Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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13. Januar 1902 Ausbruch des Bibel-Babel-Streits

Viele Erzählungen der hebräischen Bibel, Schöpfung, Sintflut und sogar die Kindheit des Mose gehen auf die Kultur des alten Babylon zurück. Am 13. Januar 1902 hielt der Assyriologe Friedrich Delitzsch über diese Erkenntnisse einen Vortrag vor dem Kaiser - der Anlass für den "Bibel-Babel-Streit".

Stand: 13.01.2010 | Archiv

13 Januar

Mittwoch, 13. Januar 2010

Autor(in): Christian Feldmann

Redaktion: Thomas Morawetz

Der Erfinder von Winnetou und Old Shatterhand, Karl May, widmete dem Konfliktfall sein einziges – von der Kritik gnadenlos verrissenes – Theaterstück. Rote und linksliberale Zeitungen schäumten vor Zorn und Schadenfreude. Ganz Deutschland war in Aufruhr.

Was war geschehen? Eigentlich gar nichts. Ein freundlicher Professor mittleren Alters, Assyriologe von Beruf, hatte am 13. Januar 1902 in der Berliner Singakademie vor der Deutschen Orient-Gesellschaft einen Lichtbildervortrag gehalten. Über den berichtete die Presse in gewaltiger Aufmachung. Und Kaiser Wilhelm II., der dem Vortrag mit großem höfischem Gefolge beigewohnt hatte, bekam plötzlich Lust, sich als Theologe zu versuchen.

Die Idee, die Kaiser Wilhelm samt Hofdamen und kurz darauf zahllose Gelehrte, Pastoren, Provinzpolitiker und Zeitungsredakteure derart elektrisierte, war nicht völlig neu. Aber niemand hatte sie bisher so griffig vor einem großen Publikum ausgebreitet wie dieser Professor Friedrich Delitzsch von der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität: Viele Erzählungen der hebräischen Bibel, Schöpfung und Sintflut und Kindheit des Mose, ja die ganze alttestamentliche Ethik und Weltsicht gingen auf die Kultur Babylons zurück. Schluss mit der Eigenständigkeit der jüdischen Religion und – wenn man nur einen kleinen Schritt weiter dachte – auch gleich Schluss mit dem Auslegungsmonopol, das christliche Theologie und Kirche über die Bibel beanspruchten.

Der Zeitpunkt war günstig gewählt: Einerseits entdeckte die Keilschriftforschung immer mehr Querverbindungen zwischen der Bibel und den benachbarten Kulturen, zum andern war die deutsche Wirtschaft dabei, im Vorderen Orient neue Absatzmärkte zu erschließen. Kein Wunder, dass Wilhelm II., oberster Bischof der preußischen Protestanten und zugleich Schirmherr der Deutschen Orient-Gesellschaft, so hellhörig auf die Thesen von Friedrich Delitzsch reagierte. Er ließ den Vortrag im amtlichen "Deutschen Reichsanzeiger" veröffentlichen.

Doch der "Bibel-Babel-Streit", wie man ihn bald nannte, rief auch die konservativen Elemente auf den Plan. Unmittelbar nach dem Vortrag drang eine fromme Hofdame der Kaiserin so wütend auf Professor Delitzsch ein, dass er – so ist überliefert – "bis zur Wand zurückwich und auf jede Widerrede verzichtete". Sprecher von Kirche und Judentum, auch viele Fachkollegen kritisierten den sogenannten "Panbabylonismus" in Grund und Boden. "Will man uns denn alles rauben?" schrieb ein Pfarrer im nationalkonservativen "Reichsboten". "Die ganze gewaltige, erschütternde Geschichte vom Sinai (...) soll in nichts zusammenfallen?" Und Kaiser Wilhelm sah sich genötigt, hochoffiziell zu erklären, dass er die Angriffe des Professors Delitzsch auf die alttestamentliche Offenbarung missbillige.

Friedrich Delitzsch reagierte auf die Angriffe zunehmend stur, er setzte in weiteren Vorträgen noch eins drauf: Die christliche Ethik müsse sich von jedem egoistischen, nationalistischen Monotheismus lösen, wie er ihn im Alten Testament verkörpert sah, und auf die Offenbarung Gottes im Herzen und Gewissen eines jeden Menschen setzen. Das war arg vergröbert und theologisch kaum zu halten. Aber die Öffentlichkeit nahm begierig Anteil an dem Wissenschaftlerstreit. Karikaturisten bildeten Delitzsch und seine Gegner als mit Tontafeln bewaffnete antike Krieger ab und texteten dazu: "Und Keilschrift heißt es alldieweilen, weil sie mit ihren Schriften keilen."

Natürlich hatte der Konflikt auch sein Gutes. Die religionsgeschichtlichen Anfragen an die dem Christentum verpflichteten Bibelausleger wurden endlich ernst genommen. Friedrich Delitzsch aber driftete zunehmend in einen völkischen Antisemitismus ab. Und Karl May? Sein Schauspiel "Babel und Bibel", in dem ein Scheich, ein "Edelmensch" und eine Frau namens "Menschheitsseele" vorkommen, wurde kaum aufgeführt und zum Glück schnell vergessen.


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