Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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19. Mai 1962 Ernst Jünger testet Drogenpilze

Bekannt ist Ernst Jünger vor allem wegen seiner Kriegstagebücher. Dabei war er nicht nur Schriftsteller, sondern Hobby-Naturwissenschaftler - und zu Selbstversuchen bereit. Autorin: Justina Schreiber

Stand: 19.05.2017 | Archiv

19 Mai

Freitag, 19. Mai 2017

Autor(in): Justina Schreiber

Sprecher(in): Andreas Wimberger

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Lag es daran, dass der 19. Mai 1962 ein Samstag war und ganz Wilflingen auf den Beinen zu sein schien, um die Straßen zu fegen? Jedenfalls nahm das Zauberpilz-Symposium, zu dem der 67-jährige Ernst Jünger ins Würtembergische eingeladen hatte, keinen guten Anfang. Dabei hatte der Gastgeber generalstabsmäßig vorgesorgt: Das Telefon war abgestellt; die Ehefrau in die obere Etage verbannt. Alle Haushaltsgeräte schwiegen. Der große Kachelofen sorgte für Wärme. Fußbänke und bequeme Sessel standen bereit. Den Tisch zierte ein bunter Frühlingsblumenstrauß.

Aber eine halbe Stunde, nachdem die Herren ihre magic mushrooms zerkaut hatten, drangen die Besenstriche des feierabendlichen Putzrituals unerwartet "schmerzhaft  in die Stille ein", wie der Schriftsteller später in seinem Buch "Annäherungen" beschrieb. Und "ist einmal das Motiv gegeben, so stichelt es sich ein". Der Orientalist Rudolf Gelpke kauerte stöhnend neben dem Kachelofen. Der Chemiker und Erfinder des LSD Albert Hofmann, der die psylocybinhaltigen Pilze mitgebracht hatte, stierte blöde zum Fenster hinaus, während den ergrauten Schriftsteller zischelnde Schlangen bedrängten und tänzelnde Huren mit ungeheuren Brüsten: "Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?"

Völlig losgelöst…

Dieses Drogenexperiment  besaß das Potential zum Horrortrip. Nur gut, dass die Männer, die sich hier - zum wiederholten Male übrigens - freiwillig in den Dienst der Wissenschaft stellten, hart im Nehmen waren. Ernst Jünger, der Älteste im Bunde, hatte auf den Schlachtfeldern beider Weltkriege bewiesen, dass er es mit jedem "Stahlgewitter" aufzunehmen verstand. Ihm kam offenbar alles gelegen, was das Bewusstsein produktiv erweitern könnte. Und das war - neben dem Kampf natürlich - eben auch Alkohol, Äther, Chloroform, Haschisch, Kokain, Opium oder Meskalin. In dem Pharmakologen Albert Hofmann besaß er einen Kameraden, der sich allen Ernstes  dafür interessierte, wie ein musisch begabter Mensch, im Besonderen wie der "hochsensible Jünger" auf den Einfluss halluzinogener Stoffe reagierte.

Weshalb die beiden über Jahrzehnte hinweg einen regen Briefwechsel über Theorie und Praxis verschiedenartigster Räusche pflegten. Jetzt jedoch ging es um die verborgenen Kräfte der zähfaserigen, dumpf und modrig schmeckenden Erdgewächse aus Südamerika.

Völlig grenzenlos…

Um es kurz zu machen: der mexikanische Wahrsagepilz, dessen Existenz von europäischen Fachleuten damals gerade erst anerkannt worden war, verhalf der furchtlosen Herrenrunde zu keiner "Fahrt über die Linie". Man blieb in mehr oder weniger bekannten Realitäten. Ernst Jünger verlor sich an diesem Samstagabend in einem unübersichtlichen orientalischen Harem. Albert Hofmann wanderte durch ausgestorbene mexikanische Städte und der junge Orientalist Gelpke begegnete im altpersischen Samarkand immerhin seinem eigenen abgeschlagenen Kopf. Von visionären Zuständen oder gar einer "transformierenden Kraft des Rausches" konnte keine Rede sein.

Als Jüngers Gattin gegen Mitternacht im oberen Stockwerk hörte, dass die durch Raum und Zeit Reisenden von ihren geistigen Abenteuern ins Wilflinger Wohnzimmer zurückzukehren schienen, legte sie - wie vom Ehemann zuvor angeordnet - Mozarts "Zauberflöte" auf. Bei einem Glas Rotwein und belegten Schnittchen kam den Herren dann doch noch eine höhere Erkenntnis, nämlich die, dass es eigentlich recht schön sei, wieder "unter Menschen" zu weilen.


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