Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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14. April 1913 Hagenbeck jun. gestorben, Zoodirektor

Gaffen war ausdrücklich erlaubt, wenn Carl Hagenbeck wieder zur Völkerschau lud. Und die "Wilden" waren angehalten, sich auch entsprechend zu verhalten. Autorin: Prisca Straub

Stand: 14.04.2017 | Archiv

14 April

Freitag, 14. April 2017

Autor(in): Prisca Straub

Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Nubier aus Afrika, Singhalesen aus Asien, Feuerländer von der Spitze Südamerikas Das Publikum gafft hemmungslos. Immerhin hat es für die exotischen "Exponate" gut bezahlt. Eigens hergeschafft, sorgten vor gut 100 Jahren Menschengruppen aus fernen Welten für ungläubiges Staunen. In einer Epoche, in der Europäer die halbe Welt eroberten, hielt man es für legitim, fremde Kulturen zum Ausstellungsstück zu machen. Zoo-Besucher von München bis Hamburg waren ganz wild darauf.

Augen rollen und Hula tanzen

Die erste dieser sogenannten Völkerschauen war in Hamburg zu sehen - organisiert von dem Tierhändler Carl Hagenbeck junior. 1875 präsentierte er erstmals eine Gruppe Lappländer, die Lassos nach einer Rentierherde warf. Die Schau war ein Erfolg, und Hagenbeck erweiterte sein Metier: Statt nur Geschäfte mit wilden Tieren zu machen, verlegte sich der hanseatische Unternehmer auf mongolische Kalmücken, Somalier, Südsee-Insulaner und Sioux-Indianer, die die Tiertransporte begleiteten.

In seinem 1907 eröffneten Hamburger Tierpark ließ Hagenbeck in einer künstlichen Landschaft mit nachgebildeten Hütten kostümierte Somalier, Äthiopier und Beduinen auftreten. Besonders gut aber kamen sogenannte "gezähmte Wilde" und freizügige Südsee-Insulanerinnen an. Die einen mussten brüllen und mit den Augen rollen, die anderen Hula tanzen. Die Lokalblätter meldeten, man habe es mit "Kannibalen" zu tun, die täglich kiloweise "rohes Rindfleisch" verschlängen - und brachten in Umlauf, wann die Fremden "gefüttert" wurden. Sie versprachen dem "geneigten Leser", die Zahmeren unter den Fremden sogar streicheln zu dürfen. Besonders den Damen brach bei der Berührung der dunklen Haut angeblich der Schweiß aus. Einige wohlbetuchte Hamburgerinnen sollen sich in eine Gruppe halbnackter Afrikaner dermaßen verliebt haben, dass die Sehnsucht sie sogar nachts an die Gitter trieb.

"Professionelle Primitive" ziehen nicht

Doch längst nicht alle "Eingeborenen" kehrten nach Ablauf ihrer europäischen Tiergarten-Tournee in die Heimat zurück: Eine importierte Eskimo-Truppe wurde von den Pocken hinweggerafft. Von elf Feuerländern traten fielen acht der Tuberkulose zum Opfer. Carl Hagenbeck, so heißt es, war von solchen Vorfällen "sehr betrübt". Wie viele Menschen aus ihren Heimatländern entführt oder mit falschen Versprechen fortgelockt wurden, ist nicht mehr festzustellen.

Hagenbeck jedenfalls rekrutierte die Fremden nicht selber, sondern hielt die Fäden von Hamburg aus in der Hand. Sicher ist, dass zumindest Arbeitsverträge existierten und dass manche Menschen auch freiwillig kamen, weil sie gut verdienten. Einige von ihnen wurden sogar dauerhaft an der Elbe heimisch und schwangen - sozusagen als "professionelle Primitive" - für ihren Lebensunterhalt tagsüber den Bumerang. Doch eine solche Institutionalisierung barg ein Problem: Als man eine Gruppe Neukaledonier einmal nachts auf der Reeperbahn identifizierte, wo sie sich tanzend unter die Gäste eines Amüsierlokals gemischt hatten, bedeutete dies das Aus für die entsprechende Exotenschau. Es war eine der letzten, die Carl Hagenbeck junior arrangierte. Am 14. April 1913 starb er in Hamburg.


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