Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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10. August 1840 Graf Fortsas versteigert fiktive Bibliothek

Ein Traum für Büchersammler! Am 10. August 1840 sollte im belgischen Städtchen Binche eine ganze Bibliothek versteigert werden, die aus Büchern besteht, die es nur ein einziges Mal auf der Welt gibt - der Nachlass des Grafen Fortsas.

Stand: 10.08.2011 | Archiv

10 August

Mittwoch, 10. August 2011

Autor(in): Xaver Frühbeis

Sprecher(in): Andreas Wimberger

Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung

Im September des Jahres 1839 war Jean Auguste Pichauld, der Graf von Fortsas, gestorben. Und als man begann, seine Hinterlassenschaft zu sichten, entdeckte man eine höchst ungewöhnliche Bibliothek. Der Graf hatte Bücher gesammelt, aber offenbar nur solche, von denen es auf der ganzen Welt nur ein einziges Exemplar gab. 52 Raritäten fanden sich auf des Grafen Schloss, und jetzt, wo der Besitzer tot war, sollten die zu Geld gemacht werden. Ein Katalog wurde verschickt, und auf der Titelseite war zu lesen, dass die Bibliothek am 10. August 1840 zur Versteigerung käme. Die geneigten Interessenten seien gebeten, in das nahegelegene belgische Städtchen Binche zu kommen und sich dort an einen Notar namens Mourlon zu wenden.

Nie zuvor, heißt es in zeitgenössischen Berichten, habe ein Katalog unter den Bücherfreunden des Abendlandes ein derartiges Aufsehen erregt. Anfang August 1840 trudelte in dem kleinen belgischen Provinzkaff Binche die Crème de la Crème der europäischen Bibliophilie ein: Büchersammler, Buchhändler, Bibliothekare und Archivare, dazu aber auch noch diverse Personen, die sonst nichts mit Büchern am Hut hatten, die aber am Ausgang der Versteigerung ein gewisses persönliches Interesse hatten. Die Prinzessin de Ligne beispielsweise, die aus familiären Gründen unbedingt einen 200-seitigen Bericht ihres Großvaters aufkaufen musste. Der hatte in dem Buch sogenannte "Kämpfe in den Niederlanden" registriert, "samt einem Verzeichnis der mit blanker Waffe eingenommenen Festungen". Jeder wusste, dass damit des Großvaters Siege auf dem Bereich der körperlichen Liebe gemeint waren.

Nun waren sie also alle gekommen: Büchersammler und Archivare aus ganz Europa, Prinzessinnen und Grafen und deren Mittelsmänner, alle tauchten zu gleicher Zeit in Binche auf, mieteten sich in den Gasthöfen ein, taten höchst geheimnisvoll und fragten nach einem Notar namens Mourlon, den aber seltsamerweise in Binche niemand kannte. Nie zuvor waren so viele Fremde gleichzeitig in der Stadt gewesen, und ihr geheimnistuerisches Verhalten veranlasste die Behörden dazu, Vorbereitungen zu einem Staatsstreich zu vermuten.

Bevor aber die Sache eskalieren konnte, erschien in Binche eine Zeitungsannonce: Die ganze Auktion sei abgeblasen, die Sammlung bereits verkauft, und zwar ausgerechnet an die öffentliche Leihbibliothek der Stadt Binche. Ein Skandal. Man fragte nach, und es stellte sich heraus, dass es die Leihbibliothek ebenso wenig gab wie den Herrn Notar oder die Bücher oder gar den Grafen Fortsas selbst.

Die ganze Aktion war ein aufwändiger Scherz, angezettelt von einem im Ruhestand lebenden Major namens Chalon, einem Liebhaber seltener Schelmenstreiche, für die er mittlerweile berüchtigt war. Der Herr Major kannte alle, an die er den Katalog geschickt hatte, persönlich, die gräfliche Bibliothek hatte er genau auf ihre Bedürfnisse und Wünsche zugeschnitten, und jeder, der den Katalog bekommen hatte, fand in ihm exakt ein Buch, das er unbedingt haben musste. Jetzt, da das Schelmenstück offenbar geworden war, mussten sie alle wie begossene Pudel unverrichteter Dinge wieder nach Hause fahren.

Was ihnen blieb, war die Freude am gedruckten Katalog der erfunden Bibliothek. Denn den gab's ja tatsächlich. 132 Exemplare hatte der Scherzbold machen lassen, und jeder der genasführten Büchernarren hatte eines. Für unsereinen, heute, ist selbst einer der vielen Nachdrucke dieses Katalogs nur mit Mühe bezahlbar.


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