unter anderem in seiner Zeitschrift „Der Leuchter“ erschienen. Stil und Sprachgefühl spielten dabei eine derart untergeordnete Rolle, dass Kurt Tucholsky den Grafen in einem herrlich boshaften Artikel als „Darmstädter Armleuchter“ tituliert hat.

"… eine hinlänglich problematische Sache"

Der blieb unbeeindruckt, erhellte mit seinem Licht weiter die Welt und schreckte dabei auch vor den geheimsten Winkeln nicht zurück. 1925 veröffentlichte er das „Ehe-Buch“, eine Anthologie mit zahlreichen Aufsätzen prominenter Autoren, darunter C.G. Jung, Alfred Adler, Ricarda Huch und natürlich auch er selbst. Keyserling schreibt, die Ehe sei in einer „furchtbar ernsten“ Krise, an deren Überwindung die „ganze bessere Zukunft“ der Menschheit hänge. Dies Buch lehre die Menschen, durch „reine Erkenntnis selbständig den richtigen Weg“ zu finden.

Offenbar war das etwas, wozu das Publikum bereit war: Das „Ehe-Buch“ eroberte in Windeseile den Markt und wurde sogar in den USA ein Renner. Am 20. Januar 1927, nur vier Wochen nach dem Erscheinen, waren bereits 8.000 Exemplare des „Book of Marriage“ verkauft.

Die Frage ist nur: warum? Waren Themen wie „Das indische Ehe-Ideal“, „Die Ehe aus psychologischer Sicht“ oder „Die Ehe als Fessel“ wirklich so faszinierend, dass sich die Leserschaft in Scharen darauf stürzte? Oder erfreute sie sich vielleicht doch eher an den kleinen Einblicken in das Eheverständnis der prominenten Autoren? Bei genauem Hinsehen ließ sich da nämlich durchaus etwas finden. Thomas Mann schrieb von der Ehe als einer „hinlänglich problematischen Sache“, die durch den Wandel der Zeiten - bedauerlicherweise - ähnlichen Erschütterungen ausgesetzt sei wie „das Dienstbotenwesen“.

Als Gottes Atem leiser ging…

Noch deutlicher wurde George Bernhard Shaw, dessen Beitrag nur wenige Worte umfasst - er hatte Keyserling nämlich eine Absage erteilt, und die zitiert der im Vorwort:  "Kein Mann darf es wagen, über die Ehe die Wahrheit zu schreiben, solange seine Frau lebt“, schreibt Shaw, „es sei denn, er hasse sie, und dies ist nicht mein Fall. Ich werde den Band mit Interesse lesen, wohl wissend, dass er hauptsächlich Ausweichungen enthalten wird.“

Shaw behielt natürlich Recht. Mitten in den wilden 20er-Jahren, der Zeit der sexuellen Emanzipation, des frechen Kabaretts und des Jazz, wirkt das Buch weltfremd und aufgeblasen. In Berlin hatten sie einen passenden Kommentar dazu parat: „Als Gottes Atem leiser ging, schuf er den Grafen Keyserling“.


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