Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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11. Februar 2006 Vogelgrippeerreger erstmals in Europa nachgewiesen

Am 11.Februar 2006 wurde das Vogelgrippe-Virus H1N1 zum ersten Mal auf europäischem Boden nachgewiesen. Ein Fremdling aus Asien? Das ist höchstens die halbe Geschichte. Vielmehr ist das Virus ein Zeuge für den Zivilisationsirrsinn der modernen Welt.

Stand: 11.02.2010 | Archiv

11 Februar

Donnerstag, 11. Februar 2010

Autor(in): Florian Hildebrand

Sprecher(in): Florian Hildebrand

Redaktion: Thomas Morawetz

Was wäre die Welt ohne Darwin? Sie wäre mit Gott, das heißt mit Sinn, denn Gott ist der Sinn schlechthin. Aber damit hätte noch niemand verstanden, wie sie funktioniert. Mit Darwin weiß man nun, wie Leben geht. Aber er erklärt nicht, warum es Leben gibt. Jene Biologen, die seit Darwin den Gang der Evolution beobachten, können jetzt zwar sagen, wie das Leben so spielt, aber nicht, wieso.

Selbst für den ganzen Zivilisationsirrsinn, mit dem unsere Spezies inzwischen den gesamten Planeten überwuchert hat, finden sie Argumente. Beispiel: die Massentierhaltung. Warum auf die Jagd gehen, wenn man die Beute zuhause auch lebend einstallen kann? Für die Evolutionsbiologen ist auch sonnenklar, dass und warum die tierische Vorratshaltung ein Problem hat. Verirrt sich mal ein Krankheitserreger in die Stallungen, verfällt er, wer möchte es ihm verdenken, einer taumelnden Vermehrungssucht. Dagegen hat der Bauer seine Nützlinge durchweg antibiotisch aufgerüstet. Das aber hat evolutionär leider den Nachteil: Das Schlachtvieh ist auf diese Weise zwar im Regelfall geschützt, aber nur eben das Schlachtvieh. Der Mensch hingegen brät sich in der Pfanne Fleisch, das mitsamt den Medikamenten eigentlich rezeptpflichtig geworden ist. Damit überkommt auch ihn zunächst der prophylaktische Segen gegen allerhand Krankheitserreger. Doch die winzigen Erreger, die jetzt irgendwie nicht mehr zum Zuge kommen, sind hartnäckig. In solchen Situationen passen sie sich an, denken sich neue Strategien aus, um vor dem Antibiotikum fürderhin nicht mehr zu scheitern. Nun ist es am potenziellen Opfer Mensch, seinerseits mit aufgerüsteten Abwehrstrategien dem neu bewaffneten Virus entgegenzutreten. Damit beginnt ein Wettlauf zwischen Erreger und demjenigen, der nicht erregt werden will. Die Biologen nennen das die Red-Queen-Strategie, benannt nach Lewis Carrolls „Alice im Wunderland". Darin rennt das Wunderland-Mädchen Alice mit einer Spielkarte, der roten Königin, um die Wette und muss dabei erkennen: Allein mit Laufen kann es nicht gewinnen. Es genügt ja nicht, dem Krankheitserreger hinterher zu rennen und ihn am Ende auch zu erreichen; man muss ihm zuvorkommen, um nicht krank zu werden, und das heißt eben sich einen Vorsprung vor dem Virus zu erlaufen, und zwar den richtigen.

Gelegentlich ist der Virus aber noch schneller. Beispiel: 2004 verbreitet sich in Asien mit wachsender Geschwindigkeit der Vogelgrippe-Virus H5N1 aus. Ja, er ist so flexibel, dass er sich auch den Menschen packt. Innerhalb von vier Wochen sterben drei Vietnamesen, bis 2007 werden es weltweit 160 Menschen sein. Die sind vermutlich alle schon zuvor nicht ganz gesund gewesen, sonst hätte H5N1 mit ihnen nicht so ein leichtes Spiel gehabt. Der Löwe schlägt eben das kranke Gnu zuerst, das nicht mehr so schnell fliehen kann. Und weil wir schon dabei sind: Am 11.Februar 2006 betritt das Virus europäischen Boden und lässt sich erstmals bei verendeten Vögeln in Italien und Griechenland nachweisen.

Millionen von Tieren wurden vorsorglich geschlachtet, damit in Asien und Europa ein grausiges Massaker angerichtet. Immer wieder mal müssen schier unendlich viele Tiere so über die Klinge springen, weil der Unter den Ober sticht, sprich das Virus das Säugetier mit seinem unzureichenden Immunsystem. Verlierer ist dabei auch der Mensch, dem dadurch hübsche Schenkel und Steaks vom Teller gezogen werden. Er verliert, obwohl er auf das massenhaft gezüchtete Fleisch vital eigentlich nicht angewiesen ist. So zeigt das Virus, wie verlustreich das Herrentier Mensch die Welt inzwischen in den erbarmungslosen Griff genommen hat. Um auf Darwin zurückzukommen: Wo ist von alledem nun der Sinn? Es gibt ihn, doch, nur ist der Sinn nicht einer, der Philosophen zutiefst befriedigen würde. Evolutionsbiologisch der einzige Sinn hinter diesem ganzen Zirkus ist: Leben will nur eins, leben, und dafür tut es eine ganze Menge. Ob das Leben Virus heißt, Rindvieh oder Mensch, das ist dem Leben an sich ziemlich egal.


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